Interview: Christine D'Anna-Huber
Marcel Dobler hat 2001 mit zwei Kollegen eines der erfolgreichsten Schweizer Startups gegründet: Innerhalb von 13 Jahren entwickelte sich die Digitec AG zum grössten Online-Shop der Schweiz mit rund 500 Millionen Franken Umsatz. Hier erklärt er, was Startups brauchen, um zum Fliegen zu kommen.
asut: Was würden Sie im Rückblick anders machen?
Marcel Dobler: Wir haben viel gelernt, weil wir auch viel falsch gemacht haben. Könnte ich nochmals zurück, würde ich wohl die damaligen Fehler vermeiden und wäre deutlich schneller.
Zum Beispiel?
Wir sind bereits während dem Studium gestartet und haben mit Null Mitarbeitern angefangen. Als ich die Firma verkaufte, waren es schon 500. In so kurzer Zeit alle Stufen vom Kleinst- zum mittelgrossen Unternehmen zu durchlaufen ist hinsichtlich der Personalplanung eine Herausforderung. Wir mussten auch zuerst lernen, die Massnahmen und deren Auswirkungen abzuschätzen. Beispielsweise starteten wir grosse Werbeaktionen, ohne uns viel Gedanken über deren Relevanz für die Umsätze zu machen: Mit dem Resultat, dass wir plötzlich überlastet waren.
Welchen Ratschlag würden Sie Junggründern geben?
Eine gute Idee allein reicht nicht. Die Mitarbeiter sind zentral und das Kapital jeder Firma. Wichtig ist auch der Austausch mit Andersdenkenden; wer nur Gleichgesinnte um sich schart, kommt nicht weiter. Innovation entsteht insbesondere dann, wenn unterschiedliche Ansichten aufeinandertreffen. In meinen Augen ist auch eine gewisse Selbstreflexion massgebend. Es ist eine Stärke zu wissen, wo man seine Schwächen hat und Unterstützung braucht.
Ist es heute einfacher, ein gutes Netzwerk aufzubauen?
Zu unseren Anfängen existierten kaum Vernetzungsmöglichkeiten über das Internet. Im IT-Bereich gab es weder Startup-Vereinigungen noch andere Förderinstrumente. Heute gibt es ein ganzes Ökosystem mit zahlreichen Gefässen wo sich Startups und Spin-offs Rat, Hilfe und Unterstützung holen können: Aktiv sind insbesondere die beiden Eidgenössischen Technischen Hochschulen ETHZ und EPFL, es gibt den Swiss Entrepreneurs Fund von Altbundesrat Schneider-Ammann und diverse kantonale Standortförderungsprogramme und Startup-Initiativen von Banken und Versicherungen.
Gibt es ein Erfolgsrezept für Startups?
Nebst einem guten Team braucht es sicher zwei Voraussetzungen: Wer ein Startup gründet, muss erstens sicher sein, dass der Markt ein Wachstum überhaupt zulässt. Hätten damals alle Grossen – von Media Markt über Interdiscount bis Fust – den Markteintritt ins Internet nicht völlig verschlafen, hätte Digitec niemals so stark wachsen können. Und zweitens muss das Timing für die Idee stimmen.
Wie beurteilen Sie die Rahmenbedingungen für Jungunternehmen in der Schweiz heute?
Für Startups essenziell ist sicher ein stabiles Rechtssystem. In diesem Zusammenhang hätte die Konzernverantwortungsinitiative der Schweiz als Standort für innovative Firmengründungen schaden können. Absolut zentral ist weiter das Bildungssystem und die Verfügbarkeit von qualifizierten Mitarbeitern – in beiden Bereichen ist die Schweiz top. Auch was die generelle Steuerbelastung und die Bürokratie betrifft, stehen wir insbesondere im Vergleich zum Ausland relativ gut da. Wir müssen aber Sorge dazu tragen, damit die Situation in der Schweiz attraktiv bleibt.
Und wo hapert es?
Ich sehe vor allem zwei Probleme: Einerseits ist es in der Schweiz noch immer sehr schwierig, grössere Mengen an Risikokapital aufzutreiben – im Gegensatz etwa zu den USA, wo sich die Pensionskassen massiv beteiligen. Und zweitens werden Startups unnötig Steine in den Weg gelegt bei der Besteuerung von Beteiligungen von Investoren und Inhabern.
Wo können wir von anderen lernen?
Es wäre sehr wertvoll, auch hierzulande eine produktive Fehlerkultur zu entwickeln. Für die Zukunft eines Unternehmens ist es Gift, wenn zehn Leute an einem Tisch sitzen und die Hälfte davon aus Angst, etwas Falsches zu sagen, keine Meinung hat. Bei Digitec haben wir viele Fehler gemacht, aber daraus immer auch viel gelernt. Es darf keine Denkverbote geben. Und es sollte akzeptiert werden, dass auch ein guter Unternehmer ab und zu einen schlechten Riecher hat. Vielleicht fliegt er dann eben zuerst zweimal auf die Nase, bevor er beim dritten Mal einen Riesenerfolg landet. Das Risiko, das Firmengründer eingehen, wird bei uns im Gegensatz zu anderen Ländern nicht genügend gewürdigt: Sie setzen alles auf eine innovative Idee, gehen Risiken ein, schaffen Arbeitsstellen und übernehmen Verantwortung für ihre Mitarbeitenden: Das verdient Wertschätzung und Respekt.