Automatisiertes Fahren in der Schweiz

Von Sigrid Pirkelbauer, ASTRA

Illustration: ASTRA

Seit 2015 lässt der Bund im Rahmen von Pilotversuchen regelmässig automatisierte Fahrzeuge zum Fahren in der Schweiz zu. Der erste bewilligte Versuch in der Schweiz fand in Zürich statt. Dabei fuhr ein mit zusätzlichen Sensoren ausgerüstetes Auto während einiger Tage automatisiert durch die Stadt. Seither sind in der Schweiz weitere Versuche hinzugekommen, wie etwa mit kleinen selbstfahrenden Lieferrobotern oder automatisiert fahrenden Shuttle-Bussen in den unterschiedlichsten Regionen und Situationen. Ein Sicherheitsfahrer war jedoch immer zur Absicherung im Fahrzeug mit dabei.

Die Pilotversuche wurden mit der Zeit immer komplexer und aufwändiger: In Ebikon fuhr 2022 ein Lieferfahrzeug selbständig bestellte Waren zu den Kundinnen und Kunden. Das Fahrzeug verkehrte vollständig automatisiert, ohne menschliche Begleitung, lediglich mit Fernüberwachung. Dies war das erste Mal, dass ein Fahrzeug völlig alleine ohne Sicherheitsfahrer auf öffentlichen Strassen in der Schweiz unterwegs war.

Seit ein paar Wochen gibt es nun einen Pilotversuch mit einem Lieferbus, der in der Stadt Bern Güter von einem Hub an verschiedene Übergabepunkte zur Feinverteilung bringt. Das selbstfahrende Fahrzeug ist dabei für eine rund 60 Kilometer lange Strecke zugelassen und darf im Automatisierungsmodus bis zu 60 km/h schnell fahren. Anfangs fährt noch ein Sicherheitsfahrer mit, dieser soll aber nach und nach nicht mehr mit an Bord sein, bis der Lieferbus schliesslich automatisiert, und lediglich aus der Ferne überwacht, unterwegs sein kann.

Pilotversuch in Bern: Die Tagesschau berichtet (SRF)

Ein Blick in die Zukunft

Da automatisiertes Fahren in der Schweiz noch nicht erlaubt ist, erteilt der Bund für solche Versuche spezielle Ausnahmebewilligungen. Ziel ist dabei, Erkenntnisse über die neuen Mobilitätsformen zu gewinnen. Denn jeder Versuch gibt Einblicke in die Mobilitätsentwicklung der Zukunft, vermittelt wertvolle Erkenntnisse für Regulierungen und ermöglicht die Beurteilung der Akzeptanz automatisierter Fahrzeuge in der Bevölkerung. In Sitten beispielsweise gehörten automatisierte Shuttle des öffentlichen Verkehrs schnell zum Alltag der Bevölkerung. Sie wurden sowohl von älteren Personen als auch von jungen Menschen auf Pokémon-Jagd genutzt.

Um das automatisierte Fahren der Stufe 3 «bedingt automatisiert» und der Stufe 4 «hochautomatisiert» zukünftig regulär zu ermöglichen, wurde das Strassenverkehrsgesetz angepasst. Das Parlament hat dieser Revision 2023 zugestimmt. Die zugehörige konkretisierende Verordnung über das automatisierte Fahren wird voraussichtlich Anfang 2025 in Kraft treten. Somit können ab diesem Zeitpunkt selbstfahrende Fahrzeuge regulär auf Schweizer Strassen zugelassen werden.

Stufe 3 bedeutet, dass das Fahrzeug für einen gewissen Zeitraum bzw. in bestimmten Situationen selbständig fahren kann. Eine dauerhafte Überwachung des Systems ist nicht mehr nötig, die Person am Steuer muss aber auf Aufforderung des Fahrzeugs die Kontrolle wieder übernehmen. Bei Stufe 4 kann das automatisierte Fahrzeug in einem definierten Anwendungsfall (z.B. Fahren auf bestimmten Routen) alle Situationen automatisch und selbständig meistern. Ein Mensch als Rückfallebene ist nicht mehr nötig. Erst beim Verlassen des festgelegten Anwendungsgebietes wird eine menschliche Übernahme der Steuerung erforderlich.

Vorwärts geht es nur gemeinsam

Damit die Verwendung der automatisierten Systeme auf unseren Strassen auch Realität wird, bedarf es noch den Willen der Hersteller, solche Fahrzeuge in der Schweiz anzubieten sowie Unternehmen, die bereit sind, selbstfahrende Fahrzeuge in der Schweiz zu betreiben. Die grösste Herausforderung liegt in der Zuverlässigkeit der Systeme, da sie in sämtlichen Situationen fehlerfrei sein müssen. Derzeit funktionieren die Automatisierungssysteme meist nur bei schönem Wetter und haben Schwierigkeiten, in unerwarteten Situationen, die «richtigen» Entscheidungen zu treffen. Oder aber sie funktionieren nur bei langsamer Geschwindigkeit. Das kann den Verkehr beeinträchtigen und andere Verkehrsteilnehmende zu riskanten Überholmanövern verleiten.

Auch wenn noch viele Fragen offen sind, ist aber klar, dass automatisierte Fahrzeuge auch in die Schweiz kommen und das heutige Mobilitätssystem verändern werden. Insbesondere mit Fahrzeugen ab der Automatisierungsstufe 4 werden neue Mobilitätsformen möglich. Kleinere und wendigere Transportmittel lassen sich einsetzen, um Personen oder Güter zeitlich flexibel von A nach B zu bringen. Die Routen könnten dabei je nach Bedarf unterschiedlich gewählt werden. Selbstfahrende Fahrzeuge sind zudem für die erste und letzte Meile in ländlichen Regionen, etwa als Anbindung zum öffentlichen Verkehr, beispielsweise für die Fahrt zum Bahnhof, eine interessante Option. Aber auch in Nachtstunden bieten selbstfahrende Fahrzeuge eine gute Möglichkeit, um einfach und sicher nach Hause zu kommen. Die Zustelldienste werden sich mit automatisierten Fahrzeugen ebenfalls verändern.

Gefragt sind nun innovative Lösungen, mit denen das Potential selbstfahrender Fahrzeuge genutzt werden kann und die sich möglichst optimal ins Schweizer Mobilitätssystem integrieren lassen. Dazu sind eine enge Zusammenarbeit, ein offener Diskurs und ein agiles Vorgehen zwischen Wissenschaft und Forschung, Industrie und Unternehmen sowie mit Behörden als auch mit der Gesellschaft erforderlich. Denn nur im gemeinsamen Austausch können wir die Neuerungen im Mobilitätssystem aktiv vorwärts bringen und gestalten.

 

Sigrid Pirkelbauer

Sigrid Pirkelbauer leitet den Bereich Verkehrs- und Innovationsmanagement im Bundesamt für Strassen (ASTRA), dabei verantwortet sie neben der Verkehrsstatistik und der strategischen Ausrichtung des Verkehrsmanagements auf den schweizerischen Nationalstrassen auch das Thema der Intelligenten Mobilität.