AAL-Projekt Home4Dem: Unterstützende Lösungen für ein langes und gutes Leben in den eigenen vier Wänden.
Der demografische Wandel wird in den kommenden Jahrzehnten dazu führen, dass rund ein Drittel aller in der Schweiz lebenden Menschen 65 Jahre oder älter sein werden. Innovative Produkte und Dienstleistungen können dabei mithelfen, deren Lebensqualität und Unabhängigkeit zu verbessern. Dabei stehen die Menschen immer im Mittelpunkt und nicht die Technik. Diese ist Mittel zum Zweck und soll nicht nur die älteren Menschen zu Hause unterstützen, sondern auch deren betreuenden Angehörigen ein sicheres Gefühl geben und die professionellen Pflegefachkräfte entlasten.
Thematisch nennt sich dieses Forschungsgebiet Active & Assisted Living, kurz AAL. Ziel der AAL-Forschung ist es, älteren Menschen mit Hilfe von Technologien und Dienstleistungen zu ermöglichen, länger als heute in ihrer gewohnten Umgebung selbstbestimmt, autonom und mobil zu leben.
Dank neuer Kommunikationsmittel können ältere Menschen in Zukunft nicht nur sicherer wohnen, sie können ihnen auch dazu dienen, mit ihrem Umfeld in Kontakt zu bleiben. Dabei kann z.B. das Internet als Informations- und Kommunikationsplattform genutzt werden, um die Herausforderungen der sozialen Isolation älterer Menschen anzugehen. Die ältere Person wird dadurch in Ihrem Quartier mit Hilfe ihrer Nachbarn, der Gemeinde und professioneller Services besser mit eingebunden. Die neuen Plattformen können dabei mithelfen, eine sorgende Gemeinschaft (Caring Community) aufzubauen, zu organisieren und aktiv zu halten. So kann ein intelligenter Assistent beispielsweise auf den anstehenden Jass-Nachmittag hinweisen, zum gemeinsamen Spaziergang mit dem ebenfalls alleine lebenden Nachbarn anregen, die nächsten Angehörigen oder auch eine Vereinsversammlung über Video mit nach Hause bringen, einen Arzttermin vereinbaren oder mithelfen, eine Haushaltshilfe zu besorgen.
Gelingt es in der Gemeinschaft und mit der Unterstützung durch innovative Technologien und Dienstleistungen, dass Menschen bis ins hohe Alter gut und selbstbestimmt in ihren eigenen vier Wänden leben können, ist vielen geholfen: Den älteren Menschen selbst, deren Wunsch es häufig ist, zu Hause bleiben zu können, den Angehörigen, die beruhigt sein können im Wissen, dass ihre Liebsten gut versorgt sind, den professionellen Pflegenden, die ihre knappen Ressourcen besser einteilen können, ohne dabei Abstriche bei der Pflegequalität machen zu müssen, Dienstleistungs- und Systemanbietern, die neue Geschäftsfelder für sich entdecken, dem Staat, da er dadurch Kosten einsparen kann und schliesslich der Gesellschaft, die auch ihre älteren Mitglieder mit einbindet und ihnen ein würdiges und gutes Leben zu Hause ermöglicht.
Sensoren für Senioren – besser zu Hause als im Labor
Die meisten AAL-Projekte haben sich bisher mit der Erhöhung der Sicherheit (z.B. Notruf mit Sturzerkennung) und mit der Verbesserung der Lebensqualität befasst. Immer mehr spielt die Wohnumgebung in der Forschung jedoch auch eine Rolle, wenn es um objektive, unterstützende Informationen für behandelnde Ärzte und Pflegefachleute geht. Die Fachleute können diese nutzen zur Prävention, Diagnose und Behandlung von im Alter vermehrt auftretenden Syndromen und Krankheiten.
Ältere, eher fragile Menschen verbringen die meiste Zeit zu Hause in ihrer gewohnten Umgebung. Während ein Besuch bei einem Arzt oder ein vorübergehender Aufenthalt im Spital von eher kurzer Dauer sind und für die ältere Person eine Ausnahmesituation bedeuten, werden sie sich zu Hause am sichersten fühlen und am natürlichsten Verhalten. Dem Hausarztarzt oder einem Gerontologen steht in der Sprechstunde nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung, um z.B. das potentielle Sturzrisiko einer Person abzuschätzen. Zu Hause installierte Systeme können hier etwas länger auf die Person und ihr Verhalten achten. Da wir von in der Wohnung installierten Sensoren sprechen, sei an dieser Stelle angemerkt, dass gerade hier zum einen eine sehr hohe Aufmerksamkeit auf den Datenschutz, die Privatsphäre und die genaue Information der involvierten Personen gelegt werden muss. Diese oder ggf. ein Angehöriger müssen selbstverständlich immer das letzte Wort haben, wenn der Einsatz eines solches Systems zu Hause erwogen wird. Zum anderen wird ein solches System immer nur als zusätzliche, optionale Informationsquelle für eine medizinisch und pflegerisch geschulte Expertin dienen und sich trotz der eingesetzten künstlichen Intelligenz nie selbst an eine Diagnose wagen. Diese obliegt noch immer dem zuständigen Arzt, wie auch der Entscheid zur passenden Intervention oder Behandlung.
