Interview mit Christoph Heitz, ZHAW und Data Innovation Alliance
Datenbasierte Wertschöpfung ist das A und O der Innovation. Die Data Innovation Alliance unterstützt Schweizer Unternehmen dabei, das Innovationspotenzial, das in Daten schlummert, zu realisieren. Wie das geht und was die Alliance motiviert, erklärt ihr Präsident Christoph Heitz im Interview.
asut: «Daten sind das Gold des 21. Jahrhunderts», sagen viele. Stimmt das, und von welchen Daten sprechen wir da?
Christoph Heitz: Die Digitalisierung hat in den letzten 20 Jahren dazu geführt, dass alle möglichen Dinge Datenspuren hinterlassen. Zum einen sind das Daten von Sensoren, Maschinen und technischen Anlagen. Das geht in Richtung IoT und Industrie 4.0, d.h. mithilfe dieser Daten lassen sich Systeme und Abläufe intelligent vernetzen und steuern. Das andere sind Spuren, die Menschen im Internet hinterlassen. Beides ist wichtig und für die Schweizer Wirtschaft äusserst relevant.
Weshalb?
In Daten stecken Informationen, die wertvoll sein können. In personenbezogenen Daten sind das Informationen über Personen. Diese sind oft verstreut: Da hat man zum Beispiel irgendwo mal die E-Mail-Adresse angegeben und anderswo vielleicht Alter, Beruf oder Einkommen. Dazu kommen die Abfragen, die wir in Suchmaschinen eingeben, und ganz allgemein, wie wir uns im Internet bewegen und uns als Kundinnen und Kunden verhalten. Wenn diese Daten kombiniert werden, kann damit eine ausserordentlich potente Maschinerie aufgebaut werden, um das Verhalten von Menschen in einem noch nie dagewesenen Ausmass beobachten zu können. Firmen wie Google sammeln und aggregieren diese Daten. Sie können dann benutzt werden, um Zielgruppen besser anzusprechen, oder mehr Verkäufe zu generieren.
Die Digitalisierung wandelt also alle möglichen Informationen in Daten um?
Genau. Ein Teil der Digitalisierung besteht im Grunde aus einer gigantischen Messkampagne: Personendaten, Daten von Wettersensoren, Temperatursensoren, Heizungssteuerungen, Autos und dazu die Standortdaten von Smartphones, die es erlauben Verkehrsstaus und die Auslastung in Geschäften und Restaurants in Echtzeit anzugeben. All das ist relativ neu.
Sie haben von 20 Jahren gesprochen…
Ich erinnere mich gut an das Referat eines Experten aus Israel an einem Event im Tessin im Jahr 2004. Er sagte: Stellt euch eine Welt vor, in der alles, was gemessen werden kann, auch tatsächlich gemessen wird und dann gratis auf eurem Computerbildschirm zur Verfügung steht. Er erzählte von Lastwagen in den USA, die mit Sensoren ausgerüstet seien und die Werkstatt anvisierten, wenn sie spüren, dass irgendeine Maintenance-Aktion fällig würde. Das schien uns damals völig abstrus und futuristisch.
Aber inzwischen hat die Zukunft begonnen…
Jetzt ist sie da, und wir sehen jeden Tag, wie sie funktioniert und welche Auswirkungen sie hat. In der Schweiz hat die datenbasierte Wertschöpfung in der Breite etwa um 2015 angefangen. Heute gibt es zahlreiche Innovationen in diesem Bereich und Unternehmen, die bereits viel Fachwissen aufgebaut haben und damit gut verdienen. Daten sind ein wertvoller Rohstoff, aber um das Potenzial auszuschöpfen, das in ihnen steckt, braucht es Technologien wie Data Science und Machine Learning.
Welche Rolle spielt die Data Innovation Alliance dabei?
