Interview mit Thomas Dübendorfer, SICTIC
In nur drei Jahren ist SICTIC zum aktivsten und grössten Angel-Investoren-Club der Schweiz geworden. Wie SICTIC es zum Marktführer im Matchmaking zwischen interessierten Investorinnen und Investoren und vielversprechenden Technologie-Startups gebracht hat, erklärt Thomas Dübendorfer, Präsident und Mitgründer, im Interview.
asut: Als SICTIC 2014 gegründet wurde, war die Schweiz ein Biotechland. Sie haben auf ICT und Fintech gesetzt und heute sind diese Bereiche die Stärken der Schweiz. Haben Sie hellseherische Fähigkeiten?
Thomas Dübendorfer: Das war nicht nötig. Ich bin Informatiker, habe mich immer für zukunftsgerichtete Technologien interessiert, war eine Zeitlang im Silicon Valley, wo Risikokapital kein Fremdwort ist – und fragte mich, zurück in der Schweiz, warum sich das Riesenpotenzial dieser Technologien nicht auch hier erschliessen lassen sollte.
Und warum haperte es da?
Eigentlich waren alle Voraussetzungen gegeben: Wir haben die besten Hochschulen Europas. Wir haben internationale Konzerne, die moderne ICT-Technologien einsetzen müssen, um den Anschluss nicht zu verlieren. Aber nach der 2001 geplatzten Internet-Bubble erschienen ICT-Startups den meisten Investorinnen und Investoren in der Schweiz als zu riskant. Dabei hatten sich inzwischen die Voraussetzungen markant verbessert: Moderne Web-Technologien hatten sich auch hier in den Studiengängen und im Arbeitsleben etabliert, Webbrowser waren nichts Neues mehr, jeder und jede hatte ein Smartphone. Und trotzdem hörte ich überall: «ICT? Das geht in der Schweiz nicht.» Ich war mutig genug, die Chance trotzdem zu packen.
Im Jahr 2021 war SICTIC bei satten 71 Prozent aller Frühphasen-Investmentrunden bei ICT/Fintech-Startups in der Schweiz involviert: Wie haben Sie das in so kurzer Zeit geschafft?
Weil wir am Anfang nicht zu den Banken, den Vermögensverwaltern oder den Pensionskassen gingen, und auch nicht zu den bereits aktiven Business Angels. Wir gingen stattdessen zu erfolgreichen Unternehmerinnen und Unternehmern und überzeugten sie davon, dass es sich lohnt, innovativen Schweizer Jungfirmen mit einem hochskalierbaren Technologie-Produkt eine Chance zu geben, weil da unter Umständen ungeheure Erfolgstories darauf warten, erzählt zu werden. Der Zuspruch war gewaltig, denn ganz offensichtlich gab es hier eine Lücke: Von den bestehenden Angel Clubs hatte sich keiner primär ICT oder Fintech auf die Fahne geschrieben. Und keiner der Angel-Club-Präsidenten war so ICT-affin wie ich mit meinem ETH-Doktorat in Cybersecurity und frisch aus dem Silicon Valley zurück.
Es brauchte also Überzeugungskraft…
… und viel persönlichen Einsatz und den Willen, es durchzuziehen, auch fünf oder zehn Jahre lang. Meine fünf Gründerkolleginnen und -kollegen und ich waren bereit, uns mit unserer Reputation dafür einzusetzen, die Schweiz in diesem Bereich weiterzubringen. Wir standen hin und sagten: Das schaffen wir.
Wie kam es, dass Sie sich fürs Investieren interessiert, die Unternehmenswelt verlassen und damit sozusagen die Seite gewechselt haben?
