Fünf Fragen an Jürg Müller, Co-Autor des Avenir-Suisse-Analysepapiers
asut: Käme ein Moratorium wirklich einem Technologieverbot gleich, wie Sie in Ihrer Analyse sagen?
Jürg Müller: Ein Moratorium will den Einsatz einer Technologie auf eine gewisse Zeit verbieten. Wir wissen von anderen Moratorien, dass dies am Ende oft zu langanhaltenden Technologieverboten führt. Ein Beispiel dafür ist das Gentechmoratorium, das inzwischen selbst von einigen grünen Politikern hinterfragt wird. Wer eine Technologie durch ein Verbot komplett aus der Welt schaffen will, verunmöglicht damit auch ihre Chancen.
Die heftigen Reaktionen gegen 5G haben Sie überrascht?
Eigentlich ist ja bekannt, dass der Mobilfunk – den die breite Bevölkerung rege nutzt und schätzt – sich seit Jahrzehnten in Schüben weiterentwickelt. Auf den ersten Blick scheint auch 5G alles andere als bahnbrechend zu sein. Der neue Standard soll wie seine Vorgänger eine schnellere und effizientere drahtlose Verbindung ermöglichen. So weit, so normal. Dass gerade hier nun ein Vollstopp gemacht werden soll, steht quer in der Landschaft. Gleich fünf Komitees arbeiten derzeit an Volksinitiativen zu diesem Thema; eine solche Initiativenflut zur Abwehr einer neuen Technologie hat das Land noch nie gesehen.
Was den Verdacht nahelegt, dass es bei dem Anti-5G-Furor vielleicht um etwas anderes geht?
Die Auswirkungen eines neuen Mobilfunkstandards sind nicht intuitiv zu erfassen – sowohl die künftigen Risiken als auch die Chancen bleiben diffus. Das mag die derzeitige Verunsicherung teilweise erklären. Gleichzeitig habe ich den Eindruck, dass sich in den letzten Jahren gewisse Teile der Bevölkerung von Wirtschaft und Wissenschaft distanziert haben und eine Art generelles Misstrauen gegenüber dem Fortschritt zelebrieren. Wie absurd das ist, hat sich in der gegenwärtigen Krise gezeigt: Wir alle sind die Wirtschaft, wir alle sind Teil dieses Systems und unser Wohlstand ist nicht einfach gottgegeben, es braucht die Anstrengung der grossen und kleinen Unternehmen, der Start-ups, aller Arbeitnehmenden sowie funktionierende Infrastrukturen, um ihn bewahren zu können. Und von Wissenschaft und Technologie profitieren wir alle: Dass sich in der Corona-Pandemie nun alle die Hände waschen, basiert auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und hilft Menschenleben retten – es ist keine Verschwörung der Seifenkonzerne mit der Wissenschaft.
Sie fordern, dass der Bund sich nicht länger vor seiner Verantwortung drücken soll.
Die Frequenzen sind versteigert, der Rollout auf den Netzen hat bereits begonnen, viel zügiger als im Ausland sogar. Doch der Bund, der längst A gesagt und sich klar zur Digitalisierung bekannt hat, will nun einfach nicht B sagen. Das Dossier ist beim federführenden UVEK unverständlicherweise blockiert, die nötigen Vollzugshilfen werden nicht ausgearbeitet und die Verantwortung dafür wird zwischen verschiedenen Ämtern hin und her geschoben. Es gibt keine Rechtssicherheit und die Kantone wissen nicht, woran sie sind. Sogar die vier Bundesratsparteien sind gespalten. Zwar spricht sich auch von ihnen jede für Fortschritt und digitalen Wandel aus, in jeder gibt es aber neben vehementen Befürwortern von 5G auch solche, die den neuen Standard unbedingt verhindern wollen. Es ist eine zutiefst unbefriedigende Situation.
Wäre es denn wirklich so schlimm, wenn die Schweiz auf 5G verzichten würde?
Daran könnte man auf den ersten Blick natürlich zweifeln: Seit gut zwanzig Jahren fordern die Schweizer Telkos höhere Grenzwerte, weil sonst die Netze nicht modernisiert werden könnten und ihre Qualität nicht mehr garantiert sei. Und seit zwanzig Jahren haben wir die besten Netze im DACH-Raum und sind auch weltweit bei der Spitze. Wer immer nach dem Wolf schreit, dem glaubt man irgendwann nicht mehr – da sind unsere Telkos ein Stück weit Opfer ihres eigenen Erfolges. Aber selbst ein verzögerter Rollout von 5G wäre weit weniger schlimm als ein Moratorium. Denn das wäre wirklich ein Statement von ungeheurer Symbolkraft: gegen die Digitalisierung, gegen die Technologie und den Fortschritt. Wir würden damit der Welt signalisieren, dass wir es uns hier in diesem Land gemütlich eingerichtet haben, keine neuen Infrastrukturen brauchen und dafür auch einen Strukturrückbau in Kauf nehmen – was letztlich zu Lasten der Wohlfahrt gehen wird.