Unser Kernanliegen ist es, datengetriebene Wertschöpfungsprozesse zu ermöglichen. Das setzt einerseits technischen Sachverstand voraus, d.h. solides Wissen über Informatik und Datenauswertung. Genau so wichtig ist aber auf der anderen Seite das Business-Wissen, also die Fähigkeit, rund um diese Daten neue Businessmodelle zu erfinden. Ein Beispiel: Ein Unternehmen, das Maschinen baut, wird seine Wertschöpfungskette anders ausrichten, weil es sein Geld nun mit der Sensorik- und mit datenbasierter vorausschauender Wartung verdienen kann. Die 2017 gegründete Data Innovation Alliance bringt das Wissen und die Leute zusammen, die solche Lösungen gemeinsam bauen können.
Was ist die Motivation dahinter?
Der Glaube an die Innovation – an das Innovationspotenzial, aber auch den Innovationsbedarf. Und hier gibt es einen wunden Punkt: Sehr viele gute Projekte scheitern, weil sie nur in der Informatik aufgehängt sind, aber die «Geldverdienmechanik» fehlt. Oder weil sie, von Businessleuten mit einer Superidee angestossen, aus Mangel an technischem Sachverstand bei der Umsetzung scheitern. Aus dieser Erkenntnis hat sich die Alliance gebildet. Wir bringen die Schweizer Forschungsinstitutionen und die exzellenten Data Scientists und Machine-Learner, die in grossen Schweizer Firmen wie der Migros, der Mobiliar, SBB, Swisscom oder in innovativen KMUs tätig sind, zusammen und schauen, dass sie sich gegenseitig befruchten können. Das ist auch deswegen notwendig, weil es alles in allem noch viel mehr Neuland als erforschtes Territorium gibt. Wir alle sind immer noch auf dieser Entdeckungsreise: Da haben wir nun plötzlich diesen neuen Rohstoff und diese neuen Tools – und was bauen wir jetzt damit? Genau das ist die Dynamik, die die Digitalisierung vorantreibt.
Wie unterscheidet sich die Data Innovation Alliance von anderen Organisationen, welche die digtiale Transformation in der Schweiz vorantreiben wollen?
Unser Alleinstellungsmerkmal ist, dass wir nicht auf politischer Ebene tätig sind, sondern auf der Umsetzungsebene. Uns geht es nicht primär um die Gestaltung von Rahmenbedingungen, sondern wir wollen die Innovatoren zusammenbringen, die diese neuen Produkte und Dienstleistungen tatsächlich entwickeln. Dazu haben wir von Beginn weg darauf gepocht, dass datenbasierte Wertschöpfung neben Technik- und Businesskompetenz auch eine gewisse soziale Intelligenz und Verantwortung voraussetzt. Was wir hier bauen, muss auch sozial verträglich sein, um gesellschaftlich akzeptiert zu werden. Rund um die KI ist diese Diskussion in den letzten Jahren stark hochgekocht. Während es bei der ethischen Diskussion rund um die Digitalisierung während Jahren hauptsächlich um den Datenschutz ging, beschäftigt uns heute die Frage: Wie können wir sicherstellen, dass KI mit unseren gesellschaftlichen Werten wie Transparenz, Chancengleicheit oder Partizipation verträglich ist?
Was ist mit KMU, die Innovationsideen haben, aber vielleicht nicht über das genügende Fachwissen verfügen: Finden Sie bei Data Innovation Alliance Unterstützung?
Wir verfügen über einen Pool von über 500 Expertinnen und Experten aus Forschung und Wirtschaft. Auf dieses geballte Fachwissen können wir zurückgreifen, wenn Firmen sich an uns wenden. Wir betreiben zwei sogenannte Innovationsbooster, den «Databooster», der Ende dieses Jahres auslaufen wird und den «Innovation Booster Artificial Intelligence», der im Januar gestartet ist. Diese Initiativen stehen allen offen, insbesondere aber KMU. Sie sind speziell darauf ausgerichtet, Firmen am Anfang einer Innovationsidee abzuholen. Sie erhalten Zugang zu Spezialistenwissen in Form von Workshops. Dort wird ihre Idee analysiert und hinterfragt, auf ihre Marktfähigkeit und technische Umsetzbarkeit abgeklopft und geschaut, was nötig wäre, um sie tatsächlich zum Fliegen zu bringen. Oft führt das am Ende zu einem vollausgebauten Finanzierungsantrag an Innosuisse, die Schweizerische Agentur für Innovationsförderung.
