Digitale Gesundheitsversorgung – Apps und Telematik in der Medizin

Von Christiane Brockes

Der vermehrte Einsatz sogenannter Assistenztechnologien sowie Angebote aus dem Wearable-Markt verändern den Pflegealltag und das Betreuungsangebot. Das klassische Notrufsystem wird smarter, Vitalfunktionen werden unmittelbar eingelesen und kontrolliert, Stürze werden präventiv abgewendet, und mittels intelligenter Lichtsysteme können Pflege und Betreuung optimiert werden. Das Pflegepersonal wird entlastet und kann sich auf die Kernaufgaben konzentrieren. Welche Lösungen für Mitarbeitende, Bewohnerinnen und Bewohner bzw. Patientinnen und Patienten zu Hause geeignet sind, braucht jeweils eine genaue Abklärung. Durch eine gute Begleitung und Moderation bei der Auswahl und Implementierung innovativer Lösungen und Dienstleistungen kann deren erfolgreicher Einsatz garantiert werden. Der strukturierte Aufbau von Kompetenzen im Umgang mit den digitalen Lösungen ist der Schlüssel zum Erfolg. Die rechtzeitige Sensibilisierung für die Veränderungen, ausgelöst durch den vermehrten Einsatz von Technologien, reduziert zudem Belastungen und Frustrationen beim Personal.

E-Health – digitale Gesundheitsvorsorge und -versorgung zu Hause

Die Gesundheitsbranche steht vor massiven Herausforderungen: Kostenexplosion im Gesundheitswesen, demografischer Wandel und Mangel an Pflegepersonal. Neue Wege sind notwendig. Die Digitalisierung – über die Möglichkeiten der Gebäudeautomation hinaus – spielt auch in der Gesundheitsvorsorge und -versorgung sowie beim Wohnen eine immer wichtigere Rolle. Dabei werden Leistungen zunehmend unabhängig von Ort und Zeit erbracht oder angefordert, was zu grossen und teilweise fundamentalen Veränderungen bei Angebot und Nachfrage führt. E-Health bietet hierzu Lösungsansätze. Ein möglichst autonomes Leben bei hoher Sicherheit zu tragbaren Kosten ist die Zielsetzung. Digitale Technologien und Dienstleistungen unterstützen den Nutzer zudem dabei, den tief verankerten Wunsch, möglichst lange aktiv und selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden zu leben, zu realisieren. Die Pflege wird entlastet, es sind beispielsweise weniger Kontrollbesuche notwendig, was gerade auch in Zeiten von Covid-19 von Bedeutung ist. Digitale Assistenzsysteme spielen sowohl für Pflegeeinrichtung wie auch für die Betreuung von älteren Menschen zu Hause eine immer wichtiger werdende Rolle.

Active Assisted Living (AAL) – das Smarthome im Gesundheitswesen

Unter AAL versteht man ein umgebungsunterstütztes Leben. Es steht für Strategien, Produkte, Dienstleistungen und Technologien für das eigene Zuhause und das mobile Lebensumfeld. AAL ist das Smarthome im Gesundheitswesen. Ziele des AAL sind es, das autonome Leben zu fördern, das Selbstmanagement und die Gesundheit zu optimieren sowie bei Bedarf Hilfe zu erhalten. Zum Einsatz kommen digitale Hilfsmittel und Serviceleistungen, die Menschen in alltäglichen, oft trivial erscheinenden Situationen unterstützen und motivieren. Dies führt zu einer Steigerung von Gesundheit, Sicherheit und Lebensqualität. Gerade auch ältere Menschen können davon profitieren: AAL-Technologien helfen, Notfälle schneller zu erkennen, Pflegende zu unterstützen und die Angehörigen zu entlasten. Mithilfe von digitalen Assistenten, wie zum Beispiel Sensoren zur Sturzerkennung, können Notfallsituationen automatisiert erkannt und dadurch schneller behoben werden, dies auch ohne aktives Drücken eines Notfallknopfes. Das schafft einerseits mehr Sicherheit, andererseits braucht es weniger Kontrollbesuche. Man muss nicht mehr extra bei der zu betreuenden Person vorbeigehen, um zu erfahren, ob es ihr gut geht oder eben nicht. Sensoren im Bett oder in der Toilette können aufzeigen, ob die Bewohnerin oder der Bewohner aufgestanden ist. Sensoren im Teppich können Bewegungsmuster eruieren und informieren, wenn sich ein Gangbild ändert und Sturzgefahr besteht. Digitale Sturzpräventions- und Rehabilitationsprogramme können auf einfache Art und Weise in den Alltag eingefügt werden. Für Patienten mit demenziellen Erkrankungen stehen digitale Angebote mit Spielcharakter zur Verfügung. So können in der eigenen Wohnumgebung das Notfallmanagement und weitere Pflege- und Supportprozesse deutlich verbessert werden. Diese digitalen Gesundheitsangebote, auch gerade in Verschmelzung mit Smarthomelösungen, können die Gesundheitsversorgung qualitativ bereichern, werden aber bei den Patientinnen und Patienten die menschliche Zuwendung als wesentlichen Faktor nicht ersetzen.

