Haben selbstfahrende Autos ein Gewissen?

Die zunehmend automatisierte Mobilität wirft grundlegende gesellschaftliche Fragen auf. Der Ethiker Peter Kirchschläger erklärt, wer in einer smarten Welt welche Verantwortung übernehmen muss und wie weit die Nutzung individueller Daten im Interesse des Kollektivs gehen darf.

Auch der Ethiker kann dem effizienten und effektiven Einsatz von smarten Daten in automatisierten Verkehrssystemen viele positive Seiten abgewinnen: Die Reduktion von Unfällen und weniger Unfalltote, die Verringerung von Staus und, unter dem Strich, eine geringere Umweltbelastung sind nur einige davon. Auch Innovation an sich sieht Prof. Peter Kirchschläger als ein Positivum, da sie, sinnvoll genutzt, mehr Menschen Wohlstand und ein menschenwürdiges Dasein ermöglicht. Zudem dürfte eine smarte und weitgehend automatisierte  Mobilität auch behinderten und betagten Menschen viel mehr Möglichkeiten eröffnen, selbstbestimmt am gesellschaftlichen Zusammenleben teilzunehmen.

Den Begriff «autonom» lehnt Kirchschläger für die Bezeichnung von selbstfahrenden Autos dezidiert ab. Autonomie als moralische Kategorie sei allein den Menschen vorbehalten, betont er, die Maschine besitze kein Gewissen und bleibe letzten Endes als programmiertes System immer fremdbestimmt. Sie kann deshalb auch nicht frei sein. Dieser Punkt ist aus Sicht der Ethik zentral: Denn damit liegt die Letztverantwortung für die «Handlungen» jedes automatisierten Systems ganz klar immer beim Menschen. Weil sie weder moralfähig, noch frei, noch selbstbestimmt ist, kann die Maschine auch keine Verantwortung übernehmen.

Das ist insbesondere dann wichtig, wenn es um das viel zitierte «moralische Dilemma» geht, das sich ergibt, wenn wir ein automatisiertes Fahrzeug für den Extremfall programmieren müssen: Soll es, wenn die Kollision unabwendbar ist, eher den Tod eines Erwachsenen oder den eines Kindes in Kauf nehmen? Moralisch gute Optionen gibt es in dieser Konstellation keine, denn die jedem menschlichen Wesen eigene Menschenwürde, lässt kein «Abwägen der Werte» zwischen verschiedenen Menschenleben zu.

Ein weiterer zentraler Punkt ist aus Sicht der Ethik das Recht auf Privatsphäre – ein menschenrechtlich garantiertes Recht. Wird es respektiert, so muss es auch im Zuge der Automatisierung der Mobilität und der damit verbundenen ständigen Erhebung von Daten weiterhin Räume der Privatheit geben, wo Menschen sicher sein können, dass sie von niemandem beobachtet oder überwacht werden. Räume und Zeiten also, wo kein Dritter zuhört und aus dem Gehörten Schlüsse zieht – selbst wenn er es nur tut, um mir auf meine Bedürfnisse zugeschnittene (und somit für mich nützliche) Dienstleistungen anbieten zu können. Hier ist der Ethiker streng: Auch wer nichts zu verbergen hat, wird durch einen externen Beobachter in seiner Freiheit begrenzt. Denn Menschen verhalten sich nachweislich anders, wenn sie wissen, dass ihnen jemand zuschaut.

Mit dem Recht auf die Privatsphäre eng verbunden ist das Recht auf Datenschutz und auf informationelle Selbstbestimmung. Alle diese Rechte und normativen Standards, betont Kirchschläger, habe sich die Menschheit im Zuge eines langen und mühsamen Kampfes errungen und dürfe sie nun nicht im Zuge der Nutzung von Smart Data leichtfertig preisgeben. Für ihn liegt die entscheidende Herausforderung der automatisierten Mobilität von morgen darin, dass es gelingen müsse, das innovative Potenzial von Smart Data unter Berücksichtigung des Datenschutzes zu verwirklichen, zumal dazu keine neuen regulatorischen Massnahmen notwendig seien ­– es würde genügen, die bereits existierenden Normen weltweit durchzusetzen.

Die Präsentation von Peter Kirchschläger finden Sie hier.

Peter Kirchschläger

Prof. Dr. Peter G. Kirchschläger ist Ordinarius für Theologische Ethik an der Universität Luzern.

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