Die Pandemie hat viele Dinge auf den Kopf gestellt – manche aber auch wieder auf ihre Füsse

Neue Formen der Arbeitsgestaltung: Coffee-Office in Toronto (Foto: Piqsels)

 

Von Sibylle Olbert-Bock

Vorstellungen von Digitalisierungsfragen und im Hinblick auf die Gestaltung von Arbeit wurden bereits in den Jahren vor der Pandemie intensiv diskutiert. Unter anderem gingen dem Lockdown die Diskussion agiler Organisationsformen sowie eine Idealisierung von Home-Office voraus.

Mit Blick auf Home-Office bzw. «Remote Work» lassen sich der Lockdown im Frühjahr 2020 und die aktuelle Situation als spontane Feldversuche der praktischen Umsetzung betrachten. Bei zunehmender Dauer wichen einige Hoffnungen einer realistischeren Einschätzung und Erwartungshaltung. Auch wenn aus älteren Diskussionen über Heimarbeitsplatz, Telearbeit und nun «Remote Work» schon zahlreiche wissenschaftliche Erkenntnisse bestehen, scheinen das eigene Erleben und ein angehender «Längsschnitt» besonders lehrreich für einen ausgewogeneren Blick auf mögliche positive Wirkungen zu sein – aber auch auf Nebenwirkungen. Vielen Menschen macht die soziale und informationelle Isolation zu schaffen. Projekte geraten an die Grenzen einer reinen Remote-Führung und den hohen Anforderungen an die Selbstorganisation des Einzelnen und von Teams. Die Ungleichverteilung von Arbeit steigt.

Es gilt, das Stadium des spontanen Feldversuchs zu verlassen. Es geht um die Gestaltung von Arbeit zwischen Präsenz und Remote, Spielräume für Selbstorganisation und die Nutzung von Kooperationstechnologien:

  1. Die Mischung macht es. Je nach Art der Tätigkeit gilt es jenes Arbeitsumfeld zu finden und zu wählen, das am geeignetsten ist. Vermutlich wird auch in Zukunft mehr von zu Hause gearbeitet, dies aber gezielter für geeignete Tätigkeiten vorgesehen und bewusst mit direkter Zusammenarbeit kombiniert, die vielleicht mehr als früher geschätzt wird. Neue Arbeitsflexibilität entsteht, wenn es gelingt, unter Nutzung der nun gut bekannten digitalen Möglichkeiten Arbeitsorte im Team so zu koordinieren, dass ein gemeinsames Optimum entsteht.
     
  2. Die Ausdehnung von Spielräumen für Selbstorganisation ist paradox. Nicht alle Menschen sind in gleicher Weise in der Lage, sich selbst zu organisieren. Je nach individuellen Fähigkeiten und je nach vorausgehender Vorerfahrung muss Selbstorganisation mehr oder weniger stark durch aktive Führung unterstützt werden. Dies hilft, Ungleichgewichte zu vermeiden, bei denen die einen Mitarbeitenden stark eigeninitiativ agieren und sich unter Umständen verausgaben, während es den anderen zu wenig gelingt, neue Aufgaben selbst zu definieren und umzusetzen. Führung kommt also nicht umhin, die verschiedenen Mitarbeitenden im Blick zu behalten, und sich situativ auf sie einzustellen.
     
  3. Die Wirkung von Technikeinsatz folgt der Arbeitskultur. Die genutzten Plattformen können tatsächliche Zusammenarbeit unterstützen oder nur das Abhaken von Teilaufgaben transparent machen. Was sich ereignet hängt massiv davon ab, wie gut sich die Beteiligten kennen, gegenseitig vertrauen, was sie sich gegenseitig zutrauen und welche Auffassungen sie teilen. Der Einsatzzweck und Umgang mit den Technologien sollte gemeinsam vereinbart und im Hinblick auf sinnvolles Handeln immer wieder gemeinsam reflektiert werden.

Frühere Veränderungen der Anforderungen an Arbeit und Führung haben gezeigt, dass bereits beschrittene Pfade des Organisierens, des Führens und von Zusammenarbeit erstaunlich stabil sind. Bereits zu Beginn der 90er-Jahre forderten Organisationskonzepte ein umfassendes Empowerment, dessen Umsetzung unterschiedlich gut funktionierte. Ob es nun gelingt, sich aus traditionellen Mustern zu lösen und «agile» Organisationsformen umzusetzen, beurteilen manche Praktiker skeptisch. Eine zentrale Herausforderung ist, neue Organisationsformen und Führung notwendigerweise ebenenübergreifend umzusetzen und nicht ausschliesslich auf operativer Ebenen zu fordern.

Sibylle Olbert-Bock

Prof. Dr.rer.pol. Sibylle Olbert-Bock doziert an der Ostschweizer Fachhochschule (OST), wo sie das Kompetenzzentrum für Leadership und Personalmanagement aufgebaut hat.