Warum nicht. Aber bitte mit Mass!

Grafik: gfs.bern

 

Fortschritt ist ein subjektives Konzept und Fortschrittsglaube daher schwer messbar. Der Fortschrittsbarometer, den gfs.bern im Auftrag von Credit Suisse seit 2018 jährlich erstellt, hat den Vorteil, dass er den Wunsch nach Fortschritt in 16 Ländern rund um den Globus nach derselben Methode ermittelt, was ein vergleichbares Bild ergibt. Die Schweizer Bevölkerung zeigt sich dabei mit Abstand als eine der zurückhaltendsten, wie Cloé Jans, Leiterin des operativen Geschäfts bei gfs.bern, erklärt.

Im Ländervergleich zeigt sich auch, dass der Wunsch, das Rad des Fortschritts schneller zu drehen, mit dem Bruttoinlandprodukt (BIP) korreliert: Je solider eine Volkswirtschaft aufgestellt ist, desto geringer fällt in den meisten Ländern die Fortschrittsbereitschaft aus. Das gilt vor allem im anglosächsischen und europäischen Raum, wo die Haltung dem Fortschritt gegenüber im Verlauf der letzten Jahre kritischer geworden ist.  Grund dafür ist, dass es für die Bevölkerung wohlhabender Länder keinen dringenden Anlass dafür zu geben scheint, den Status Quo zu verlassen. Dazu kommt, dass die Auswirkungen neuer Technologien – beispielsweise der als negativ empfundene Strukturwandel im Bereich der Medien – viele dazu führt, zu hinterfragen, ob Fortschritt per se etwas Positives sei. Deshalb geht die Tendenz dahin, ein Vorwärtspreschen eher abzulehnen. Jens spricht von einer «neuen Vorsichtigkeit der westlich geprägten Länder.» Gerade die Jugend, das zeigt der Credit-Suisse-Jugendbarometer vielleicht überraschend, erweist sich in der Schweiz als relativ risikoavers. Schuld daran ist gerade das allgemein hohe Lebensniveau: «Da begnügt man sich lieber mit kleinen Schritten als den ganz grossen Wurf zu wagen», sagt Jens, «zumal scheitern in der Schweiz, im Gegenteil etwa zu den USA, sehr negativ behaftet ist.» Einen empfindlichen Dämpfer habe den Fortschrittsglauben durch alle Generationen hinweg schliesslich ein weiterer Umstand versetzt: «Man kann heute nicht mehr darauf vertrauen, dass es den Jungen mindestens so gut gehen wird wie der Elterngeneration.»

Gleichzeitig wird in der Schweiz der Innovationsgedanke aber extrem hoch gehalten. Doch das bedeutet nicht, dass man sich daran berauschen und mit aller Kraft vorwärts stürmen würde. Es ist eher eine stetige und bescheidene Form nach Fortschritt zu streben, die die Schweiz charakterisiert: «Hier gibt es keinen Elon Musk, der gleich auf den Mond fliegen will», kommentiert Jans, «die  typische Schweizer Innovationsbude stellt viel eher ein unspektakuläres, aber hochinnovatives und deshalb extrem wichtiges Einzelteilchen einer grösseren Maschine her, ohne das es jedoch nicht gehen würde.»

Umsichtig, stetig, bescheiden, aber sich seiner Stärken – wie etwa dem extrem guten und agilen dualen Bildungssystem – durchaus bewusst: So stellt sich die Schweiz auch der Digitalisierung. «Der Technologiewandel wird durch die Brille der resistenten Alpenrepublik gesehen, die den Krisen harrt», sagt Jans. Im Credit-Suisse-Sorgenbarometer beispielsweise zeigt sich, dass in der Schweiz die viel diskutierte Angst davor, aufgrund der Digitalisierung bald die Stelle zu verlieren, absolut nicht ausgeprägt ist. Cloé Jans führt das darauf zurück, dass die Schweiz aus den meisten Krisen, so auch aus der Finanzkrise, relativ locker wieder herausgekommen sei:  «Man vertraut deshalb darauf, dass es am Ende schon gut kommt.»

 

Cloé Jans

Die Politikwissenschafterin Cloé Jans ist Leiterin operatives Geschäft und Mediensprecherin beim gfs-Befragunsdienst in Zürich.