Der Sensor auf dem Feld: Wie die Digitalisierung die Landwirtschaft verändert

Kulturpflanzen unter ständiger Beobachtung.                               Foto: ETH Zürich

Auf einem Versuchsfeld in Lindau ZH verfolgen Kameras und Sensoren präzise das Wachstum der angebauten Pflanzen. ETH-Forscher sind sicher: Das wird das Berufsbild der Landwirte verändern.

Es war ein Fussballspiel der Bundesliga, das den ETH-Agrarwissenschaftler Achim Walter inspirierte. Kameras schwebten über das Spielfeld. Und die Idee, die er da hatte, liess ihn nicht mehr los. Sieben Jahre später wird der Einfall Realität: ein Hightech-Versuchsfeld auf dem ETH-Betrieb in Lindau-Eschikon, mit vier 24 Meter hohen Masten in den Ecken. Dazwischen sind acht Führungsseile gespannt, die einen daran befestigten Sensorkopf mit verschiedenen Kameras an jeden beliebigen Punkt des Feldes steuern können. Ende Juni wurde das neue Versuchsfeld offiziell eingeweiht.

Die Kameras machen von jeder einzelnen Pflanze auf dem Feld eine Vielzahl von spezialisierten Aufnahmen. «Die bildgebende Sensorik auf dem Acker wird immer wichtiger», sagt Walter. «Unsere Anlage wird der Grundlagenforschung in diesem Bereich einen wichtigen Schub geben.» In der Pflanzenzüchtung können die Eigenschaften neuer Sorten schneller geprüft werden. Aber auch die Technologieentwicklung, zum Beispiel im Bereich der Sensoren, wird profitieren.

Bekannt von Fussballplätzen

Der Sensorkopf ist mit einer Farbbild-, einer Multispektral- und einer Wärmebildkamera sowie zwei Spektrometern ausgestattet. Bei Bedarf kann ein 3-D-Laser-Scanner zugeschaltet werden. Die Positionssteuerung wurde von derselben Firma, Spidercam, geliefert, die auch die Kameras auf den Fussballplätzen steuert. «Mithilfe der verschiedenen Sensoren können wir eine ganze Reihe wichtiger Parameter in einem Zug erfassen», sagt Achim Walter.

Nicht nur Entwicklungszustand und Bodenbedeckung der Ackerfrüchte können so präzis gemessen werden. Die Infrarotkamera zum Beispiel registriert Änderungen der Transpiration und der Stoffwechselrate der Fotosynthese und kann so möglicherweise früh Pflanzenkrankheiten erkennen. Bei Pilzkrankheiten sollen die Farbspektrometer dereinst Verfärbungen der Blätter frühzeitig erkennen und der richtigen Krankheit zuordnen.

Im Eiltempo Daten erfassen

Das 1 Hektar grosse Feld ist derzeit in sechs kleinere Flächen von 35 auf 40 Meter unterteilt. Darauf sind für das erste Versuchsjahr verschiedene Kulturpflanzen wie Weizen, Mais, Soja oder Futtergräser angesät worden. Vom Weizen zum Beispiel haben die Forscher auf 700 verschiedenen Miniplots 340 genetisch unterschiedliche Varietäten angesät, deren Wuchseigenschaften nun minutiös verfolgt werden.

Leise surrt der Sensorkopf an die gewünschte Position, und macht Aufnahmen, die am Computer im Steuerstand nebenan analysiert werden. Dann bewegen sich die Kameras zwei Meter weiter, und die Datenarbeit beginnt von neuem. «Die 700 verschiedenen Weizenplots zum Beispiel kann unsere Kamera an einem Nachmittag in drei Stunden fotografieren und Unterschiede zwischen den einzelnen Varietäten feststellen», sagt Achim Walter. Der 3-D-Laser-Scanner hat kontinuierlich Karten des Maisfelds erstellt und daraus die Wuchsraten gemessen und nach Tageszeiten geordnet. Bereits gibt es Resultate: Der Mais wächst dann am besten, wenn es wirklich warm ist. An Spitzentagen erreicht er auf dem Versuchsfeld Wuchsraten von bis zu 7 Millimetern pro Stunde und 10 Zentimeter pro Tag.