Wie viele und welche Art von Projekten unterstützt der Databooster?
Im letzten Jahr wurden in interdisziplinären Teams über 100 Databoosterideen entwickelt und getestet; ein gutes Drittel davon erhielt in der Folge Fördergelder, um ihr Projekt mit geeigneten Partnern weiterzutreiben. Ein Beispiel ist das Startup Vivent, das ein Diagnosesystem zur Messung der Pflanzengesundheit entwickelt hat, mit dem Landwirte Stresssituationen wie z. B. eine Dürre frühzeitig erkennen können. Oder die Co-Creation-App CitizenTalk des Startups Crowdcoach, die es in Echtzeit möglich macht, gemeinsam Lösungen zu erarbeiten.
In welchen Bereichen der Schweizer Wirtschaft sehen Sie besonders viel Potenzial für datenbasierte Wertschöpfung?
Ein Bereich ist sicher die Fertigungsindustrie. Dort geht es darum, Maschinen mit Sensoren auszustatten oder die Daten der bereits vorhandenen Sensoren – Autos beispielsweise sind wahre Datenkanonen – auch tatsächlich auszuwerten. Dadurch kann man den Lebenszyklus dieser Anlagen besser managen, Ausfälle verhindern und den Output verbessern, insbesondere mit Remote-Technologien. Ein weiterer Bereich ist der Dienstleistungsbereich. Hier lässt sich vieles, was früher gute, mit ihren Kundinnen und Kunden vertraute Fachpersonen erledigt haben, mithilfe von datenbasierten Interessenprofilen automatisieren und maschinisieren. Grosse Möglichkeiten gibt es weiter in der Medizintechnik und insbesondere in der Personalisierten Medizin. Dort sind Daten der Schlüssel für Medikamente und Therapien, die die individuellen Eigenschaften von Patientinnen und Patienten berücksichtigen. Auch im Bereich von Self-Tracking-Apps, die physiologische Parameter erfassen, gibt es extrem spannende Anwendungen. Dies nur ein paar Beispiele, der wichtigste Punkt ist: Um Erfolg zu haben, braucht es keine Riesenmarktmacht. Es genügt, wenn sich ein paar clevere Leute zusammentun. Daten sind heute einfach zu erfassen und dann kann man loslegen. Es passiert auch unendlich viel – ich glaube, unsere Phantasie reicht nicht aus, um uns auszumalen, was hier noch alles möglich sein wird.
Und geht in dieser Hinsicht der Schweiz auch genug?
Ich nehme die Schweizer Innovationsszene als sehr lebendig wahr. Da gibt es viele grössere und sehr viele kleinere Unternehmen mit fantastischen Ideen. Aber es gibt auch ein Segment von etablierteren Firmen, die unnötig viel Behäbigkeit pflegen. Dort sehe ich noch viel ungenutztes Potenzial. Teilweise ist es eine Frage der Kompetenz: Data Science als Studiengang gibt es in der Schweiz erst seit 4 bis 5 Jahren. Dazu kommt auch immer noch viel Unsicherheit – dort setzen unsere Booster-Programme an. Und schliesslich folgt, gemäss dem Gartner-Hype-Zyklus, nach der ersten Begeisterung dann eben auch das Tal der Enttäuschung. Datenbasierte Wertschöpfung ist in der Umsetzung nicht trivial und setzt, gerade im industriellen Bereich, ein gewisses Durchhaltevermögen voraus.