Leisere Trams: Lärmreduktion durch IoT-Sensoren und KI-gestützte Konditionierung

Von Marc Tesch, Substring AG

Das vom Schweizer Bundesamt für Verkehr (BAV) geförderte Projekt hat zum Ziel, die Lärmbelastung im Trambetrieb der Städtischen Verkehrsbetriebe Bern (Bernmobil) durch den nachträglichen Einbau von IoT-Sensoren zu reduzieren. Durch die Verarbeitung der Sensordaten mit moderner Datenanalytik werden mobile Schienenkopf-Konditionierungssysteme auf den Trams lokal angesteuert, um Lärmemissionen zu vermeiden und den Materialverschleiss an Rad und Schiene zu reduzieren. Das Projekt zeigt das Potenzial für weitere vielversprechende Anwendungen von mobilen IoT-Sensoren bei Strassenbahnen.

 

Tramlink – das neue Tram für Bern (Foto: zVg)

Aktuell setzt Bernmobil ein stationäres System zur Schienenkopf-Konditionierung ein. Anlagen, die an ausgewählten Stellen des Schienennetzes im Boden installiert sind, führen periodisch eine Konditionierung durch, indem sie ein Schmiermittel auf die Schienen auftragen, um hohe Lärmimmissionen zu reduzieren. Da diese Anlagen nur an neuralgischen Punkten installiert sind und die Dosierung nicht abhängig von Umweltfaktoren ist, kommt es zu sogenannter Unter- und Überschmierungen. Letztere beeinträchtigen die Lebensdauer von Rad und Schiene, während erstere starke akustische Lärmemissionen (Stick-Slip-Effekt zwischen Rad und Schiene) verursachen, die von Anwohnern und Passanten als störend empfunden werden. Auch kann es zu Lärmbelästigungen an Orten des Schienennetzes kommen, die nicht mit den stationären Konditionierungsanlagen ausgerüstet sind.

Lärmhotspots auf dem Bernmobil Schienennetz (Illustration: Substring)

Durch die Verfügbarkeit mobiler Konditioniersysteme, die in die Trams integriert sind, und die Nutzung von IoT-Sensordaten sollen die stationären Konditionierungsanlagen zunächst ergänzt und langfristig sogar ersetzt werden.

Trams als Mess- und Konditioniersysteme

Im Rahmen des Projektes werden verschiedene Trams mit Sensorik und Recheneinheiten für die Datenanalyse ausgestattet. Während der Entwicklungsphase des Projektes geschieht die Datenauswertung nach der Übermittlung der gesammelten Daten auf eine Cloud-Plattform. Für den späteren regulären Betrieb kann die gesamte Analytik auch lokal auf der Edge, also ohne Anbindung an ein zentrales Rechenzentrum oder eine Cloud-Plattform erfolgen.

 

Konzept der mobilen und dynamischen Schienenkopf-Konditionierung (Illustration: Substring)

Im Prototypen-Betrieb wurden verschiedene Sensoren getestet und ein möglichst optimales Setup für die Serienanwendung entwickelt. Daten aus verschiedenen Quellen werden erfasst, kombiniert und analysiert. Akustiksensoren sind am Fahrgestell angebracht und zeichnen Geräusche in ihrer Umgebung auf. Die Anreicherung mit Daten aus dem Informationssystem des Trams kann zudem wertvolle Rückschlüsse auf unterschiedliche zusätzliche Anomalien ermöglichen. Die Verortung der Messdaten erfolgt mittels einer zeitlich synchronisierten GPS-Positionierung. Ergänzt werden die lokalen Messdaten mit lokalen Wetterdaten, da Umweltbedingungen einen grossen Einfluss auf die Lärmemission haben.

Durch die maschinelle Verarbeitung der grossen gesammelten Datenmenge (Big Data) und die Analyse mittels künstlicher Intelligenz (KI) können Lärmemissionen und Konditionierungsbedarf modelliert werden. Die Datenanalytik ermittelt dabei mithilfe von Machine-Learning-Modellen unter Berücksichtigung verschiedener Konditionen wie Wetter, Geschwindigkeit oder Kurvenradius die optimale Menge des Konditionierungsmittels ortsgenau auf einer Linie im Schienennetz der Bernmobil. Die mobilen Konditioniersysteme auf den Trams führen dann die entsprechende Konditionierung der Schienen an den betroffenen Positionen aus.

Interdisziplinäre Expertise führt zum Erfolg

Für den Erfolg des Projekts ist die enge Zusammenarbeit verschiedener Partner von entscheidender Bedeutung. Als Auftraggeber spielt  Bernmobil eine zentrale Rolle bei der Implementierung und Integration der neuen Technologien in den Trambetrieb. Das Schweizerische Bundesamt für Verkehr (BAV) agiert als Projektsponsor. Die Lösung wird mit Messsystemen von Parametrics SDS umgesetzt. Substring bringt die Expertise in Data Science und Data Warehousing ein, Prose das fundierte Know-how im Schienenwesen. Diese partnerschaftliche Zusammenarbeit ermöglicht eine umfassende Abdeckung aller Aspekte des Projekts, von der Sensorlösung bis hin zur nahtlosen Integration in den laufenden Betrieb von Bernmobil.

Weitere Anwendungsfälle

Neben dem Hauptziel des Projektes, d. h. der Optimierung des Konditionierungsmittelbedarfs, gibt es weitere potenzielle Anwendungsfälle. Zum Beispiel könnte durch die mobilen Messsysteme eine zustandsorientierte Instandhaltung (Condition Based Maintenance) oder eine vorausschauenden Wartung (Predictive Maintenance) des Schienennetzes ermöglicht werden, was jedoch nicht Inhalt des Projekts ist. Darüber liefert das Projekt wichtige Erkenntnisse für vergleichbare zukünftige Lösungen im Zugverkehr.

 

Marc Tesch

 

Marc Tesch

Marc Tesch, Dr. sc. techn., Dipl. Masch. -Ing. ETH und Betriebswissenschafter NDS ETH, ist Senior Consultant und Strategic Business Developer bei der Substring AG, die seit 2000 digitale Lösungen für die Automatisierung, Verwaltung und Auswertung von Daten entwickelt.