IoT auf hoher See

​​​​​​Von David Gschwend, Supercomputing Systems AG

Ein Schiff ist ein kleines Datencenter (Illustration: zVg)

Auf dem Containerschiff Dali fällt die Stromversorgung aus, als es im März 2024 den Hafen von Baltimore verlässt. Kurz darauf hätte es die Francis Scott Key Bridge passieren sollen. Die Lichter auf dem Schiff gehen aus. 90 Sekunden später springt einer der beiden unabhängigen Dieselgeneratoren wieder an, eine dicke Rauchwolke steigt aus dem Kamin. Doch der Motor stottert und fällt 30 Sekunden später wieder aus. Es riecht nach verbranntem Treibstoff im Maschinenraum. Das Schiff ist manövrierunfähig. Zwei Minuten später rammt es einen Pfeiler der Brücke, die darauf einstürzt.

Das Unglück in Baltimore zeigt, wie wichtig auf einem Schiff eine zuverlässige Stromversorgung, ja generell eine zuverlässige Technik ist. Auf hoher See ist diese Vibrationen, Schlägen, hohen Temperaturen und oft sogar dem Salzwasser ausgesetzt. Gleichzeitig wird die IT-Sicherheit ein immer wichtigeres Thema: Ein Schiff ist heute eine komplexe Anlage mit Dutzenden Systemen, die miteinander interagieren – von der Motorensteuerung über die Navigation bis zur Steuerung von Winden und Kränen. Ein Schiff ist ein kleines Datencenter: Cyber-Attacken sind deshalb nicht nur möglich, sondern mehr als wahrscheinlich.

Die moderne Elektronik bietet aber auch Möglichkeiten: Ein Schiffsmotor mit elektrisch geregelter Einspritzung lässt sich so präzise steuern, dass Treibstoff gespart werden kann. Wenige Prozent Einsparung bedeuten hier Millionen Tonnen von Treibstoff, die nicht verbrannt werden.

Frachtschiffe sind für 3 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Sie transportieren 90 Prozent der Güter, die wir täglich nutzen. Schon kleine Optimierungen beim Treibstoffverbrauch haben deshalb einen grossen Einfluss auf die weltweiten Treibhausgasemissionen. Schiffe könnten auch oft etwas langsamer fahren und damit Treibstoff sparen: Die Ankunftszeiten in den Häfen sind strikte geplant, um die Fracht zu löschen. Oft fahren die Kapitäne zur Sicherheit etwas schneller. Die Ankunftszeit liesse sich aber mit den zur Verfügung stehenden Daten vom Wetter oder anderen Schiffen präzise berechnen. So könnte ein Schiff etwas langsamer fahren und Treibstoff sparen. Dies erfordert die Vernetzung von Systemen im Schiff und ausserhalb: IoT auf hoher See.

Die Jaques Saade, eines der grössten Containerschiffe der Welt
 

CMA CGM Jacques Saade LNG powered containership (Youtube)

 

WinGD mit Sitz in Winterthur ist einer von zwei führenden Herstellern von Schiffsmotoren und hat einen neuen 85 000 PS starken Dual-Fuel-Schiffsmotor entwickelt. Die CMA CGM Jaques Saade, eines der grössten Containerschiffe der Welt, fährt seit 2020 mit dem «WinGD 12X92DF». Er verbrennt sowohl Erdgas (LNG) wie auch Diesel. Mit Erdgas entstehen deutlich weniger Emissionen: fast 30 Prozent weniger CO2, 90 Prozent weniger Stickoxide und praktisch keine Schwefeloxide und Feinstaub.

Diverse Sensoren und Kontrollmodule mit ausgeklügelten Algorithmen sorgen dafür, dass der Motor sicher und effizient läuft. Dieses Kontrollsystem besteht aus verteilten Modulen, die über zwei redundante Ethernet-Ringe kommunizieren. Selbst bei einem Ausfall eines Zylinders ist der Betrieb sichergestellt. Auf jedem Zylinder befindet sich eine Cylinder Control Unit mit Sensoreingängen und kraftvollen Steuerausgängen für die dynamische Regelung der elektromechanischen Ventile. Auf der Gateway Control Unit befindet sich neben Kommunikationsschnittstellen ins Internet, zur Steuerbrücke und zu weiterer Peripherie auch eine Firewall zur Gewährleistung der Cyber Security.

Neben dem Kontrollsystem WiCE läuft auf den Schiffen das Überwachungssystem WiDE (WinGD’s Integrated Digital Expert), das durch Datenanalyse und digitale Zwillingsmodelle die Leistung der Schiffsmotoren optimiert und die Motoren an das Industrial Internet of Things (IIoT) von WinGD anbindet. Echtzeitdatenvergleiche ermöglichen eine effizientere Überwachung und Wartung der Motoren, eine vorausschauende Fehlererkennung und individuelle Optimierungsvorschläge. WiDE unterstützt die Besatzung an Bord wie auch die Betreiber des Schiffes an Land.

So hoch wie ein 5-stöckiges Haus: Der 12X92DF-Motor (Illustration: zVg)

Ein massgeschneidertes System
 

Supercomputing Systems hat für WinGD die Hardware, die FPGA-Firmware sowie die Software für dieses verteilte System entwickelt. Field-Programmable Gate Arrays (FPGAs) sind nötig, um die Signale in Echtzeit zu verarbeiten und mit der Cylinder Control Unit die Ventile präzise anzusteuern. Daneben arbeiten die Module auch mit normalen CPUs, resp. Systems on Chip (SoC). Die Daten von hunderten Sensoren werden verarbeitet, einige davon mit Abtastraten von über 10 kHz. Jede Sekunde entstehen Millionen neue Datenpunkte.

Auf der Hardware läuft ein Linux Betriebssystem. Das massgeschneiderte Yocto Linux erreicht ein Sicherheitslevel vergleichbar mit einem Datencenter. Der Foundation Layer verbindet die Hardware mit der Controlsoftware von WinGD und den Algorithmen für die Steuerung des Motors. Die Cyber Security für das System wurde in der Entwicklung von Anfang an berücksichtigt. Automatisierte Tests sorgen dafür, dass auch jeder neue Software-Release zuverlässig arbeitet. So ist das System sowohl nach Marine- wie auch Cyber Security Nomen zertifiziert. Wichtig ist aber nicht nur ein sicheres, zuverlässiges System, sondern auch, dass es in Zukunft weiter ausgebaut werden kann. Und nicht zuletzt: Dass die Entwicklungsingenieure gerne damit arbeiten.

 

David Gschwend

David Gschwend, MSc ETH EEIT, ist Department Head bei der Supercomputing Systems AG.