Aufwendig angepasste Software

Die ganze Anlage hat 1,8 Millionen Franken gekostet, der Sensorkopf alleine dürfte auf mehrere 100'000 Franken zu stehen kommen. 2014 waren alle Bauten erstellt, danach musste in einer aufwendigen Entwicklungsphase die Software an die Aufgaben angepasst werden. Mehr als ein Jahr Entwicklungsarbeit war dazu nötig. Anders als bei einer Kamera über einem Fussballfeld muss die Steuerung sehr viel präziser sein, und der Sensorkopf muss jede Position wiederholt einnehmen und automatisiert die verschiedenen Systeme aktivieren können.

Die Digitalisierung der Landwirtschaft schreitet unaufhaltsam voran. Dabei geht nichts ohne ausgefeilte Sensoren und Bildaufnahmen, welche verlässliche und realistische Angaben über das Wachstum zum Beispiel von Ackerpflanzen liefern. Laut Walter arbeiten weltweit rund 10 bis 20 Gruppen intensiv an der Weiterentwicklung dieser Technik. Die meisten setzen auf Drohnen, manche auf Traktoren oder Schienensysteme. Eine Spidercam wie die ETH hat jedoch keiner. «Unsere Anlage hat gegenüber Drohnen den Vorteil, dass sie präzise an einen gewünschten Ort gesteuert werden kann, um eine Pflanze auch von ganz nah zu beobachten», sagt Walter.

Zudem erzeugt die Kamera keinen sogenannten Downwash. Damit wird der Luftwirbel unter den Drohnen bezeichnet, der die Blätter bei der Aufnahme bewegt und so die Messwerte verzerrt. Andere Methoden sind noch invasiver, wenn zum Beispiel ein kamerabestückter Traktor tiefe Furchen in einem feuchten Feld hinterlässt. Die Spidercam über dem ETH-Versuchsfeld dagegen schafft es, eine gewünschte Pflanze von ganz nah und aus verschiedenen Blickwinkeln aufzunehmen. Gerade so, wie es der Bauer auch macht, wenn er sich auf dem Acker hinunterbeugt und ein Pflänzchen in die Hände nimmt, dreht und wendet, bis er etwas findet.

Sensoren für den Bauer

«Die Präzisionslandwirtschaft, wie wir sie uns vorstellen, macht die ganze Branche nachhaltiger», ist Achim Walter überzeugt. Dank der Vielzahl von im Netzwerk vorhandenen Informationen über eine bestimmte Kultur werden die Bauern besser entscheiden können, was sie auf ihrem Feld anbauen sollen. Und Sensoren unterstützen sie beim Erkennen von Krankheiten oder der Auswahl von Dünger oder Pestiziden. Noch wird die Sensortechnik allerdings weiterentwickelt werden müssen.

«In 10 bis 20 Jahren wird der Bauer selber viel mehr Sensorik über das Feld führen», sagt Walter, «sei es mit dem Smartphone, mit Drohnen, mit Feldrobotern oder mit den Traktoren.» Die Bilder, die diese Sensoren dann ausspucken, werden aber nur nützlich sein, wenn die Datenauswertung auf einen sinnvollen Datensatz an relevanten Kulturen in unterschiedlichen Umweltsituationen zurückgreifen kann. Die grundlegenden Informationen dazu wollen Walter und seine Kollegen in verschiedenen Projekten, unter anderem auch mit Forschern der landwirtschaftlichen Forschungsanstalt Agroscope, mit dem neuen System erarbeiten.

Dieser Artikel wurde erstmals am 26. Juni im Tages-Anzeiger publiziert. Übernahme mit freundlicher Genehmigung von www.tages-anzeiger.ch

Matthias MeiliTages-Anzeiger matthias. meili@tages-anzeiger.ch

Matthias Meili hat an der ETH Zürich Biochemie studiert. Nach mehrjähriger Erfahrung in den Wissenschaftsressorts von «Weltwoche» und «NZZ am Sonntag» sowie als freischaffender Wissenschaftsjournalist leitet er heute das Ressort Wissen des Tages-Anzeigers.