Wir können die Digitalisierung nicht aushocken

Home Office, Coworking, Co-Creation: Ein Gespräch mit Barbara Josef, Mitgründerin einer Beratungsfirma für neue Arbeitsmodelle, über zukünftige Arbeitswelten.

Der technische Fortschritt hat unsere Art zu arbeiten schon immer beeinflusst. Der Digitalisierung wird nun aber ein noch sehr viel grösseres Umwälzungspotenzial zugeschrieben. Sehen Sie das auch so?

Wir müssen die Entwicklung auf zwei Ebenen anschauen. Die grössere Umwälzung ist sicher die, die Frey und Osborne 2013 in ihrer Studie beschreiben: Sie zeigen dort auf, dass 47 Prozent aller heutigen Jobs ein hohes Automatisierungspotenzial aufweisen. Und gerade in der Schweiz, wo das Kapital dafür da ist, wird die Automatisierung sicher ein grosses Thema werden. Die zweite Diskussion hängt damit zusammen:  Wie schaffen wir optimale Rahmenbedingungen für die verbleibenden Aufgaben, die so komplex sind und so viel Kreativität und Flexibilität voraussetzen, dass sie eben nicht automatisiert werden können? Die Leute, die sie übernehmen können, wird man mit Stempeluhren und grauem Büroalltag nicht halten können.

Und was ist mit den anderen? Die Gewerkschaft Syndicom schreibt: «Die Kluft zwischen jenen, die über die Technik bestimmen, und jenen, die sie am Laufen halten, wird sich genauso verbreitern wie jene zwischen Arm und Reich. Dazwischen gähnt die Leere. Was tun mit all den Schalterbeamten, dem Verkaufspersonal, den Dienstleistenden, deren Arbeit nicht mehr gebraucht und nicht mehr bezahlt wird?» Müssen sie mit einem bedingungslosen Grundeinkommen «ruhig gestellt werden»?

Gefährdet sind längst nicht nur low-skilled Jobs, also beispielsweise die Kassierin, die durch das Selbstscanning obsolet gemacht wird. Auch high-skilled Jobs sind betroffen, beispielsweise der Statiker, der hochkomplexe Berechnungen angestellt hat, die nun eine Maschine übernehmen kann. Sicher stellt sich uns die Frage, wie wir als Gesellschaft damit umgehen wollen. Das bedingungslose Grundeinkommen wäre ein möglicher Lösungsansatz, weil es in gewissem Masse sicherstellen würde, dass von den Effizienzgewinnen der Automatisierung nicht nur diejenigen profitieren, die das Kapital für die Maschinen besitzen  Aber mir ist das fast zu resignativ; für mich sind Eigenverantwortung und Leistungsanreize zentrale Erfolgsfaktoren unserer Wirtschaft.

Also nicht einfach Maschinen, ihre privilegierten Betreuer und ein Heer von Arbeitslosen?

Wichtig ist, dass Menschen nicht in einer Sackgasse landen, weil ihre Fähigkeiten plötzlich nicht mehr gefragt sind. Das bedingt zum einen, dass sie laufend Standortbestimmungen vornehmen und sich weiterbilden. Zum anderen muss es sowohl vom gesellschaftlichen Ansehen als auch von der finanziellen Situation her möglich sein, dass man sich auch mitten im Leben nochmals neu orientiert und ausrichtet. Ob wir diese Phase dann «temporäres bedingungsloses Grundeinkommen» oder Sabbatical nennen spielt keine Rolle. Wichtig ist, dass die Berufswahl nicht mehr einmalig mit 16 stattfindet, sondern laufend. Das ist auch für die Gesellschaft sehr wertvoll – viele Menschen erkennen erst in der Mitte ihres Lebens ihre wahren Stärken, Talente und Leidenschaften. Es wäre schade, diese nur als Hobby zu verwirklichen.

