Ein Lob der demokratischen Langsamkeit
Von Elisabeth Ehrensperger, TA-SWISS
Anlässlich des diesjährigen Swiss Telecommunication Summit beklagte Sunrise-Chef André Krause die fehlende politische Führung bei der Digitalisierung öffentlicher Aufgaben. Es fehle der Wille und ein klarer politischer Push. Wie gut die Schweiz in Sachen Digitalisierung aufgestellt ist, ist in der Tat zentral, denn davon hängt nicht nur die Effizienz staatlicher Dienstleistungen ab, sondern in gewissem Mass auch die Wettbewerbsfähigkeit und der Erfolg der Schweizer Wirtschaftsunternehmen.
Illustration: openart.ai
Nun kann in der Schweiz der «politische Push» nicht nur von Parlament und Bundesrat kommen, sondern muss auch von der Stimmbevölkerung gewollt sein. «Die Bevölkerung wünscht sich mehr Tempo bei der Entwicklung des digitalen Staates», titelte Sotomo in einem 2022 erschienen Bericht, den die Forschungsstelle im Auftrag des Schweizer Wirtschaftsverbands der ICT- und Online-Branche Swico erarbeitet hatte. Doch schaut man sich die Ergebnisse der repräsentativen Umfrage etwas genauer an, wünschen sich die Befragten nicht einfach mehr Tempo für mehr Digitalisierung oder gar den «digitalen Staat». Dringlich erscheinen ihnen vor allem Massnahmen zur Wahrung der digitalen Sicherheit sowie zur Förderung digitaler Bildung und digitaler Kompetenzen. Gewünscht ist also mehr Tempo bei der Bewältigung der Folgen der Digitalisierung – konkret u.a. bei der Schaffung von Cybersicherheit und der Bekämpfung digitaler Gewalt.
Denn offensichtlich bietet die rasante Technologieentwicklung nicht nur Chancen. künstliche Intelligenz beispielsweise kann totalitäre Systeme begünstigen. Sie muss das aber nicht. Es liegt an einer Gesellschaft als Ganzes, die Entwicklung der Technologie auf unsere menschlichen Bedürfnisse auszurichten und im Hinblick auf ihre Folgen so anzuwenden, dass sie Freiheit und Wohlstand vergrössert, nicht einengt. Aus diesem Grund lohnt es sich, den technischen Fortschritt aufmerksam zu beobachten: Welche Folgen zieht die Anwendung einer Technologie nach sich? Wer profitiert und was bzw. wer bleibt auf der Strecke? Die sorgfältige Abschätzung der Technologiefolgen geht dabei nicht nur die Politik, sondern eben auch die ganze Bevölkerung etwas an. Sie einzubeziehen, braucht Zeit, um die heute gekämpft werden muss.
Zum wirtschaftlichen Druck ist der Verweis auf multiple Krisen hinzugekommen, der Sachzwänge sowie Technologie und Expertentum als Lösungen für politische Probleme in den Vordergrund rückt. Das Tempo wird erhöht und häufiger zu Notrecht gegriffen – Tendenzen, die auf eine Schwächung der Demokratie zugunsten technokratischer Prozesse hinauslaufen. Diese stehen im krassen Gegensatz zu nachhaltigen, da breit abgestützten und demokratisch legitimierten Entscheiden. Legitimation und Nachhaltigkeit entstehen im Rahmen einer direkten Demokratie aus dem Zusammenspiel zwischen Grundrechts- und Minderheitenschutz, Gewaltenteilung, direktdemokratischen Elementen, Föderalismus und – ja, auch jenem langwierigen Vernehmlassungsverfahren, in welchem alle angehört werden müssen. Dieser Zeitaufwand lohnt sich, weil auf diese Weise zustande gekommene Entscheide Stabilität und Sicherheit schaffen, die nicht zuletzt einer innovativen Wirtschaft zugute kommen.
TA-SWISS, die Stiftung für Technologiefolgen-Abschätzung, setzt sich seit 30 Jahren für eine Technologieentwicklung ein, die sich an der demokratischen Entscheidungsfindung orientiert. Hierfür erarbeitet sie ausgewogene und unabhängige Sachinformationen zu den möglichen Folgen neuer Technologien – damit sich Parlament, Regierung und Bevölkerung eine eigene, fundierte Meinung bilden und den nötigen politischen Push initiieren können.