Das Zürcher Tech-Startup Klenico will die Psychiatrie-Diagnosen revolutionieren. Die Coronakrise kommt da nicht ungelegen.
Von Dominic Wirth
Psychotherapie aus der Ferne, per Telefon oder Videoanruf: Bis vor kurzem war das noch Zukunftsmusik. Doch die Coronakrise hat das geändert. Weil Psychiater und Psychologen ihre Patienten nur noch in Ausnahmefällen persönlich sehen dürfen, finden derzeit viele Therapien online statt. Und wenn es nach dem Startup Klenico geht, soll die Corona-Krise gleich den nächsten Digitalisierungsschub bringen: die Diagnose per Mausklick.
Im letzten Herbst hat die Zürcher Firma eine Software auf den Markt gebracht, die das ermöglicht. Die Gründer haben ein grosses Ziel: die digitale Revolution der psychiatrischen Diagnose. Vor kurzem, sagt CEO Richard Etter, sei der 1000. Patient mithilfe der Software diagnostiziert worden. Ein Meilenstein, der laut Etter nur der Anfang sein soll für das Startup, das ein Spinoff der Universität Zürich ist. Kopf und wissenschaftlicher Leiter ist Damian Läge, Titularprofessor für Psychiatrie an der Universität Zürich.
Klenico-Symptomkarte: psychische Gesundheit auf einen Blick. © CH Media
Die Psyche röntgen
Das Klenico-System nähert sich der Psyche des Patienten mit einem mehrstufigen Verfahren an. Am Ende liegt ein Ergebnis vor, das Etter als «Röntgenbild des psychischen Zustands» bezeichnet. Alles beginnt mit einem Link, welchen der Patient von seinem Therapeuten zugeschickt erhält. Per Laptop, Tablet oder Smartphone beantwortet er dann eine Reihe von Fragen, wobei das System die Antworten laufend auswertet und dort nachhakt, wo es Auffälligkeiten erkennt. Es fragt den Patienten in einem ersten Schritt etwa, ob er sich nichts mehr zutraue, leicht reizbar sei oder innerlich angespannt.
Insgesamt kennt das System rund 400 Symptome, welche die Diagnose aus den 21 grossen Bereichen der Psychiatrie - von Psychosen über Depressionen bis zu Angststörungen oder Abhängigkeitserkrankungen - ermöglichen. Es orientiert sich an den gängigen diagnostischen Verzeichnissen der Psychiatrie. Am Ende des Frageprozesses steht eine so genannte Symptomkarte. Auf einen Blick sehen Therapeut und Patient, welche Symptome vorliegen und auf welches Krankheitsbild sie hindeuten. Unterschiedliche Farbtöne zeigen, in welcher Ausprägung das der Fall ist. Das soll ein individuelleres Bild zeichnen als die heute üblichen Fragebögen - und so auch die Behandlungsqualiät verbessern.
Von Swissmedic zugelassen, von der Kasse bezahlt
Die Aufsichtsbehörde Swissmedic hat das Klenico-System im letzten Herbst als Medizinalprodukt zugelassen. Der Test kann bei der Krankenkasse abgerechnet werden. 60 Franken kostet eine Diagnose; der Betrag wird erneut fällig, wenn ein Psychiater nach einigen Monaten den Zustand seines Patienten neu vermessen will.
Richard Etter sagt, Klenico habe eine «starke Mission», aber natürlich gehe es auch darum, zu wachsen und ein internationales Unternehmen aufzubauen. Die digitale Diagnose soll Kliniken, Psychiatrie-Praxen und Hausärzten die Diagnose und Triage erleichtern – und letzten Endes «den Weg zur richtigen Therapie abkürzen», sagt Etter. Etter glaubt, dass sich so auch die Versorgungssituation verbessern lässt, weil die heute üblichen langen Wartezeiten bis zur ersten Therapiesitzung kürzer würden.
Das Coronavirus gibt bei Klenico einiges zu tun
Bei Klenico gebe es gerade einiges zu tun wegen der Corona-Krise, so Etter, man arbeite «Tag und Nacht», die Nachfrage sei hoch. Bestehende Kunden, psychiatrische Kliniken und Praxen, setzten das System vermehrt ein. Gleichzeitig steigt die Zahl der neuen Anfragen. Normalerweise dauern Verhaltensänderungen lange, gerade in der Medizin, wo die Digitalisierung der Prozesse bis heute stockt. Doch die Corona-Krise, hofft Etter, könnte den Prozess beschleunigen und etwa telemedizinischen Angeboten zum Durchbruchverhelfen. Den Datenschutz gewährleistet seine Firma mit einer strikten Trennung der persönlichen Angaben und der Gesundheitsdaten.
Benedikt Hell, Experte für psychologische Diagnostik, befasst sich an der Fachhochschule Nordwestschweiz unter anderem mit digitalen Diagnosetools. Er sagt, die Grundidee, die Diagnostik zu standardisieren und mithilfe von intelligenter Software zu optimieren, halte er für gut und zukunftsweisend. «Solche Tools sind eine sinnvolle Ergänzung für die Psychiater», so Hell.