 

 

Telemedizinische Beratung

Der mündige Patient nutzt heutzutage zunehmend digitale Angebote, um sich zu seinen gesundheitlichen Anliegen zu informieren. Eine telemedizinische Beratung auf Distanz, kombiniert mit der Erfassung von Vitalparametern und durchgeführt von Pflegenden, die ihre Patienten und deren Krankengeschichte kennen, kann die Betreuung erheblich erleichtern. Auf Basis eines Telemonitorings lassen sich Tendenzen erkennen, was ein frühzeitiges Reagieren möglich macht. Die alcare AG bietet eine telemedizinische Beratung zur Unterstützung von Pflegenden. Die ärztliche Onlineberatung (www.onlinedoktor365.ch) kann flexibel und unkompliziert genutzt und in ein pflegerisches Leistungsangebot eingebunden werden. Die schriftlichen medizinischen Beratungen können dazu beitragen, die begrenzten Ressourcen optimal einzusetzen. Beispielsweise werden in Bezug auf die Verbreitung des Coronavirus in der Schweiz individuelle Anfragen beantwortet. Es erfolgt eine Triage in nicht Covid-19-bezogene Krankheiten und Covid-19-Verdachtsfälle mit entsprechender Kanalisierung und schneller Zuweisung.

Für Pflege und Wohnen passgenaue digitale Lösungen finden

Wichtig ist, aus der grossen Fülle der Technologien und Dienstleistungen die Richtigen für die jeweilige Zielgruppe und Nutzer auszuwählen und anzupassen. Die Passgenauigkeit ist eine zentrale Aufgabe und Herausforderung bei der erfolgreichen Einführung aller digitalen Hilfsmittel. Dazu kommt, dass sich der Markt an verfügbaren digitalen Lösungen sehr schnell verändert. Inzwischen werden viele der klassischen Lösungen des AAL vom Wearable-Markt konkurrenziert; sie sind günstiger, umfassend kompatibel, einfach in der Einführung und Handhabung. Herausforderung und Ziel ist es, den maximalen Nutzen sowohl für die Patientinnen und Patienten als auch die Pflege sicherzustellen.

Bedürfnisabklärung und Strategieentwicklung

Neue Technologien bieten Sicherheit, Gesundheit und Wohlbefinden, abgestimmt auf bereits manifestierte oder auch erst antizipierte Bedürfnisse. Das ist wichtig, denn fast über alle Altersgruppen und Lebensstile hinweg, werden Menschen immer mehr zu aktiven, informierten, verantwortungs- und preisbewussten Kunden und Patienten, die auf ihre Lebenssituation abgestimmte Angebote erwarten. Es gibt also nicht das Angebot oder die Lösung; je nach Bedürfnis braucht es andere Lösungen für ein und dieselbe Situation oder wird eine Anpassung von etablierten Systemen notwendig. Gesundheits-Apps, Sicherheitslösungen, haushaltsnahe Dienstleistungen oder Community-Plattformen usw. müssen – um erfolgreich genutzt zu werden – gesamthaft und optimal auf die Bedürfnisse der Nutzer ausgerichtet sein. Bedürfnisabklärung und Anforderungsanalyse stehen deshalb am Beginn und im Fokus, wenn eine Lösung ausgewählt und anschliessend implementiert werden soll.