Effektiv habe ich zuerst eine Fachkarriere gemacht, zuerst als Informatiker und dann als Unternehmer. Die wenigsten verstanden damals, warum ich Google nach sieben Jahren als Leiter von Ingenieurteams freiwillig verliess. Aber ich wollte einen Tapetenwechsel und schlug deshalb auch Jobangebote von Apple und Facebook in den USA aus, um dafür in der Schweiz etwas aufzubauen. Ich habe hier ein sehr gutes Netzwerk, und meine Frau und ich wollten unsere Kinder lieber in der Schweiz aufwachsen lassen. Die Fachkarriere hätte ich jederzeit wieder aufnehmen können. Ich fand es jedoch viel spannender, Startups zu gründen und Investor zu sein, auch wenn sehr viele mir stark davon abrieten.
Ist diese ein bisschen verbiesterte Mutlosigkeit eine Schweizer Spezialität?
Es gibt zwei fundamentale Unterschiede zum Silicon Valley: Erstens gibt es in der Schweiz praktisch keine echte Wachstumsfinanzierung. Investoren, die zwischen 10 und 50 Millionen in ein Startup stecken sind extrem rar, im Silicon Valley gibt es Hunderte davon. Und zweitens ist die Risikoaversion hier und im ganzen DACH-Raum recht gross: Die Angst, etwas zu verlieren, dominiert – sei es Geld oder Reputation. Wer verliert wird in der Schweiz bestraft, während man das Scheitern in den USA primär als Lernchance ansieht. Hier macht man lieber kleine Schritte als einen grossen, bei dem man auf die Nase fallen könnte.
Wie würden Sie SICTIC definieren: Vernetzungsplattform, Matchmaker, Ökosystembauer…
Im Kern sind wir ein Angel-Investoren-Club, der als Non-Profit-Verein organisiert ist. Unsere Mission ist aber eine andere: Wir wollen das Schweizer Ökosystem so weiterentwickeln, dass Technologiestartups hier entstehen und ihr erstes Produkt lokal testen und verkaufen können, bevor sie sich aufmachen, den globalen Markt zu erobern. Es geht uns also um die Stärkung der Innovationskraft des Landes. Eine starke Investorengemeinschaft und zahlreiche Partner helfen uns inzwischen dabei: Dazu gehören kommerzielle Partner wie Rechtsanwaltskanzleien, Banken, Treuhänder und Versicherer, Stiftungen, Hochschulpartner und auch kantonale Standortförderstellen, zum Beispiel die der Kantone Waadt und Zürich. Auf diese Weise haben wir durch die von SICTIC-Investoren finanzierten gut 250 Startups bisher ungefähr 5000 Arbeitsstellen geschaffen. Das sind notabene zukunftssichere Arbeitsplätze, nicht solche, die durch die künstliche Intelligenz schon bald obsolet gemacht werden.
SICTIC Investor Day @ Google (Quelle: SICTIC)
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Was ist die Rolle der Investoren: Sind das einfach grosszügige Mäzene oder haben sie selbst auch etwas von ihrer Investition?
Unsere Investorinnen und Investoren sind keine Philanthropen und was wir tun, ist keine Charity. Einem Jungunternehmen hilft man nicht, indem man nett ist, ihm ein bisschen Geld spendet und es dann sich selbst überlässt. Man hilft ihm, indem man Verbindlichkeit schafft, klare Erwartungen an diese Hilfe knüpft und volles Engagement erwartet. Im Gegenzug setzt man sich aktiv dafür ein, dass es den richtigen Marktzugang findet und überall Augen und Ohren hat, damit es sein Produkt verbessern und bei den Kunden richtig positionieren kann. Denn Jungunternehmerinnen und -unternehmer mögen zwar das bessere technische Fachwissen haben, das aktive Businessnetzwerk und die Erfahrung beim Skalieren und Internationalisieren einer Firma fehlt ihnen hingegen. Das bringen die Investoren mit.
Was unterscheidet SICTIC von «klassischen» Business-Angel-Clubs?
