Alltag im Jahr 2030

Von Peter Grütter

Wir schreiben das Jahr 2030. Die Schweiz ist durch und durch vernetzt, schon seit Jahren. IoT, das Internet der Dinge, ist aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken: Dank ihm sind in der Industrie Abläufe und Materialeinsatz hochpräzise. Die Produktion ist exakt auf die Nachfrage abgestimmt und selbst komplexe Anlagen warten sich selber. Im Geschäftsbereich ist IoT zum Synonym geworden für Produktivitätsgewinn, Qualitätskontrolle, Kostenreduktion und Umsatzsteigerung. In öffentlichen und privaten Lebensräumen steht IoT für smarte, energieeffiziente Lösungen und hohe Lebensqualität. Multimodale Mobilität, dezentral und bedarfsorientiert, wurde zur Regel, und hat das Reisen nachhaltig gemacht: umweltfreundlich, energiesparsam und günstig.

Riesenschritte haben auch die Automatisierung und die Robotik gemacht:  Gefährliche und dreckige Arbeiten werden mehrheitlich von Robotern erledigt. Nur auf dem Bau sieht man noch ein paar Arbeiter, natürlich alle im Exoskelett. In der Fertigungsindustrie ermöglicht computergesteuerter 3D-Druck bei Kleinst- und Grossserien eine wirtschaftlich lohnende dezentrale Produktion. Landesweit besorgen autonome Fahrzeuge den Gütertransport und in den verkehrsberuhigten Innenstädten ärgern wir uns nicht mehr über teure und überfüllte Parkhäuser, sondern geniessen nach dem Shopping eine Pause auf der zum Verweilen und Spielen umfunktionierten Strasse, während eine Drohne das Eingekaufte nach Hause fliegt.

Um mit der schier unüberschaubaren Menge von sensor- und rechnerbestückten Produktionsmitteln zurecht zu kommen, setzen inzwischen immer mehr Unternehmen und Organisationen auf «Intent Based Networks»: flexible Netzwerkarchitekturen, die sich automatisch den Bedürfnissen anpassen. Die grossen Datenvolumen befeuern den Wettbewerb unter den Datenfarmen. Lokale Datacenter gibt es kaum mehr, die Rechenleistung ist in die Cloud übersiedelt, wobei die Energieeffizienz wegen der Klimaerwärmung zur neuen Schlüsselgrösse geworden ist. Auch im Bereich der Chips ist eine Epoche zu Ende gegangen: Intel hat das Feld geräumt und in den Endgeräten ARM-Prozessoren Platz gemacht. Und die Blockchain, der dynamische «Datenspeicher» für Werteflüsse, hat Hochkonjunktur, prägt Finanz-, Insurance- und Legaltech-Anwendungen, meistert Qualitätskontrollen, überwacht den Waren- und beschleunigt den Rechtsverkehr.

Nach den grossen Cyberattacken haben sich die Staaten Mitte des Jahrzehnts auf den Cybersperrvertrag geeinigt und im vergangenen Jahr hat die internationale Kontrollbehörde ihre Tätigkeit in Nairobi aufgenommen. Die Netze sind sicherer und resilient geworden, seit sich die Ausrüster in den technischen Normungsorganisationen auf verbindliche globale Standards verständigt haben. Blockaden und Ausfälle verzeichnete man in den letzten Jahren kaum mehr und auch der Datenschutz ist umfassend gewährleistet, seit Self Sovereign Identity zum Standard wurde und die grossen Plattformen von den Gesetzgebern weltweit zu Privacy by Design verknurrt wurden. 

Besonders stürmisch war die Entwicklung bei der künstlichen Intelligenz: Verbesserte Algorithmen und Mustererkennung brachten ungeahnte Produktivitätsgewinne. Chips programmieren sich mittlerweile selber und eine Augmented Reality überzieht die reale Welt mit diversen virtuellen Ebenen, mit denen wir direkt interagieren können.  I-Kontaktlinsen und der Knopf hinter dem Ohr haben das Smartphone abgelöst. Sie zeigen dem Autotroniker, welches Teil er wie ersetzen muss, erleichtern dem Arzt die komplexe Operation und bringen den Schülerinnen und Schülern die Lerninhalte buchstäblich zum Greifen nah. Natürlich verfolgen wir auch die Medien fast nur noch auf dem «inneren Schirm».

Die Netzwerktechnologie entwickelt sich nach wie vor exponentiell und die Innovationszyklen werden kürzer und kürzer. Satellitenbasierte Systeme sind mit der terrestrischen Kommunikationsinfrastruktur verwoben und die Einführung von 6G ist fortgeschritten. Diesmal gab es kaum Widerstand: Die öffentliche Diskussion rund um die Einführung von 5G vor 10 Jahren hat zu einem besseren Verständnis der Mobilfunktechnologie und ihrer Risiken geführt. Und seit dem Siegeszug des 5G-Broadcasting und -Gaming wird fixes und mobiles Hochbreitband als genauso selbstverständlich vorausgesetzt wie Strom und sauberes Trinkwasser.

In der Wissenschaft hat die Quantentechnologie das Zepter übernommen. Holosimulation zur Entwicklung neuer Materialien und Medikamente, Quantensensorik und -metrologie für ultragenaue Vermessung und nicht hackbare Verschlüsselungstechnologie sind nur ein paar der faszinierenden neuen Möglichkeiten.

Next Generation Sequencing, kurz NGS, macht die Sequenzierung eines kompletten menschlichen Genoms innerhalb von Stunden möglich. Das hat die Früherkennung von Krankheiten revolutioniert. Einen weiteren Boost verleiht Deep Learning der bildgestützten medizinischen Diagnostik. Personalisierte Medizin ist eine Selbstverständlichkeit und weil die Rentensysteme im Zuge der Schuldenkrise nach der grossen Pandemie unter Druck gerieten, verlängern viele ältere Personen ihre Aktivitätspanne mit Implantaten, welche die Leistungskraft erhalten. Und niemand weint den Arbeitsstellen nach, die im Industrie- und im Dienstleistungssektor verloren gegangen sind. Denn längst sind sie durch neue, bessere Jobs in der Informationswirtschaft ersetzt worden.

Zurück ins Jahr 2021. Noch stecken die oben beschriebenen Entwicklungen in den Kinderschuhen. Aber sie gewinnen zunehmend an Fahrt und wir alle sind aufgerufen, die Veränderungen nicht nur kritisch zu hinterfragen, sondern vor allem mitzugestalten. Für unser Land liegt darin Aufgabe und Chance zugleich.

Peter Grütter

Peter Grütter ist Präsident des Schweizerischen Verbandes der Telekommunikation asut.