In Handel und Retail

Illustration: Sharely

 

Interview mit Lucie Rein

Die neue Chefin der Vermiet- und Mietplattform Sharely ist überzeugt, dass wir in 20 Jahren nichts mehr besitzen. Und dass das nicht nur nachhaltiger, sondern für den Handel auch profitabler ist.

asut: Kann die Digitalisierung den Konsum in nachhaltigere Bahnen lenken?

Lucie Rein: Davon bin ich überzeugt. In unserem Bereich kann die Digitalisierung den Zugang zu Gegenständen aller Art erleichtern, sodass es nicht mehr nötig ist, sie zu besitzen, um sie zu gebrauchen.

Die Bohrmaschine meines Nachbars kann ich mir auch ohne Digitalisierung ausleihen.

Ja, aber vielleicht ist er gerade nicht zu Hause, wenn Sie sie nötig hätten. Oder es stört ihn, dass Sie schon wieder vor seiner Tür stehen. Und vermutlich würde er noch mehr einschnappen, wenn er die Bohrmaschine kaputt zurückerhält. Mit einer digitalen Plattform wie Sharely, wird der ganze Prozess sehr viel einfacher und bequemer.

Wer sich am Samstag in einem Shoppingcenter umsieht, kommt nicht zum Schluss, dass der Konsum den Menschen nichts mehr bedeutet.

Ich denke, Dinge zu kaufen, ist ein Reflex, den wir alle haben. Und ich sage auch nicht, dass wir gar nichts mehr kaufen sollten. Natürlich macht es Freude, eine schöne Uhr zu besitzen oder Bücher, die uns gefallen. Aber bei vielen immateriellen Gütern, wie etwa Musik oder Filme, sind für viele Menschen neue Modelle des Gebrauchs und des Zugangs bereits selbstverständlich geworden.

Und diese Modelle wollen Sie mit Sharely nun auch auf Gebrauchsgegenstände übertragen?

Genau. Es gibt so viele Gegenstände, die wir nur wenige Male im Jahr brauchen. Die sammeln sich dann an, müssen irgendwo versorgt werden, und im Bedarfsfall repariert oder überholt. Besitz belastet, braucht Platz, ist veraltet. Und das Geld, das wir dafür ausgegeben haben, sitzt ebenfalls im Schrank und wirft keinen Profit ab. Unsere Vision ist, dass alles was wir brauchen, im Quartier, wo wir wohnen, über unsere Plattform bei Bedarf verfügbar ist. Sobald es diese Option gibt, wird sich das Verhalten der Leute verändern. Davon bin ich überzeugt.

Sie denken, dass die Menschen sich nachhaltiger verhalten würden, wenn sie Gelegenheit dazu hätten?

Das ist ganz sicher so. Aber zurzeit ist die Lücke zwischen der Absicht und ihrer Umsetzung noch zu gross. Solange umweltfreundlicheres Verhalten mehr kostet oder mit mehr Komplikationen verbunden ist, wird es sich in der breiten Bevölkerung nicht durchsetzen.

Sharely will nicht nur eine Onlinetauschbörse für Private sein, sondern auch den Detailhandel einbinden. Klappt das?

Migros und Kärcher sind bereits dabei und in Kürze werden wir weitere grosse Namen bekanntgeben. Dank solchen Kooperationen können wir das Angebot flächendeckend steigern.

Der Heimelektronishop Interdiscount ist aber wieder ausgestiegen.

Weil er seinen Pilotversuch fast etwas zu früh gestartet hat, als die Nachfrage noch nicht da war. Doch die Tendenz ist klar: Sharely liegt genau im Zeitgeist.

Warum?

Der Handel hat das Potenzial der Kreislaufwirtschaft längst entdeckt: Ressourcen durch Austausch und Vermietung effizienter einzusetzen ist nicht nur nachhaltig, sondern auch profitabel. Wer hier nicht aufspringt, wird Marktanteile verlieren. So wie es vor rund 20 Jahren bereits mit den Kleinanzeigen und den Second-Hand-Marktplätzen geschehen ist. Die sind heute fest in der Hand von Onlineplattformen. Der Detailhandel hat nichts davon.

Airbnb hat die Hotelbranche auf den Kopf gestellt, Uber die Taxibranche. Ist Sharely dem Detailhandel nicht auch etwas suspekt?

Unser Geschäftsmodell ist nicht disruptiv, im Gegenteil: Wir streben die Kooperation mit den etablierten Marktplayern an, indem wir ihnen eine Plattform bieten, die ihren Einstieg in die Kreislaufwirtschaft ermöglicht. Davon profitieren beide Seiten.

Hat Sharely in der Schweiz Konkurrenz?

In der Schweiz nicht. Im Ausland hingegen gibt es eine Menge ähnliche Ansätze und selbst grosse Marken dort machen mit. Das zeigt mir, dass die Idee nicht nur in meinem Kopf herumspuckt, sondern einem reellen Markttrend entspricht.

Wie konsumieren wir in zwanzig Jahren?

Wir werden Dinge nicht mehr kaufen, um sie zu benutzen und keine Dinge mehr besitzen – in unseren Schränken werden also keine unbenutzten Ressourcen mehr schlummern. Selbst die Kleider werden wir wöchentlich oder monatlich mieten. Alle übrigen Gebrauchsgegenstände werden uns bei Bedarf in weniger als zwei Stunden nach Hause geliefert. Und fakturiert wird uns, weil sie über Sensoren mit dem Internet of Things verbunden sind, nur der tatsächliche Gebrauch.

 

Lucie Rein

Lucie Rein, Gründerin und ehemalige Chefin des Foodwaste-Start-ups «Too Good To Go», ist seit 2021 CEO von Sharely, dem grössten Schweizer Miet- und Vermietportal.