Ganz wesentlich ist in diesem Zusammenhang auch die Rolle der Bildung. Zum einen müssen wir neue Kompetenzen vermitteln – wie etwa Selbstreflexion oder kritisches Denken – zum andern muss Bildung aber auch die Bereitschaft zum kontinuierlichen Lernen und zu einem konstruktiven Umgang mit Veränderungen sicherstellen. Es muss uns gelingen, möglichst viele Leute zu befähigen, mit den Veränderungen mitzuhalten und einen Platz in der Gesellschaft zu finden. Der Lehrplan 21 ist hier bereits auf dem richtigen Weg: Er sieht den Aufbau von neuen Kompetenzen vor, will die Schüler für den Umgang mit Komplexität vorbereiten und das kritische Denken fördern, das früher in der Schule von autoritären Lehrpersonen eher sanktioniert wurde. Gemeinsam lernen, voneinander lernen, Wissen und Kompetenzen sichtbar machen und teilen, darum wird es in Zukunft gehen.  

Zurück zu denen, die heute arbeiten. Mobile Geräte gibt es schon länger. Warum reden auf einmal alle von der Flexibilisierung der Arbeitswelt?

Weil heute verschiedene Veränderungen zusammentreffen. Zuerst wurden die Geräte kleiner und mobiler, später kam die Cloud dazu und gleichzeitig die Bewegung von individueller Produktivität zur sozialen Kollaboration. Als IBM vor 15 Jahren Home Office einführte, bedeutete das einfach, dass die Angestellten einen Teil ihrer Arbeit von zu Hause aus verrichten konnten. Heute sind neue Arbeitsformen einerseits unter dem Gesichtspunkt interessant, wie man eine Kultur der Eigenverantwortung und des Unternehmergeistes «installiert». Andererseits geht es darum sicherzustellen, dass die Organisation ein lernendes System ist, das positiv mit Veränderungen umgeht, sie im Idealfall sogar antreibt oder zumindest antizipiert. Da die Unternehmenskultur schwierig zu fassen ist, geht es beim Thema «Neue Arbeitswelten» am Schluss oft um das Experimentieren mit neuen Raumtypen, wie etwa Coworking Spaces, Begegnungszonen, Multizonen-Konzepte, Ideation Spaces etc. Gleichzeitig kommt ein digitaler Layer dazu, der Menschen und Wissen auf neue Weise  vernetzt. So könnte mir mein Tablet mitteilen, dass jetzt gerade ein Kollege das Gebäude betritt, der die Fähigkeiten besitzt, die ich für mein Projekt brauche. Der automatische Agenda-Abgleich würde uns einen Termin in einer Stunde vorschlagen – warum nicht einen Kaffee zusammen trinken und die Sache besprechen? Das Schlagwort «Digitalisierung» bedeutet nicht, dass wir uns in Zukunft weniger sehen oder nur noch via Technologien interagieren – es geht vielmehr um neue Formen der Vernetzung und der Koordination.

Noch sehe ich rund um mich herum wenige Beispiele für neue, flexiblere Arbeitsmodelle und mehr Kreativität, noch wird Arbeitsleistung meist mit absolvierter Arbeitszeit gleichgesetzt.

Es gibt hier auch keinen linearen Zusammenhang: Flexibilität führt nicht automatisch zu mehr Kreativität und es wird nicht einfach alles besser, wenn alle mit ihren Laptops im Park sitzen oder die Nacht durcharbeiten. Aber mit der zunehmenden Komplexität der Aufgaben, der zunehmenden Schwierigkeit, Stellenprofile klar zu umschreiben, geht die Notwendigkeit einher, den Arbeitnehmenden mehr Spielraum einzuräumen und auch die Möglichkeit zu bieten, sich unternehmerisch zu verhalten. Arbeitskulturen, in denen die Präsenz noch immer die einzige Messgrösse für Leistung ist, werden solche Anreize nicht setzen können. Die Arbeitskultur führt immer auch zu einer gewissen Selbstselektion – wer innovative Querdenker gewinnen möchte, kann sich keine «9to5-Kultur» leisten.

Mehr Freiraum – heisst das einfach mehr Vertrauen?