Einer der grössten Unterschiede ist, dass wir über alles sprechen, was wir tun. Wir sagen öffentlich, wo wir investieren und welche Startups sich bei uns vorstellen. Wir informieren transparent darüber, was in der Schweiz im Bereich Technologiestartups und Innovation vor sich geht. Unsere Mailinglist umfasst mehr als 12'000 Personen, von denen die meisten gar nicht zu unserem Verein gehören. Andere Angel Clubs sind hier viel zurückhaltender, insbesondere was Fehlinvestitionen angeht. Wir hingegen schämen uns nicht, auch über Probleme zu sprechen. Denn wir sind davon überzeugt, dass man aus Fehlern lernt. Im Wort «Risikokapital» steckt schliesslich bereits die Möglichkeit, dass es schief gehen kann.
Welche Kriterien müssen Startups erfüllen, damit SICTIC mit ihnen arbeitet?
Auch hier herrscht bei uns, im Gegensatz zu vielen anderen Investoren-Clubs, volle Transparenz. Unsere Mindestkriterien sind öffentlich und klar definiert: Skalierbarkeit, Produktcharakter, ein hoher Innovationsgrad, Firmendomizil in der Schweiz und ein starkes Gründerteam gehören dazu. Zudem erwarten wir von den Gründern ein klares Commitment, innert fünf Jahren substantielle Umsätze zu erreichen. Unsere Anschubfinanzierungen pro Startup betragen zwischen einer halben und zwei Millionen Schweizer Franken. Ein einzelner Angel-Investor trägt mindestens CHF 20'000 bei, oft aber mehr.
Welche Regionen haben in der Schweiz in Bezug auf ICT-Startup-Gründungen die Nase vorn?
Der Motor, beziehungsweise Doppelmotor ist ganz klar Zürich, mit der ETH Zürich und der Universität Zürich. Danach folgt die Waadt mit der EPFL, HEC und IMD. Eine wichtige Rolle spielen in diesen regionalen Polen neben den Hoch- auch die Fachhochschulen: Da bilden sich Ökosysteme, wo die guten Leute aus der Region zusammenfinden.
Ist Mobilität bei Schweizer Startups im ICT-Bereich ein Thema?
Mobilität heisst für mich, dass jede Person dort sein kann, wo sie sein will – physisch oder virtuell. Kommunikationsplattformen ermöglichen es, Leute, Güter, Bedürfnisse, Angebot und Nachfrage zusammenzubringen. Solche Marktplatzgeschichten belegen bezüglich Anzahl Investments bei uns den zweiten Platz, gleich nach den FinTechs. Stark vertreten ist auch datengetriebene Effizienzsteigerung, wobei es darum geht, klassische Mobilitätsinfrastrukturen mit einem Datenlayer zu versehen, um beispielsweise Wartungsprozesse vorausschauend durchzuführen oder Verkehrsleitsysteme in Echtzeit intelligent zu steuern.
Im Swiss Angel Investor Handbook geben Sie Ihre Erfahrungen weiter. Haben Sie keine Angst davor, ihre Erfolgsgeheimnisse zu verraten?
Ich habe prinzipiell keine Angst davor, meine Erfahrungen weiterzugeben. Im Gegenteil: Ich bin davon überzeugt, dass man eine Materie erst dann wirklich beherrscht, wenn man sie jemand anderem so erklären kann, dass er sie auch versteht. Und darum geht es in unserem Handbuch: Es umfasst alle Basics, die ein privater Startup-Investor kennen muss. Es soll dazu beitragen, mehr Leute dazu zu motivieren, ebenfalls als Angel-Investoren aufzutreten. Denn um in der Schweiz ein wirklich tragfähiges ICT/Fintech-Startup-Ökosystem aufzubauen, bin ich darauf angewiesen, dass möglichst viele Leute sich zum Mitmachen befähigt fühlen. Wenn ich anderen durch dieses Handbuch etwas von meinem Erfolg abgeben sollte, dann stört mich das deshalb absolut nicht. Im Gegenteil: Je mehr Erfolg andere Investoren haben, desto besser geht es dem Schweizer Ökossystem. Das ist es, was für mich zählt.
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Das Swiss Angel Investor Handbook steht kostenlos zum Download bereit. |