Zu Besuch im Datenland Schweiz

Quelle: Golliez 2024

Von André Golliez, Swiss Data Alliance

Das Institut für Tourismus und Mobilität der Hochschule Luzern arbeitet seit zwei Jahren zusammen mit fünf weiteren touristischen Forschungsinstituten und über 30 Industriepartnern aus der Schweiz am Flagship-Projekt «Resilient Tourism» und ist für das Subprojekt «Nationale Dateninfrastruktur für den Tourismus» (NaDIT) verantwortlich. Das von Innosuisse und den Industriepartnern finanzierte Projekt wurde im Sommer 2022 gestartet und dauert bis Mitte 2026. Ein Kurzbericht.

Seien wir ehrlich und bescheiden: die Schweiz ist das schönste Land der Welt.  Die schwierigen Pandemie-Jahre sind beinahe vergessen und es kommen so viele Gäste wie früher oder sogar noch mehr zu uns, um die zahlreichen touristischen Attraktionen der Schweiz zu geniessen. 

 

Quelle: Golliez 2024

Aber leider hält sich der Genuss manchmal in Grenzen. Solche und ähnliche Situationen (siehe oben) möchten wir unseren Gästen lieber ersparen. 

Ob schön oder nicht ganz so schön. Die Frage ist stets, wie unsere Gäste zu den Points of Interest (POIs) finden und einen rundum angenehmen Aufenthalt in der Schweiz verbringen können. Dazu benötigen sie: Daten!

Wo befindet sich der Point of Interest? Wie komme ich dorthin – und auch wieder weg? Wann ist er geöffnet? Ist er für Rollstuhlfahrer:innen zugänglich? Kann ich mich in der Nähe verpflegen oder übernachten? 

Die wichtigsten Bereitsteller dieser Daten sind die Schweizer Tourismusorganisationen. Deren Aufgabe ist die datenbasierte Vermarktung der POIs einer Destination, einer Region oder des ganzen Landes über eigene Websites und Apps, über Social Media und weitere Kommunikationskanäle. 

Wir haben im Rahmen von NaDIT die Daten- und Systemlandschaften der Tourismusorganisationen der Schweiz erhoben und dabei hat sich das folgende Bild ergeben:

Quelle: Golliez 2024

Die Vielfalt der Systeme im Schweizer Tourismus ist mindestens so gross wie die Vielfalt unserer touristischen Angebote – und das soll auch so sein. 

Daten und Applikationen sollen den spezifischen Bedürfnissen der Tourismusorganisationen und touristischen Leistungsträger entsprechen. Und diese lassen sich nicht einfach über einen Leisten schlagen.

Dementsprechend vielfältig ist auch die Menge der Daten-Dienstleister. Die folgende Grafik zeigt einen Ausschnitt der im Rahmen von NaDIT identifizierten IT-Dienstleister, die für die Schweizer Tourismusorganisationen tätig sind.
 

Quelle: Golliez 2024

Diese Dienstleister tauschen untereinander Daten aus und haben dazu zahlreiche bilaterale Datenschnittstellen implementiert. Solche Schnittstellen sind teuer, insbesondere im Unterhalt. Selbstverständlich nutzt jedes System ein eigenes proprietäres Datenschema und die Daten-Kategorien sind nicht aufeinander abgestimmt, was den Aufwand für die Schnittstellen erhöht. 

Im Rahmen von NaDIT haben wir «Connected Tourism Data» auf unsere Fahne geschrieben. 

Wir sind zusammen mit den Tourismusorganisationen und ihren Daten-Dienstleistern dabei, ein sogenanntes Master Mapping für einen leichteren Austausch der Daten zwischen den verschiedenen Systemen aufzubauen. Dieses wird die Daten-Schemata und Kategorienbäume der verschiedenen Systeme aufeinander abbilden, («mappen»). Dazu benötigen wir weder einen einzigen verbindlichen Standard noch ein zentrales System. NaDIT ist eine echt föderalistische Lösung, wie es für die Schweiz passt.

Was machen Touristen in der Sonnenstube eigentlich so?

Neben den Fragen zu den POI beschäftigt die Tourismus-Branche natürlich ständig die Frage, was die Gäste in der Schweiz eigentlich so machen? 

Aufgrund der kleinräumigen und kleingewerblichen Struktur des Schweizer Tourismus, für die es gute Gründe gibt, sehen die einzelnen Akteure jeweils nur einen kleinen Ausschnitt des Gästeverhaltens. Das Hotel sieht die Übernachtungen, die Bergbahn die Fahrten und das Restaurant die Mahlzeiten.

