Saubere Gewässer mit künstlicher Intelligenz und IoT

von Adam Cartwright und Jane Hart

Natürliche Wassersysteme sind von hohem Wert. Die bei Yorkshire Water eingesetzten KI-basierten Lösungen unterstützen deren Reinhaltung (Foto: piqsels.com)

 

Zukunftstechnologien wie künstliche Intelligenz (KI) in der Industrie und das Internet der Dinge (IoT) tragen dazu bei, natürliche Wassersysteme vor Verunreinigungen zu schützen. Eine visuelle Geschichte.

Natürliche Wassersysteme sind von hohem Wert. Sie bilden die Grundlage vielfältiger Ökosysteme für Flora und Fauna. Sie tragen zur menschlichen Gesundheit bei, indem sie Krankheiten durch verunreinigtes Wasser verhindern. Und sie stehen im Mittelpunkt vielfältiger Freizeit- und Tourismusangebote.

Jedoch: Überall auf der Welt werden in Städten – insbesondere in älteren Städten – Regenwasser und Haushaltsabwasser über dasselbe Rohrnetz zur Wasseraufbereitung geleitet. Diese Mischkanalisationen bieten den Vorteil, dass eventuell mit Öl, Pestiziden, Düngemittel oder sonstigen Schadstoffen belastetes Ablaufwasser gereinigt wird, bevor es wieder in den natürlichen Kreislauf gelangt. Das sind gute Nachrichten für die Umwelt.

Doch es gibt auch einen Haken. Starkregen oder Schneeschmelze können ein Mischkanalisationsnetz überlasten. Dann könnte unbehandeltes Wasser über Mischwasserüberläufe in natürliche Gewässer gelangen. Diese Wahrscheinlichkeit sinkt jedoch erheblich, wenn Verstopfungen im Mischwasserüberlauf rechtzeitig beseitigt werden. Genau dafür haben Siemens, Yorkshire Water und die Universität Sheffield gemeinsam ein neues System entwickelt. Es lokalisiert Verstopfungen mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) und des Internets der Dinge (IoT), noch bevor es zu Überläufen kommen kann.

Verunreinigungen um 50 Prozent reduzieren

 

Das britische Wasserversorgungsunternehmen Yorkshire Water betreibt ein Kanalnetz von 55'000 km Länge. Bei starken Regenfällen leiten Mischwasserüberläufe überschüssige Wasser- und Abwassermengen in Flüsse ein. Damit sollen Überschwemmungen in öffentlichen Bereichen verhindert werden. Um dies auf ein absolutes Minimum zu beschränken, hat Yorkshire Water einen Plan erarbeitet (Pollution Incident Reduction Plan 2020-2025). Er sieht vor, die Anzahl der Verunreinigungen um 50 Prozent zu reduzieren. Dazu müssen Verstopfungen in Mischwasserläufen beseitigt werden, wodurch sich die Wahrscheinlichkeit einer Freisetzung minimiert.

Seit einiger Zeit überwachen rund 2000 Sensoren in Mischwasserüberläufen den Abwasserpegel und übermitteln Warnmeldungen bei einem Überlauf. Doch wäre es nicht besser, man wüsste schon vorher, wo Verstopfungen am wahrscheinlichsten sind? Dann könnten Fremdkörper beseitigt werden, noch bevor sich ein Überlauf anbahnt. Bisher haben Experten von Yorkshire Water versucht, entsprechende Vorhersagen zu treffen, indem sie die Sensordaten mithilfe statistischer Methoden auswerteten. Dies führte jedoch häufig zu Fehlalarmen und verspäteten Feststellungen.

Die Herausforderung bei der Analyse besteht darin, die Besonderheiten jedes Mischwasserüberlaufs zu berücksichtigen. Denn jeder Mischwasserüberlauf reagiert anders auf Niederschläge. Das macht es bisweilen schwierig zu beurteilen, ob die beobachteten Pegeländerungen auf normale Betriebsumstände zurückzuführen sind oder nicht. Dazu kommen verschiedene weitere Faktoren, etwa die Auslegung des vor- und nachgelagerten Rohrnetzes oder ob das Gebiet hügelig oder flach, städtisch oder ländlich geprägt ist.

All dies veranlasste Yorkshire Water zu dem mutigen Schritt, die bisherigen statistischen Methoden durch KI und IoT zu ersetzen. Der neue Ansatz wurde inzwischen an 70 Standorten in der Region getestet. «Die Ergebnisse sind in der gesamten Region sehr positiv. Anhand der Daten konnten wir Probleme in unserem Rohrnetz schnell identifizieren und unseren Teams die Möglichkeit geben, sich noch vor einer drohenden Verunreinigung um die Probleme zu kümmern», sagt Heather Sheffield, Manager Operational Planning & Technology bei Yorkshire Water.

Cloudbasierte Datenanalysen mit KI und IoT

Und so funktioniert es: Die Daten der Sensoren in den Mischwasserüberläufen werden zusammen mit Echtzeitinformationen über die Niederschlagsmengen an den SIWA Blockage Predictor übermittelt. Diese Anwendung läuft auf MindSphere, der führenden IoT-as-a-Service-Lösung, und identifiziert Anomalien im Verhalten des Abwassersystems.