Digitales Pflichtenheft

Aufgebaut auf den Bedürfnissen und den organisatorischen sowie finanziellen Rahmenbedingungen wird ein Anforderungskatalog erarbeitet, der als Grundlage für das digitale Pflichtenheft dient. Hiermit gilt es, die Anforderungen der Nutzerin oder des Nutzers und digitale Lösungen des Anbieters aufeinander abzustimmen; dabei dürfen die Effizienz und die Kosten-Nutzen-Analyse nicht vernachlässigt werden. Im digitalen Pflichtenheft werden Anforderungen gewichtet und nach den Prinzipien «must have», «nice to have» und «no go» beschrieben. Nicht alles, was gewünscht wird und technisch möglich ist, kann in die engere Auswahl einbezogen werden. Mit dieser Vorgehensweise sichern wir den Entscheidungsträgern all jene Daten, die es für eine qualifizierte Entscheidungsfindung braucht.

Auswahlverfahren

Das ausverhandelte digitale Pflichtenheft wird zur Grundlage für die Auswahl möglicher Lösungsanbieter. Diese haben die Möglichkeit, zu den Anforderungen Stellung zu beziehen, ihre Besonderheiten aufzuzeigen und ihre Passgenauigkeit zu belegen. Basierend auf diesen Rückmeldungen wird den Entscheidungsträgern eine Liste möglicher Anbieter vorgelegt, die ihrerseits dann direkt mit den Entscheidungsträgern in Kontakt treten können.

Implementierungen der gewählten Lösung mit Schulung der Pflege und Begleitung der Primärnutzer

Der Schlüssel zum erfolgreichen Einsatz neuer Gesundheitstechnologien und entsprechender Dienstleistungen sind strukturierte Schulungen für die Pflege, inkl. einem Change-Management. Ziel ist es, beispielsweise in einer internen Weiterbildung, Kompetenzen zu schaffen sowie einen sicheren Umgang mit den gewählten und zu implementierenden digitalen Assistenzsystemen zu erlernen. Oftmals sind die Vorteile der innovativen Lösungen nicht bekannt. Misstrauen und Zweifel überwiegen; statt Effizienzsteigerung wird eine Mehrbelastung erwartet. Wenn es aber gelingt, Vertrauen und Akzeptanz aufzubauen und Wissen zu entwickeln, wird der Nutzen schnell erkannt und geschätzt. Um Vertrauen in die innovativen Lösungen aufzubauen, ist eine flankierende Unterstützung und Begleitung der Primärnutzer in den eigenen vier Wänden wichtig und zielführend. Insbesondere älteren Menschen sollte stete Unterstützung bei der Nutzung digitaler Lösungen geboten werden. Die praktische Anleitung und Hilfe bei der Integration der Hilfsmittel in den Lebensalltag ist eine notwendige Aufgabe. Unsere Erfahrung dabei ist, dass die Patientinnen und Patienten sowie die Bewohnerinnen und Bewohner mit Freude und auch Spass diese Angebote nutzen.

Abschliessende Bemerkungen 

Im Fokus der alcare AG steht nicht der Verkauf von Technologien, sondern der Prozess der Findung, Auswahl und Implementierung, den wir moderieren. Wer heute eine digitale Lösung kaufen möchte, findet diese in einem sehr lebendigen und sich schnell verändernden Markt. Das Finden und Kaufen dieser ist also nicht problematisch; die richtige Lösung zu finden und diese nachhaltig einzusetzen, ist hingegen stets eine Herausforderung. Der Einsatz von digitalen Lösungen bedeutet mehr Gesundheit, Sicherheit, Autonomie und Wohlbefinden und sollte die Entlastung des Pflegepersonals und der Angehörigen als Ziel haben. Hingegen betrifft das Angebot der alcare AG die Entscheidungsfindung und die Prozesse der Implementierung und stellt die Abstimmung auf Bedürfnisse und Erwartungen sicher.

Christiane Brockes

Prof. Dr. med. Christiane Brockes kommt aus der Inneren Medizin, Kardiologie und Notfallmedizin, entwickelte die Klinische Telemedizin am Unispital Zürich und ist seit 2017 CEO der alcare AG. Sie ist Professorin an der Universität Zürich zum Thema «Klinische Telemedizin / E-Health».