Einfluss der Digitalisierung auf Stadt und Land

Von Jolanda Zurfluh

Die Digitalisierung beeinflusst unser Leben in allen Bereichen auf unterschiedliche Art und Weise – bewusst und unbewusst. In Bezug auf die Fragen der Raumentwicklung verändert die Digitalisierung, wie wir unsere Umgebung wahrnehmen und wie wir uns im Raum bewegen, respektive ihn nutzen. Beispiele aus dem Alltag illustrieren dies und werfen Fragen auf:

Verkehrsdaten in Echtzeit erlauben uns, gewisse Verkehrssituationen frühzeitig zu erkennen und beispielsweise einen Stau zu umfahren. Das Risiko aus Sicht der Raum- und Verkehrsplanung besteht dann darin, dass der Verkehr auf Quartierstrassen geleitet wird, womit die Lebensqualität der Anwohnenden negativ beeinflusst wird. Solche Entwicklungen machen es für die Planung schwierig, den Verkehr gezielt räumlich zu lenken. Wie können Städte und Gemeinden darauf reagieren?

Informationen zu Freizeitrouten wie Wander- und Velowege werden immer öfter über Apps, Websites oder Social Media dargestellt und verbreitet. Wir informieren uns online über Ausflugsziele und planen unsere Routen entsprechend. Vor Ort sind Wegweiser dann nur noch Zusatzinformationen und nicht mehr zwingend notwendig, um den richtigen Weg einzuschlagen. Für den Tourismus, aber auch zum Aufzeigen der Naherholungsangebote einer Gemeinde kann dies genutzt werden. Bei unkontrollierter Bewerbung einzelner Ziele über Social Media durch begeisterte Nutzerinnen und Nutzer (Hypes) kann das plötzliche grosse Besucheraufkommen zu einer hohen Belastung oder Überlastung für Natur und Landschaft führen. Wie können mögliche Hypes erkannt werden und wie können Gemeinden damit umgehen?

Online können wir zu jeder Zeit günstig und bequem vom Sofa aus einkaufen. Der stationäre Detailhandel verliert deshalb gegenüber dem Online-Handel an Stellung, wodurch eine zentrale Lage für die Ladenflächen nicht mehr ausschlaggebend sein könnte.

Viele Tätigkeiten im Job können wir dank der Digitalisierung ortsunabhängig ausführen. Durch flexible Arbeitsformen braucht es auch weniger Büroflächen. Weiteres Beispiel: Restaurantbewertungen von Nutzenden sind per App sofort und überall einsehbar und wir entscheiden uns für die bessere Pizzeria, die versteckt um die Ecke liegt. Ortszentren und Innenstädte werden durch solche «digitalen Effekte» vor grosse Herausforderungen gestellt. Verliert der Faktor «zentraler Standort» für die Attraktivität des Grundstücks und somit der Immobilienwert von Geschäftsliegenschaften an Bedeutung? Wie können Gemeinden den öffentlichen Raum künftig beleben und Raum für soziale Interaktion bieten?

 

Wie die Digitalisierung Gemeinden verändern könnte. Interaktive Imagemap: Per Mouse-over Bereiche ausswählen und durch Draufklicken zu weiteren Informationen gelangen (OST).

 

In welchem Umfang die Corona-Krise Entwicklungen, wie die skizzierten, zusätzlich beeinflusst, lässt sich nicht pauschal beantworten. Tendenziell hat sich der Digitalisierungsprozess in der Schweiz durch die Gesundheitskrise aber beschleunigt bzw. wurden absehbare zukünftige Entwicklungen schon aktuell erkennbar gemacht, z.B.:

  • Der Druck auf die Naherholungsgebiete wächst, da die Bevölkerung für den Urlaub nicht ins Ausland fahren kann.
  • Der Online-Handel hat seinen Marktanteil erhöht.
  • Die Home-Office-Pflicht durch den Bund hat die Unternehmen zu flexiblen Arbeitsformen «genötigt».


Es wird nach der Krise sicher nicht alles auf einen Vor-Corona-Zustand zurückfallen, sondern einiges dürfte bleiben; was genau, wird sich zeigen.

