Von Urs Schaeppi
Manchmal ertappe ich mich dabei, mit einer gewissen Nostalgie an früher zu denken. Mein erstes Auto im Jahr 1984 war ein VW Golf: Das stand für meine ganz persönliche Freiheit. Daran zu denken, woher das Benzin kam oder wie viel CO2 das Auto pro Kilometer ausstiess, das war uns damals völlig fremd. Es war ein tolles und unbeschwertes Lebensgefühl: Ins Auto steigen und ab Richtung Skipiste düsen.
Mobilität hat uns sinnbildlich weit gebracht. Nur wenige Generationen vor uns war ein Besuch der Kantonshauptstadt ein seltenes Grossereignis, das nur alle paar Jahre vorkam. Dann ging es in grossen Schritten: Mit der Eisenbahn verkürzten sich die Reisezeiten drastisch. Mit dem Auto kam die erwähnte Freiheit für jeden Einzelnen und der starke Wettbewerb im Flugverkehr führte dazu, dass das Fliegen für immer mehr Menschen bezahlbar wurde. Heute kostet ein Flug nach Berlin oder Barcelona oft weniger als eine Zugfahrt von Berneck nach Bern.
Wir alle profitieren von Mobilität. Wir wählen frei, wo wir wohnen, wo wir arbeiten und wo wir die Freizeit verbringen. Aber wie so vieles steht diese grenzenlose Freiheit heute auf dem Prüfstand. Denn neben den vielen positiven Effekten sehen wir nun vermehrt auch die Schattenseiten: Den Verlust an Kulturland, die Zersiedelung und die Belastung für die Umwelt.
Das heisst: Asphalt statt Apfelbäume, Viadukte statt Viehweiden und Beton statt blühende Felder. Natürlich sind solche Bilder überspitzt, denn Mobilität bildet einen wesentlichen Pfeiler des Wohlstands und des Fortschritts. Doch unser Verhältnis zu ihr ist zwiespältig geworden: Jeder möchte sie nutzen, aber kaum jemand möchte die Konsequenzen in Kauf nehmen.
Unsere Branche bietet den Schlüssel zu Lösungen, die genau diesen Widerspruch auflösen können. «Breiter denken, statt breiter bauen», nennen es die Verkehrsexperten von Viasuisse, deren Arbeit darin besteht, tagtäglich zu katalogisieren und zu vermelden, wo es auf den Strassen nicht mehr vorwärtsgeht. Diesen nationalen Staumeldern ist schon lange aufgefallen, dass 80 Prozent der Staus auf Autobahnen unnötig sind. Es sind rein menschliche Faktoren, die ihnen zugrunde liegen: Der Verkehr stockt, Fahrer brechen aus, provozieren Abbremsmanöver, was zu noch stärker stockendem Verkehr und schliesslich zu Stau führt. Teilautonome Systeme könnten da schon heute helfen – immer mehr Fahrzeuge haben sie eingebaut. Doch noch sind sie rudimentär, weil die Reaktionszeiten der Netze nur schlecht mit einem Auto mithalten können, das sich in einer Sekunde um 30 Meter bewegt. 5G kann das ändern. Netz gegen Stau.
Ein anderes Beispiel wird direkt vor meinem Bürofenster in Worblaufen getestet: Hier sind es intelligente Daten, die gegen Stau eingesetzt werden. Auf der Bernstrasse zwischen der Stadt Bern und der Autobahnausfahrt Schönbühl kommt es morgens und abends zum Verkehrskollaps, weil eilige Fahrer von der Autobahn auf den vermeintlich schnelleren Schleichweg ausweichen – und für sich selbst und alle anderen Autorfahrer genau das Gegenteil erreichen. Der Kanton stand somit vor der Frage: Teuer ausbauen oder das Problem mit Technologie lösen? Er setzte auf Letzteres: Künftig werden Mobilfunkdaten genutzt, um festzustellen, wie viele Autos sich bereits auf dieser Strasse befinden oder sich darauf zu bewegen. Noch vor dem Kollaps wird an unproblematischen Einfallspunkten gezielt gestaut – was dazu führt, dass Ausweichler diese Strecke vermeiden. Daten nutzen statt teuer ausbauen.
Wir können die Zeit nicht zurückdrehen. So wie in meiner Jugend wird es nie mehr sein. Aber wir können die aktuellen Herausforderungen mit neuen Rezepten lösen. Unsere Branche hat die entscheidenden Schlüssel in der Hand, mit deren Hilfe wir den Weg wieder frei und gleichzeitig einen grossen Schritt in die Zukunft machen können.