Wenn man aber wissen möchte, wo die Touristen in der Schweiz überall hingehen, wie und mit welchen Verkehrsmitteln sie sich bewegen, wo und wofür sie ihr Geld ausgeben und ob das alles nachhaltig ist, dann müssen wir Datenquellen erschliessen, die über eine einzelne touristische Dienstleistung oder Destination hinausgehen.

Im Rahmen von NaDIT analysieren wir daher beispielhaft das Besucherverhalten im Tessin anhand von Daten der Firmen Intervista, Swisscom und Mastercard. Diese drei Firmen stellen Ticino Tourismo ihre Daten unter restriktiven Bedingungen für diese Analyse zur Verfügung. Die HSLU fungiert dabei als Datentreuhänder. 

Das Marktforschungsunternehmen Intervista liefert Daten aus seinem Footprint-Panel mit über 4000 Personen, statistisch repräsentativ für die Schweizer Wohnbevölkerung zusammengesetzt. Die Panelisten lassen sich über die Footprint-App geotracken und stellen zudem über 300 Datenpunkte zu ihrer Person für anonymisierte Auswertungen zur Verfügung. Auf Basis dieses riesigen Datensatzes lässt sich das Mobilitätsverhalten der Schweizer Bevölkerung statistisch sehr präzise nachverfolgen und nach den verschiedensten Dimensionen auswerten. 

Swisscom verfügt ebenfalls über umfangreiche Personen- und Bewegungsdaten. Sie stellt die Erkenntnisse aus der Analyse dieser Daten bereits seit einiger Zeit unter dem Namen «Mobility Insights» interessierten Unternehmen und Organisationen zur Verfügung und hilft ihnen damit, ihr Marketing zu verbessern. Auch diese Daten fliessen nun in den Use Case zum Besucherverhalten im Tessin ein.

Auch Mastercard stellt Daten für den NaDIT Use Case im Tessin zur Verfügung. Die Nutzung aggregierter Daten der Firma Mastercard zur Analyse des Besucherverhaltens ist eine Premiere für die Schweiz. Darauf sind wir im Projekt NaDIT ein wenig stolz. 

Eine der Fragen, die sich auf der Basis anonymisierter und aggregierter Daten von Mastercard – natürlich unter strenger Berücksichtigung des Datenschutzes – beantworten lässt, ist das Ausgabeverhalten von Besuchergruppen aus unterschiedlichen Ländern in einer Destination über einen bestimmten Zeitraum. 

Sie sehen hier die Auswertung für Luzern über das Jahr 2023.


Quelle: Mastercard Tourism Insights

Besucher aus den USA und aus den Golfstaaten schätzen offensichtlich in erster Linie komfortable Hotels, Westeuropäer lieben gutes Essen und Asiaten geben über 70 Prozent ihres Budgets für Shopping aus.

Wir kombinieren nun die Daten dieser drei Unternehmen und eventuell weiterer Datenlieferanten zur Analyse des Besucherverhaltens im Tessin. 

Es bleibt einiges zu tun

Die Datennutzung im Schweizer Tourismus steht vor zwei zentralen Herausforderungen. Einerseits die Vernetzung der Daten der Tourismusorganisationen und -unternehmen, um die Besucher vor, während und nach ihrer Reise durch das Ferienland Schweiz digital besser begleiten zu können. Und andererseits die Erschliessung der Datenquellen nicht-touristischer Unternehmen und Organisationen, um das Besucherverhalten besser verstehen und die touristischen Angebote entsprechend ausrichten zu können.

Hinzu kommt eine dritte Herausforderung, um die sich allerdings die Politik kümmern sollte: Die Tourismusorganisationen haben einen Marketingauftrag. Digitalisierung und Datennutzung sind dabei Nebenaufgaben, für die in der Regel nur äusserst knappe oder unzureichende personelle und finanzielle Ressourcen zur Verfügung stehen. Damit aber die Tourismusorganisationen die oben genannten Herausforderungen der Datennutzung erfolgreich bewältigen können, benötigen sie auch einen expliziten Digitalisierungsauftrag und entsprechende Ressourcen. 

Nur dann wird die Schweiz auch zu einem attraktiven Datenland.
 

Möchten Sie mehr wissen?

Weitere Informationen zum Projekt Resilient Tourism und zu den vier Teilprojekten finden sich hier: www.resilienttourism.ch; Informationen zum Projekt NaDIT und zum Use Case Visitor Behavior Analysis auf der Website www.tourismdata.ch.

 

 

 

 

André Golliez

André Golliez ist Präsident der Swiss Data Alliance und Dozent an der Hochschule Luzern HSLU.