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Von Monica Dell'Anna
Es ist einfacher geworden, die Zukunft der Arbeitswelt vorherzusagen. Die letzten zwei Jahren haben gezeigt, wie viel sich schnell und radikal verändern kann und in welche Richtung: in der «neuen» Arbeitswelt spielt die Technologie eine entscheidende Rolle und der Mensch geniesst eine grössere Aufmerksamkeit. Viel ist heute anders als vor 2020: die Arbeitssuche, was wir tun und wie wir es tun, und wann und wo wir arbeiten.
Und in der Zukunft? Es kann sich sehr viel sehr schnell verändern, somit darf eine Vision der Zukunft auch sehr kühn sein. Der Mensch ist vermehrt ins Zentrum gerückt, also ist es nicht verrückt anzunehmen, dass sich diese Tendenz in der Zukunft noch verstärkt.
Wie wir eine Stelle finden werden
Während der Pandemie wurde der Rekrutierungsprozess dank Technologie markant verbessert. Video statt persönlicher Gespräche, voll automatisierte Abläufe durch Rekrutierungs-Plattformen, digitale Unterschrift für Einstellungsverträge und virtuelles Onboarding: Das gibt es schon heute. In der Zukunft wird die künstliche Intelligenz (KI) eine entscheidende Rolle spielen. Zahlreiche Studien zeigen auf, wie die KI uns sogar bei den typisch menschlichen sozial-kognitiven Kompetenzen schlagen kann, die es uns erlauben, die Persönlichkeit eines Menschen zu eruieren. Maschinen werden in der Lage sein, nicht nur die fachlichen Kompetenzen, sondern auch sehr viele und selbst intime Charaktereigenschaften eines Kandidaten zu erfassen: Wir werden eine Person besser kennen als ihre eigenen Eltern es tun. Wird KI Bias haben? Wahrscheinlich weniger als ein Rekrutierer. Die Algorithmen werden aber eine Blackbox sein: Ja, und sind Menschen etwa keine Blackbox? Die Technologie wird uns riesige Vorteile bringen, denn heute ist die Rekrutierung weder effektiv noch effizient. Zu wenige Menschen bekommen die Chancen, die sie verdienen. Und sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmern bezahlen Fehleinstellungen teuer.
Wir werden alles über einen Menschen wissen können. Werden wir das wollen? Nicht die Technologie wird der limitierende Faktor sein, sondern unsere Entscheidung, inwiefern wir eine Person wirklich kennen dürfen, ohne Rechte zu verletzen, die wir für unantastbar halten oder halten werden. Es braucht eine intensive Auseinandersetzung mit der Frage der Privacy-Verletzung und generell der Ethik, denn KI wird viel mehr können als wir Menschen und deswegen neue Fragen aufwerfen. Es ist unsere Aufgabe, diese zu beantworten und zu definieren, wo wir die Grenzen setzen wollen.
Die Rekrutierung ist kein Nebenthema, sie wird an Wichtigkeit gewinnen, denn Arbeitskräfte werden ihre Stelle viel häufiger wechseln.
Welche Tätigkeiten wir ausüben werden und wie
Es wird Aufgaben geben, die heute noch nicht existieren, und heutige Aufgaben werden verschwinden. Wird eine Anwältin mit der Durchsetzung von Smart Contracts die gleiche Arbeit erledigen wie heute? Werden in der Logistik noch Menschen eingesetzt werden? Amazon reduziert seine Arbeitskräfte jedes Jahrum 20-30 Prozent, während der E-Commerce massiv steigt. Robot und Cobots (collaborative robots) werden viele Aufgaben übernehmen.
Wenn wir es aber geschickt anstellen, werden vor allem die Aufgaben verschwinden, die wir Menschen sowieso nicht gern ausüben. Die Technologie kann die Arbeit menschlicher gestalten.
Angenommen, wir werden die Technologie dort einsetzen können, wo es für die Menschen am sinnvollsten ist (an sich schon kein einfaches Unterfangen!). Es bleibt die Herausforderung, dass wir, wegen der rasanten Entwicklungsgeschwindigkeit, nicht genügend zum Voraus wissen werden, welche Aufgaben und Tätigkeiten dies genau betrifft. Wie sollen wir dann unsere Kinder ausbilden? Auch erfahrene Arbeitskräfte werden sich sehr schnell neue Fähigkeiten aneignen müssen und selbst wenn diese ihren persönlichen Präferenzen besser entsprechen sollten, müssten sie dennoch die dazu notwendigen Kompetenzen erwerben. Also, auch Upskilling und Reskilling spielen im Arbeitsmarkt eine entscheidende Rolle. Mehrere Akteure müssen die Verantwortung für die Aus- und Weiterbildung übernehmen: Individuen, Unternehmen, Bildungsinstitutionen und Politik. Jede von diesen Instanzen ist für sich allein überfordert. Es braucht deswegen die gemeinsame Auseinandersetzung mit diesen Herausforderungen.
Um trotzdem eine Prognose zu wagen, welche Kompetenzen am Markt gefragt sein werden: Das werden sicher einmal die technischen Kompetenzen sein, die dabei helfen, die digitale Welt besser zu verstehen, weniger Angst vor der technologischen Entwicklung zu haben und so im Stande zu sein, neue Chancen zu packen. Daneben gewinnt aber auch die emotionale Intelligenz (EQ) an Gewicht, denn die Arbeit wird zunehmend interdisziplinär und «menschlich».
Wenn wir die Zukunft dank der Technologie richtig gestalten, wird unsere Arbeit menschlicher, denn wir werden die Aufgaben wählen können, die uns wirklich ansprechen.
Wo und wann wir arbeiten werden
Die ICT erlaubt uns schon seit Langem, viele Aufgaben ortsunabhängig zu erledigen. Mit der Pandemie ist die Adoption dieser Technologien gestiegen und in einem positiven Kreislauf hat sich die technologische Entwicklung weiter beschleunigt. Video ist in wenigen Monaten zum absolut üblichen Kommunikationsmittel geworden und die Bedeutung von Augmented- und Virtual-Reality (AR/VR) wird sehr wahrscheinlich stark zunehmen. Inwiefern wir unser Leben tatsächlich in einem noch besser zu definierenden Metaverse verbringen werden, ist schwierig zu sagen, aber wenn die Welt in den virtuellen Raum umzieht, dann wird auch die Arbeit dort stattfinden. Schon heute werden Aufgaben wie Training durch AR/VR optimiert.
Der persönliche Kontakt wird wichtig bleiben, er wird sich aber verändern und an Qualität gewinnen. Die Pandemie hat uns auch gezeigt, dass wir unsere Arbeitszeit viel flexibler gestalten können. Auch diese Flexibilität trägt bei, dass die Arbeit menschlicher wird. Wir werden unsere Zeit besser einsetzen können und entscheiden können, wann und wo wir was erledigen wollen.
Die zukünftige Arbeitswelt wird eher auf die Menschen zugeschnitten sein, als dass der Mensch sich der Arbeit anpassen muss. Diese Zukunft ist aber nicht gegeben: Es kommt nur so, wenn wir uns wirklich anstrengen, sie so zu gestalten.