Am iHomeLab der Hochschule Luzern laufen zurzeit mehrere Projekte, die solche Systeme für zu Hause erforschen und testen. Ein AAL Projekt, das eben abgeschlossen wurde, heisst Home4Dem. Das angewandte Forschungsprojekt befasste sich mit Menschen mit Demenz, deren Angehörigen und Pflegenden. Es wurde zusammen mit 8 weiteren internationalen Partnern im Rahmen des Europäischen AAL-Programms durchgeführt. Zum Einsatz kamen dabei zwei kommerzielle AAL-Sensorsysteme aus Italien und der Schweiz. Diese wurden um weitere, multi-funktionale Sensoren aus der Forschung ergänzt. Nach der erfolgreichen Einreichung der lokalen Ethikanträge wurde Home4Dem zusammen mit Alters- und Pflegeinstitutionen in der Schweiz, in Italien, in Schweden und in Norwegen getestet. Das Ziel des Projektes war es, die kommerziellen Lösungen dahingehend zu erweitern, sodass sie zum einen kurzfristig auftretende Situationen erkennen, die eine unmittelbare Reaktion erfordern. Zum anderen sollten sie, aus den Sensordaten und mit Hilfe von Algorithmen des Maschinellen Lernens, auch in der Lage sein den Verlauf einer dementiellen Erkrankung mit zu verfolgen und mittelfristige Trends zu erkennen.
AAL-Projekt Home4Dem: Unerwartete Muster im Tagesverlauf können auf eine Notsituation hinweisen.
Bei den kurzfristigen Situationen handelte es sich z.T. um klassische SmartHome-Anwendungen, die speziell für die Zielgruppe und auch für die Anforderungen der jeweiligen Länder angepasst wurden. So erkannten die Systeme einen vergessenen, laufenden Herd durch Hitze-, Rauch- oder Gasentwicklung und Betreuende konnten über eine App rechtzeitig vor einem drohenden Zwischenfall gewarnt werden. Über Bettsensoren war es zudem möglich von den Gewohnheiten der Bewohner zu lernen und auf unerwartete Ereignisse zu reagieren, z.B. in der Situation in der eine Person um 11:00 Uhr morgens noch immer im Bett liegt, obwohl sie dieses normalerweise zwischen 7:30 und 9:00 Uhr verlässt. Oder bei einer Person, die in der Nacht ihr Bett verlässt und auffällig lange nicht mehr zurückkehrt. Neben dem Aspekt der Sicherheit können Informationen dazu, wie oft und wie lange jemand nachts das Bett verlässt, ambulanten Pflegekräften, die dann meist nicht vor Ort sind, hilfreich sein. Sie können bei kurzfristigen Veränderungen z.B. auf eine potentiell für ältere Menschen gefährliche Harnwegsinfektion hindeuten oder Hinweise darauf geben, dass sich der Tag-Nacht-Rhythmus des dementen Menschen verändert hat. Eine weitere Home4Dem-Funktion informierte eine registrierte Betreuende, wenn eine Person in unerwarteter Weise die Wohnung verlassen bzw. sie auch wieder betreten hat.
Um die längerfristigen Trends aufzuzeigen wurden in einem ersten Schritt über die Sensoren sog. Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) identifiziert. Dieser im Gesundheits- und Pflegebereich verwendete Grundbegriff bezeichnet wiederkehrende Tätigkeiten zur Erfüllung der physischen und psychischen menschlichen Grundbedürfnisse [Quelle: Wikipedia]. ADL werden in zwölf Gruppen unterteilt zu denen z.B. «sich bewegen», «sich waschen und kleiden» oder «essen und trinken» gehören. Damit geben sie indirekt einen Hinweis darauf, wie selbstständig jemand seinen Alltag zu Hause noch meistern kann. ADL wurden mit verschiedenartigen Sensoren und Algorithmen erkannt und den Pflegenden in einer App visuell in Form eines 24h-Tagesablaufs angezeigt. Dabei bestand die Möglichkeit, verschiedene Tage miteinander zu vergleichen. Um Trends zu erkennen haben die Algorithmen Veränderungen über eine längere Zeit analysiert. Diese weisen zum Beispiel auf typisch auftretende Muster einer Demenz wie «in der Wohnung herumwandern» oder häufige Wiederholungen bestimmter Tätigkeiten hin.
Die Feldtests verliefen vielversprechend und so geht es nun nach dem Projektende in einem nächsten Schritt darum, die gewonnenen Erkenntnisse und Projektresultate in einem Modul umzusetzen, das die Firmenpartner als Zusatzservice zu ihren Sensorsystemen anbieten können