Digital first? Switzerland!

Von André Krause, Sunrise

Banken, Käse, Schokolade, Uhren – das alles verbinden viele mit der Schweiz. Doch was wird der Markenkern in der digitalen Welt sein? Wo können wir eine Vorreiterrolle einnehmen? Hier sehe ich Wirtschaft, Politik, Bildung und gesellschaftliche Institutionen in der Pflicht, den Weg zu ebnen, um Vorbehalte in der Bevölkerung abzubauen und Begeisterung für die Potenziale der digitalen Zukunft zu wecken.

Die langwierigen Diskussionen um die E-ID, um die schleppende Entwicklung des elektronischen Patientendossiers, um den digitalen Graben in der Bevölkerung oder um Risiken und Nutzen von künstlicher Intelligenz zeigen, was zu tun ist, wenn wir mit der Schweiz in der digitalen Welt vorangehen und beispielsweise eine Assoziation schaffen wollen wie «Digital first? Switzerland!».

Konsens in diesen Debatten ist, dass sich die Digitalisierung weder aufhalten noch zurückdrehen lässt. Gleichzeitig gehen die Vorstellungen darüber, wer sich welcher Verantwortung annehmen sollte, weit auseinander. Die Frage, was der Schweizer Markenkern in der digitalen Welt sein soll, bleibt offen. Oft heisst es, Länder wie die Schweiz seien gegenüber den USA oder China viel zu klein, um den Ton angeben zu können. Aber Länder wie Estland als Vorreiter im E-Government oder Israel im Bereich Cybersecurity machen uns vor, wie auch kleinere Länder eine Führungsrolle einnehmen können.

Die Schweiz hätte mit ihrem BIP pro Kopf, ihrem Bildungssystem, ihrer Industrie (Mechanik, Robotik usw.) und ihrem ICT-Sektor ideale Voraussetzungen, um eine Führungsrolle zu übernehmen. Know-how, Technologien, Infrastrukturen, Innovationsgeist, Investitionskraft – alles wäre vorhanden.

Wenn es aber um die zentrale Voraussetzung geht, die Bevölkerung bei der Digitalisierung stärker mitzunehmen, wird zu oft mit komplexen, föderalistischen Entscheidungswegen, Umsetzungsschwierigkeiten und dem kleinsten gemeinsamen Nenner argumentiert. So lässt sich eine Führungsrolle nicht aufbauen.

Mehr Engagement ist gefordert

Die Mehrheit der Bevölkerung ist als Bürgerinnen und Bürger, als Konsumentinnen und Konsumenten relativ klar dafür, dass die Digitalisierung weiter vorangetrieben werden muss. Gleichzeitig weist rund ein Drittel grundlegende Kompetenzlücken auf. Die Vereinsamung älterer Menschen wird als grösste gesellschaftliche Gefahr der digitalen Ausgrenzung gesehen.

Die über 30 Prozent der Bevölkerung, die sich im digitalen Alltag nicht zurechtfinden, zu unterstützen – sei es finanziell, damit sie sich den Zugang leisten können, oder durch Ausbildungsangebote, um ihnen die Aneignung der nötigen Kompetenzen zu ermöglichen, oder in sonst einer Form – ist eine Herkulesaufgabe, die in einem starken Schulterschluss von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft koordiniert angepackt werden muss.

Wir wissen, dass das funktionieren kann. Das beste Beispiel sind unsere Netze und Dienstleistungen, die den Zugang zur digitalen Welt sicherstellen. Der Bund konzessioniert die Anbieter, diese übernehmen den Auf- und Ausbau und sorgen für «…vielfältige, preiswerte, qualitativ hoch stehende sowie national und international konkurrenzfähige Fernmeldedienste», wie es der Zweckartikel des Fernmeldegesetzes fordert. Schaut man sich die internationalen Rankings an, dürfen wir behaupten, dass wir dies «überragend» tun.

Als verantwortungsbewusstes Unternehmen investieren wir auch in die digitale Inklusion, zum Beispiel mit Gerätespenden für Leute, die sich keinen Laptop leisten können; mit massiv vergünstigten Zugangsangeboten und mit Digitalkursen für Armutsbetroffene. Das hilft vielen Menschen, ersetzt aber nicht den fehlenden Set-up, damit die Schweiz in der digitalen Welt eine Spitzenposition einnehmen kann. Es gilt, die mehr als 30 Prozent der Bevölkerung zu erreichen, die Gefahr laufen, von der Digitalisierung abgehängt zu werden. Hier ist – sollte es der Schweiz mit einer Vorreiterrolle tatsächlich ernst sein – ein massiv stärkeres und abgestimmtes Engagement der Akteure gefordert.

Ein Beispiel: Der Bund investiert 43 Mio. Franken zur Förderung der Grundkompetenzen von Erwachsenen. Dieser Betrag müsste durch die Kantone mindestens verdoppelt werden. Gehen wir optimistisch vom Fünffachen aus, ergäbe das eine Investition von rund 73 Franken pro Kopf und Jahr, um das besagte Drittel der Bevölkerung mit Ausbildung zu unterstützen. Oder nehmen wir die rund 60 Mio. Franken, die für die digitale Verwaltung Schweiz 2024-2027 vorgesehen sind. Auf die gesamte Bevölkerung heruntergebrochen ergibt das eine jährliche Pro-Kopf-Investition von rund 1.70 Franken.

Angesichts der Bedeutung der Digitalisierung bin ich mir nicht sicher, ob diese Investitionen ausreichen, um ein solides Fundament für einen digitalen Schweizer Markenkern zu schaffen. Klar ist aber: Erst wenn alle Akteure bereit sind, ihre Anstrengungen zu bündeln und ihre Verantwortung zu tragen, kann die Schweiz einen Spitzenplatz beanspruchen.

André Krause

André Krause ist der CEO von Sunrise.