Zunächst wurde ein KI-System mit Sensordaten trainiert, um das normale Betriebsverhalten eines Mischwasserüberlaufs bei Regen zu erlernen. Inzwischen wird ein neues KI-Modell für jeden Standort trainiert, um dessen besonderes Verhalten bei Regen zu erlernen. Danach werden die Daten mit Fuzzy-Logic-Technologie automatisch interpretiert, um signifikante Verhaltensunterschiede zu erkennen. Bei einem ermittelten Problem erhält ein Einsatzteam bei Yorkshire Water eine Nachricht, damit es das System prüfen und eine akute oder aufkommende Verstopfung beseitigen kann. Der SIWA Blockage Predictor ist in eine Webanwendung eingebettet, was den Fernzugriff über mobile Geräte und PCs ermöglicht.

«Künstliche Intelligenz ist keine Magie. Man braucht Datenwissenschaftler, Fachgebietsexperten und Ingenieure, die Software entwickeln, Hardware verbinden und gemeinsam eine Lösung stricken können, die vor Cyberangriffen sicher ist. Dieses Projekt ist ein Paradebeispiel dafür, wie alle Fäden zusammenlaufen sollten», sagt Adam Cartwright, Head of IoT Application Delivery bei Siemens.

Mehr Effektivität auf allen Ebenen

In der Studie mit verschiedenen Anlagen an 70 Standorten wies der SIWA Blockage Predictor bis zu zwei Wochen im Voraus auf mögliche Verstopfungen hin, die zur Freisetzung von unbehandeltem Abwasser in die Umwelt hätten führen können. Ausserdem spürte die cloud-basierte Anwendung neun von zehn möglichen Problemen auf und weist damit eine dreimal höhere Trefferquote auf als die statistischen Vorhersagemethoden. Ein weiterer Vorteil für die Einsatzteams ist die sehr niedrige Fehlalarmrate von nur 3 Prozent. Damit ist sie nur halb so hoch wie beim bisherigen, auf statistischen Methoden basierenden Verfahren.

Kreative Zusammenarbeit als Teamleistung

Jede neue digitale Lösung birgt das Risiko, dass sie den Wünschen oder Bedürfnissen der Kunden nicht gerecht werden könnte. Deshalb führt die frühzeitige Einbeziehung der Kunden in Form von kreativer Zusammenarbeit zu besseren Ergebnissen. Yorkshire Water war von Anfang an in dieses Projekt eingebunden. Um das notwendige Engagement für zügige Fortschritte sicherzustellen, wurden die Entwicklungskosten durch einen Co-Creation-Auftrag finanziert. Zudem erklärte sich das Team bereit, die Fortschritte im Abstand von zwei Wochen zu überprüfen und die Anwendung parallel zu ihrem bisherigen System einzusetzen. Nach dem Projektstart im Januar 2020 wurde bereits im März das erste MVP (Minimal Viable Product, Produkt mit minimalem Funktionsumfang) vorgestellt. Im November 2020 gab die Anwendung schliesslich ihr weltweites Debüt im MindSphere Store.

Die Reise von der Idee zum fertigen Produkt begann mit einer Reihe von gemeinsamen Forschungsprojekten seitens Yorkshire Water und der University of Sheffield. Über mehrere Jahre hinweg wurde dabei das grundlegende Analytikkonzept durch Versuche in den Yorkshire-Water-Anlagen bestätigt.

«Durch die Erstellung eines individuellen Fingerabdrucks für die Abwasseranlagen, der die Aufnahme von Niederschlägen im Ortsrohrnetz genau widerspiegelt, und durch Überlagern dieses Fingerabdrucks auf tägliche Verhaltensmuster konnten wir die 'normale' Reaktion jeder Anlage ermitteln», erläutert Joby Boxall, Professor für Wasserinfrastrukturwesen an der Universität Sheffield.

Die Analyse funktionierte zwar, aber sie war als akademisches Projekt weder skalierbar noch sicher, zudem war sie nicht für den einfachen täglichen Gebrauch optimiert. Als Siemens dem Projektteam beitrat, wurde das datenwissenschaftliche Wissen übertragen und das Universitäts-Team übernahm eine zweite wichtige Rolle. Die Wissenschaftler bestätigten die Effektivität, mit der die Siemens-Experten die Analytik entwickelt hatten und verglichen dies mit der bestehenden Lösung von Yorkshire Water. Diese unabhängige Analyse von 21'300 Datentagen hat das Vertrauen von Yorkshire Water in die neue Anwendung zusätzlich gestärkt.

Bereit für die Markteinführung

Die Projektbeteiligten von Siemens und Yorkshire Water klären derzeit die näheren Einzelheiten über den Einsatz des SIWA Blockage Predictor für die übrigen Mischwasserüberläufe des Versorgungsunternehmens. Ausserdem läuft die Lösung aktuell als Pilotprojekt bei zwei weiteren britischen Wasserversorgern, darunter auch eine Lösung an neuen Standorten, an denen noch kein Pegelsensor installiert ist. Hier könnte der Siemens Low-Power-Radarsensor Sitrans LR110 in eine Remote-Terminal-Einheit integriert werden, die sich mit MindSphere und dem SIWA Blockage Predictor verbinden lässt. Dieses einzigartige Angebot zeigt, wie eine intelligente digitale Lösung die Wertschöpfung des Siemens-Hardwareportfolios erhöhen kann.

Angesichts der überaus positiven Wirkung für den Umweltschutz findet der SIWA Blockage Predictor auch in Märkten ausserhalb Grossbritanniens immer mehr Beachtung. Sinnvoll kombiniert können KI und IoT damit einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung einer sauberen Umwelt leisten.

 

Dieser Beitrag erschien erstmals im Siemens-Blog «Stories». Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Unternehmens.

Adam Cartwright

Adam Cartwright ist Head of IoT Application Delivery bei Siemens.

Jane Hart

Jane Hart ist Head of Digital Communications bei Siemens.