(Foto: Piqsels)
Von Martina Kurth
COVID-19 wird für den europäischen ICT-Sektor wegweisend. CIOs müssen die tiefgreifenden und langfristigen Auswirkungen der Krise auf ihre Strategie im Bereich der digitalen Technologie berücksichtigen. Die Umstände während der Pandemie haben, nicht ganz freiwillig, grosse Veränderungen im Verhalten und der Investitionsbereitschaft von Anwenderinnen und Anwendern, in der Geschäftsabwicklung als solche und in den sozialen Interaktionen hervorgebracht. Diese strukturellen Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft werden bis mindestens 2025 anhalten. Letztendlich wird die neue «aufstrebende Digital-Gesellschaft» in der Zeit nach COVID-19 die Transformationsstrategien der Unternehmen untermauern und fördern. Zudem werden CIOs auch von der «neuen Normalität» profitieren, was die Paradigmen des Remote Operating und die standortunabhängige Gewinnung von neuen Technologie-Talenten betrifft.
Das Marktforschungsunternehmen IDC sieht eine Reihe von wichtigen Implikationen von COVID-19, die die digitale Strategie und Umsetzung unweigerlich beeinflussen werden:
Die digitale Verhaltensrevolution: Vor allem wird COVID-19 zu einem Katalysator oder Beschleuniger der digitalen Transformation im ICT-Sektor werden. Die gute Nachricht ist, dass die auferlegten Massnahmen Endanwenderinnen und -anwender sowie bislang widerstrebende Unternehmen und Regierungen dazu gezwungen haben, die Digitalisierung endlich auch anzunehmen.
Lockdowns, Remote-Arbeiten und -Aktivitäten sowie die eingeschränkte Bewegungsfreiheit haben eine grosse Nachfrage nach neuen Technologien und Dienstleistungen für die Digitalisierung von Geschäftsmodellen ausgelöst. Wir haben eine enorme Verbreitung und Inanspruchnahme von Online-Diensten (Online-Shopping, digitale Zahlungen, digitale Identitäten, digitale Kanäle) erlebt. Neue digitale Geschäftsmodelle entstanden innerhalb kürzester Zeit, wie z. B. im Bereich der Telemedizin, des Ambient Screening oder der Echtzeitanzeige von Krankenhausbetten.
Digitale Geschäftsmodell-Innovation: Bei der Planung ihrer digitalen Strategie bis 2025 erkennen die CIOs jedoch auch, dass die Digitalisierung nicht ohne neue Geschäftsmodelle funktionieren wird, wie z. B. die Umstellung auf digitale, ereignisgesteuerte Konsummodelle, die sich durch Transaktions-, Interaktions- und kognitive Abläufe auszeichnen.
Wir werden eine Beschleunigung neuer digitaler Industriezweige wie Multi-Tenancy- oder B2B2C-Geschäftsmodelle erleben. Gleichzeitig wird die Krise einige etablierte Wirtschaftszweige wie etwa den Einzelhandel, Fluggesellschaften, das Gastgewerbe oder die Veranstaltungsbranche transformieren, beispielsweise durch das Online-Shopping, die Rückverfolgbarkeit von Sicherheitsvorkehrungen bei Pandemien, Video-Fernüberwachung, IoT-Vernetzungen und Smart Cities.
Beschleunigung der Digitaltechnologie: Die oben erwähnte Verschmelzung von neuen Geschäftsmodellen und Innovationen im Unternehmenssektor wird den Einsatz von KI, Cloud- und datengesteuerten Software-Verfahren mehr oder weniger erzwingen. Das Datenvolumen für Digital Services wird riesig sein, was die Bandbreiten-Upgrades der IT-Infrastruktur (Netzwerk, privates 5G-Netzwerk, Public Cloud) vorantreibt.
Die Konkurrenz von Internet- und Over-The-Top-Akteuren (OTT*) wie Google, Facebook, Amazon wird zunehmen, neue Technologien wie 5G, IoT und AI forcieren die Einführung der digitalen Wirtschaft. CIOs müssen eine agile Führungsrolle übernehmen beim Versuch, ihr Unternehmen in der neuen Ära nach COVID-19 neu zu erfinden.
Die neue Art der Arbeit: Die flächendeckende Ausbreitung der Digitalisierung erfordert in erster Linie tiefgreifende Veränderungen im Geschäfts- und Betriebsmodell des Unternehmens, die mit den Fähigkeiten und dem organisatorischen Change-Management verflochten sind. Die Art und Weise, wie man arbeitet sowie die Schaffung, Gestaltung und Bereitstellung von Diensten werden sehr viel näher am OTT-Modell liegen, bei dem die Art der Dienstleistungen eher transaktionaler und kognitiver Natur ist.
Remote Everywhere: Remote-Arbeit wird der wahrscheinlich grösste strukturelle «Machtwechsel» sein und in jedem Fall fortbestehen. Sie wird sich als unsere «neue Normalität» etablieren: Einige Unternehmen haben bereits angekündigt, sie zu einer dauerhaften Politik machen zu wollen (z. B. Facebook).
Neue Gestaltung der Lieferantenbeziehungen: Die Neugestaltung der Beziehungen zu externen Lieferanten zugunsten lokaler Lieferanten bzw. Kundenbetreuungsteams wird an Bedeutung gewinnen, ebenso sehen wir eine Tendenz zum Insourcing. Zu den offensichtlichsten Veränderungen im Business gehören die Anpassung der Beschaffungskriterien für Lieferanten, die Verlagerung auf Near- und Local Shoring sowie digitale Key Performance Indicators (KPIs), die strategische Technologieinvestitionen unterstützen. Die Lieferanten müssen im gleichen Modus mit den Design- und Deploymentteams der internen Operationen zusammenarbeiten.
CIOs haben eine Chance, Innovation in der Krise weiter zu beschleunigen und langfristigen Nutzen daraus zu ziehen. Hier ein paar entscheidende Punkte:
- Arbeiten Sie in einem konstanten iterativen Innovations- und Inkubationsmodus, um der Entwicklung der Digitalisierung in der neuen Welt Rechnung zu tragen.
- Positionieren Sie sich in den neuen digitalen Wertschöpfungs-Ökosystemen in der von OTT dominierten digitalen Wirtschaft.
- Etablieren Sie ein Planungs- und Umsetzungsteam, um die Veränderungen von COVID-19 zu implementieren; multidisziplinäre Teams bestehen dabei optimalerweise aus den Fachbereichen IT und Netzwerk sowie HR.
- Denken Sie daran, anpassungsfähige Organisationsmodelle, die Entwicklung von Kompetenzen und das Management des kulturellen Wandels zu fördern. Denn diese werden die wichtigsten Katalysatoren für CIOs sein, um in der neuen Ära eine agile Führung zu demonstrieren, die den Erfolg der digitalen Technologietransformation massgeblich vorantreibt.
* Der Begriff Over-the-top (OTT) bezieht sich auf die Übermittlung von Inhalten über Internetzugänge, ohne dass ein Internet-Service-Provider in deren Kontrolle oder Verbreitung involviert ist.