Strom: Der Lebensquell der Digitalisierung
(cdh) – Nicht alle sehen ganz so schwarz wie der Wissenschaftsautor Thomas Grüter, der in «Offline!», einem 2013 publizierten Sachbuch das Ende der Informationsgesellschaft prophezeit: Noch in diesem Jahrhundert werde das Internet zusammenbrechen und damit würden all die globalen und lokalen Informationsnetze reissen, ohne die in unserer vernetzten und auf internetbasierte Steuersysteme angewiesenen Welt gar nichts mehr geht. Und je mehr Funktionen wir ans Internet delegieren – Zahlungsverkehr, Steuerung von Warenflüssen und Produktionsketten, von Gegenständen, Häusern und Fahrzeugen bis hin zu ganzen Städten – desto fataler müsste uns sein Ausfallen treffen. Für Grüter ist das Internet eine vom Menschen geschaffene immer komplexere Scheinwelt, die in Betrieb zu halten einen ungeheuren Aufwand voraussetze.
In der Schweiz gehört Swissgrid zu denen, die diesen Aufwand täglich leisten. Als nationale Netzgesellschaft ist Swissgrid gegenüber der Schweizer Bevölkerung dafür verantwortlich, dass die Stromversorgung reibungslos funktioniert – und ohne Strom gibt es kein Internet. Allerdings gilt das immer stärker auch umgekehrt: Ohne Internet, kein Strom. Denn längst gibt es, was Grüter «tückische Kreuzabhängigkeiten» zwischen den verschiedenen Versorgungssystemen nennt. Das gilt insbesondere für die Stromnetze der Zukunft. Beispielsweise für das geplante «Supergrid», das europäische Übertragungsnetz von morgen, das Strom aus vielen unterschiedlichen Quellen und aus dezentralen Anlagen in verschiedenen Ländern integrieren, verlustarm über grosse Enfernungen transportieren und bedarfsgerecht speichern oder verteilen können soll. Das Supergrid hängt von der ständigen Verfügbarkeit des Internets ab. Und Swissgrid, im Herzen Europas, wird Teil dieses neuen supervernetzten Supergrids sein.
Die Gefahr von Cyberangriffen ist sehr real
Fünf Fragen an Paul Niggli, Leiter Crisis Management & BCM, Swissgrid
asut: Wie stark ist das Schweizer Stromnetz vom Internet abhängig?
An und für sich gar nicht: Das sicherheitsrelevante Swissgrid-System für die Steuerung und Überwachung des Netzbetriebes läuft völlig getrennt vom Internet. Hingegen läuft alles, was mit dem Stromhandel und dem europaweiten Stromaustausch zu tun hat über das Internet. Im Notfall könnte man da aber auch auf andere Systeme ausweichen, auf Telefon und Fax beispielsweise.
asut: Wie gross ist die Gefahr von Cyberangriffen auf das Stromnetz?
Sie ist absolut real, das zeigt beispielsweise der Vorfall in der Ukraine, wo im Dezember 2015 eine Attacke die Stromversorgung grossflächig lahmlegte. Bei Swissgrid überwacht ein kleines Team permanent die Sicherheit und wehrt Angriffe an der Peripherie des Swissgrid-Netzes ab. Und je ausgeklügelter die Strategie der Angreifer, desto kompetenter wird auch die Abwehr: Aufgerüstet wird auf beiden Seiten.
asut: Wie stärken sie die Robustheit und Resilienz Ihrer Anlagen?
Durch organisatorische Massnahmen, wie der Trennung von Administratoren- und Schaltrechten und mit technischen Massnahmen wie redundanten Rechnerinfrastrukturen oder doppelt geführten Kommunikationsnetzen. Und weil sich in einem stark vernetzten System auch ein lokaler Ausfall überregional auswirken kann, ist es zudem wichtig, die lokale Sicherheit zu erhöhen und dafür zu sorgen, dass Ausfälle überbrückt werden können.
asut: Swissgrid ist für die Sicherheit des Schweizer Übertragungsnetzes zuständig. Tragen Sie diese Verantwortung allein oder arbeiten Sie im Bereich Sicherheit mit anderen zusammen?
Die Katastrophenvorsorge bei Swissgrid stützt sich auf die Sicherheitsempfehlungen des Bundes und arbeitet eng mit den entsprechenden Bundesstellen wie dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz zusammen. Kooperiert wird zudem mit den kantonalen Krisenstäben, mit anderen Betreibern von kritischen Infrastrukturen und auch der Armee. In diesem Bereich passiert sehr viel, beispielsweise finden regelmässig Übungen statt, um verschiedene Notlagen durchzuspielen. Regelmässig werden auch Szenarien dazu erarbeitet und Berechnungen durchgeführt, wie sich die Versorgungslage entwickeln könnte.
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Schwarzstart – Sicherer Netzbetrieb im Ernstfall
Wenn alles dunkel wird, muss Swissgrid dafür sorgen, dass der Strom so schnell wie möglich wieder fliesst. Dafür gibt es ein Verfahren, das sich «Schwarzstart» nennt.
Zuerst müssen in allen von einem Stromausfall betroffenen Regionen die Leitungen ausgeschaltet werden, weil sonst das Netz bei jedem Startversuch wieder zusammenbrechen würde. Dann kommen die rund zehn schwarzstartfähigen Kraftwerke der Schweiz ins Spiel. Denn jedes Kraftwerk braucht Strom um Strom zu produzieren. Die schwarzstartfähigen Kraftwerke können diesen Strom aber selber erzeugen. Mit ihnen werden erst kleine erleuchtete Inseln geschaffen, die dann nach und nach über die 140 Schaltanlagen von Swissgrid zu einem funktionierenden Netz zusammengeschaltet werden können.
Der Film «Schwarzstart» zeigt, wie Swissgrid mit Hilfe der Kraftwerke Oberhasli das Stromnetz wieder aufbauen kann und wie im Notfall die Zusammenarbeit mit der Schweizer Armee funktioniert. Sie würde zusätzliche Kommunikationsmittel zur Verfügung stellen.
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