Es wird auch in Zukunft Jobs geben, wo Präsenz und Output korrelieren. Beim Verkaufspersonal beispielsweise macht es durchaus Sinn, an der Zeiterfassung festzuhalten. Für Wissensarbeiter – das sind in der Schweiz rund 45 Prozent der Erwerbstätigen – müssen wir uns aber schon überlegen, was wir in Zukunft messen wollen; Zeit spielt dabei eine zunehmend untergeordnete Rolle.  Vertrauen ist sehr wichtig, wenn es um das Gewähren von mehr Autonomie geht – im Umkehrschluss bedeuten neue Arbeitsformen aber nicht eine «Laissez-faire-Kultur». Es gibt genügend Studien, die klar aufzeigen, dass zu viel Vertrauen sogar demotivierend sein kann, weil es mit mangelndem Interesse gleichgesetzt wird. Die Herausforderung besteht darin, den Beitrag von Individuen und Teams auf neue Weise sichtbar und messbar zu machen – neue Technologien wie Enterprise-Social-Networking-Plattformen helfen da sicherlich mit, da sie Transparenz schaffen.

Ist die Technologie der einzige Treiber des Trends zu flexibleren Arbeitsmodellen oder spielen auch infrastrukturelle Fragen – überlastete Züge und Strassen – eine Rolle?  

Der Nachhaltigkeitsgedanke und gesellschaftliche Entwicklungen sind sicher ein Faktor. Dazu kommt eine neue Generation, die mit anderen Instrumenten gross geworden ist und sie auch ganz anders nutzt als wir. Die Wissenschaft geht von vier klassischen Treibern aus: Es sind der technologische Fortschritt, die Globalisierung, der demographische Wandel und institutionelle Rahmenbedingungen, welche die Art und Weise beeinflussen, wie Firmen nach innen und aussen funktionieren.

Geht mit der Flexibilisierung nicht auch die Gefahr einher, den über lange Jahre hart erkämpften Arbeitsschutz leichtfertig preiszugeben?

So radikale Einschnitte, wie sie die zunehmende Automatisierung verursachen wird, müssen natürlich von einer Diskussion mit möglichst allen Anspruchsgruppen begleitet werden. Aber ich habe Mühe damit, wenn versucht wird, Veränderungen und Fortschritt aus Angst zu verhindern. Bei der Lancierung des Home Office Day 2009 beispielsweise sahen die Gewerkschaften in flexiblen Arbeitsformen nur die Gefahr, dass die «Zitrone künftig noch mehr ausgepresst wird» – eine solche negative und reaktionäre Haltung bringt niemandem etwas. Wir können die Digitalisierung nicht einfach aushocken. Ich bin mir natürlich bewusst, dass ich auf der Seite derer stehe, die von den Veränderungen profitieren. Freelancern, Leuten mit einem guten beruflichen Rucksack, einem guten Beziehungsnetz, Leidenschaft und etwas Unternehmerblut kommt das Zeitalter, in dem wir leben, sehr entgegen. Für einen Taxifahrer, der wegen Uber seinen Job verliert, sieht die Sache sicher anders aus.

Einer Ihrer Blogeinträge trägt den Tite «Die Schildbürger GmbH führt Home Office ein». Es geht darin um einen CEO, der die Idee im CAS-Kurs «Digital Leadership» aufgeschnappt hat und damit kläglich scheitert.

Ich glaube nicht, dass jedes Unternehmen auf Biegen und Brechen neue Arbeitsmodelle einführen muss. Aber diejenigen, die sich für den Weg der Veränderungen entscheiden, müssen dies konsequent und authentisch tun – alles andere kreiert lediglich hohe Erwartungen und Frust. Im Zeitalter der Unsicherheit geht es zudem nicht um das perfekt durchgetaktete Change Projekt, sondern vielmehr darum, möglichst viel auszuprobieren und gemeinsam zu lernen. Die Einbindung der Mitarbeiter und das Experimentieren im sicheren Rahmen sind zwei wichtige Erfolgsfaktoren im Umgang mit Veränderungen. Ich plädiere deshalb eher für kleine Pilotprojekte, die dann aber wirklich gut und glaubwürdig durchgeführt werden. Denn genau das ist die Chance, die uns das digitale Zeitalter bietet: Arbeit neu zu denken und neu zu verhandeln, sodass alle davon profitieren.

 

Barbara Josef

Barbara Josef ist Co-Founder der 5to9 AG. Zuvor war sie Kommunikationsleiterin von Microsoft Schweiz und hat unter anderem das Projekt «Home Office Day» mitgegründet und geleitet. Sie ist gelernte Primarlehrerin und hat an der Universität St.Gallen Betriebswirtschaft studiert.