Das Institut für Raumentwicklung und das Institut für Landschaft und Freiraum der OST Ostschweizer Fachhochschule haben in einem mehrjährigen Forschungsprojekt untersucht, wie die Digitalisierung den Raum verändern könnte und wie Gemeinden die Digitalisierung zu einer nachhaltigeren Entwicklung des Raums nutzen könnten. In einer Übersicht wird dargestellt, in welchen Bereichen die Digitalisierung unsere Gemeinden beeinflussen wird. Zu jedem der analysierten Bereiche werden Hintergrundinformationen aufgezeigt. Abgeschlossen wird die Studie mit Empfehlungen zuhanden der Gemeinden dazu, wie die Weichen gestellt werden sollten, um die Digitalisierung als Chance für eine nachhaltige Landschafts- und Raumentwicklung zu nutzen.

Die Projektergebnisse können über den Projektblog bezogen werden.

Traditionsreich und smart: Schweizer Städte (Fotos: Piqsels)

Städte der Digitalisierung

(cdh) – Diverse Zukunftsszenarien gehen davon aus, dass die Digitalisierung unsere Städte stark verändern wird. Gewisse Trends zeichneten sich bereits vor der Pandemie ab: So hat das Onlinegeschäft vielerorts dazu geführt, dass Kaufhäuser schliessen oder durch Pop-up-Stores ersetzt werden: kurzlebige, oft sehr attraktiv aufgemachte Läden, die mit dem Ziel Produktinnovationen zu testen, ganz neue Markenerlebnisse bieten. In grossen Bankenvierteln, beispielsweise in Frankfurt, stehen immer mehr Büroflächen leer, seit das Bankengeschäft vermehrt auf digitalen Kanälen stattfindet. Auch andere Unternehmen reduzieren ihre Büroflächen: Der Trend geht hin zu Co-Working-Spaces. Und die müssen nicht mehr unbedingt zentral in der Innenstadt liegen: Viel wichtiger ist, dass sie mit dem ÖV, zu Fuss oder mit dem Fahrrad schnell und bequem erreichbar sind. Reine Büroviertel, reine Einkaufsstrassen dürften verschwinden und Mischnutzungen Platz machen: Dezentral über das Stadtgebiet und die Agglomeration verteilte Knotenpunkte mit Co-Working-Gelegenheiten, Läden und Restaurants. Die grosse Herausforderung dabei sei es, schreibt die Kapitalverwaltungsgesellschaft Wealthcap in einer Analyse («Wie wir im Jahr 2040 leben und arbeiten werden»), genügend bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, da eine einseitige Bevölkerungsstruktur die soziale und kulturelle Vielfalt beeinträchtige – und damit auch Kreativität und Innovation: «Dies kann sich unterm Strich als Standortnachteil erweisen.»

In der Schweiz setzen verschiedene Städte, im Sinne der Standortförderung und um einen Mehrwert für die Bevölkerung zu schaffen, ganz bewusst auf die Digitalisierung. Bernerinnen und Berner müssen zum Beispiel nicht mehr «aufs Amt», um Adressänderungen zu melden und auch An- und Abmeldeformalitäten können online erledigt werden. Und mit dem «Matte-Schnägg» hat die Stadt erste Erfahrungen mit selbstfahrenden Fahrzeugen gesammelt und will nun auch ein Rufbusangebot testen (weiter Berner Digitalprojekte hier). Die Stadt Luzern hat gar die Ambition, im Bereich der Digitalisierung in der Schweiz bis in zehn Jahren wegweisend zu sein. Zu den in Luzern bereits umgesetzten Projekten gehört die «iParkiere Bus»-App, die Carchauffeuren mithilfe eines intelligenten Leitsystems den Weg zum nächsten freien Anhalte- oder Parkplatz weist und so den Tourismusverkehr optimiert, die digitale Pollenmessung oder ein virtuelles 3D-Stadtmodell zur Stadtplanung. Luzern ist Mitglied im Verband Smart City Hub Switzerland, der zurzeit aus neun Städten (St. Gallen, Zürich, Zug, Basel, Winterthur, Wil, Aarau, Lenzburg, Luzern) und der Gemeinde Ittigen sowie aus bundesnahen Unternehmen (SBB, Post, Swisscom) besteht.

 

 

 

Jolanda Zurfluh

Die Geografin und Raumplanerin Jolanda Zurfluh ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Raumentwicklung  (IRAP) an der Ostschweizer Fachhochschule (OST). Ihre Schwerpunkte sind: Digitalisierung und Raumentwicklung sowie Klimawandel in der Raumentwicklung.