5G und die Digitalisierung Europas

 

Börje Ekholm spricht am 21asut-Kolloquium / Fachtagung ASTRAits-ch und TCS im Kursaal Bern; (17. November 2022)  © asut

Von Börje Ekholm

Die europäische Telekommunikationsbranche hat viel Positives zu berichten. Europa verfügt über alle notwendigen Bausteine, um eine grössere Rolle in der Zukunft von Technologie und Innovation zu spielen. Aber um eine führende Rolle in dieser Diskussion einzunehmen, dürfen wir als Branche nicht aufhören zu lernen, müssen uns als Branche weiterentwickeln und letztendlich immer weiter verbessern. Dies erfordert einen klaren Fokus auf die Entwicklung des Telekommunikationssektors mit Finanzierung, Unterstützung und Abstimmung seitens der Regierungen, des Privatsektors und der Bildungseinrichtungen.

Veränderung ist lebenswichtig

Die digitale Transformation der europäischen Industrie und Gesellschaft wird für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum von entscheidender Bedeutung sein und sicherstellen, dass der Green Deal und die Netto-Null-Emissionsverpflichtungen erfüllt werden.

Die europäischen Verbraucherinnen und Verbraucher sowie  Unternehmen haben ihre starke Unterstützung für 5G-Dienste zum Ausdruck gebracht. Das Angebot hat jedoch nur schwer mit der Nachfrage Schritt halten können. Heute fällt Europa auf dem globalen 5G-Markt zurück, und die Wettbewerber in Nordamerika und im asiatisch-pazifischen Raum haben bereits einen deutlichen Vorsprung vor ihren europäischen Konkurrenten.

Grund dafür sind die unterschiedlichen Rahmenbedingungen in den beschriebenen Teilen der Welt: auf der einen Seite wird Regulierung auf Kosten von Skalierbarkeit und Innovation priorisiert; auf der anderen Seite steht eine risikotolerantere Kultur mit einem dominierenden Anteil an Risikokapitalfinanzierung und Regierungen, die die Weiterentwicklung von 5G forcieren.

Der Rückstand bei der digitalen Infrastruktur sollte allen europäischen Industriesektoren und politischen Entscheidungsträgern und -trägerinnen Anlass zur Sorge geben. Wenn Europa ins Hintertreffen gerät, wird seine digitale Souveränität beeinträchtigt. Dies wird es der industriellen Basis erschweren, sich einen bedeutenden Anteil an den zukünftigen Märkten zu sichern.

Europa kann auf künftigen digitalen Märkten erfolgreich sein

Europa verfügt bereits über eine solide Grundlage, um die digitalen Märkte von morgen voranzutreiben und zu dominieren. Die starken Bildungssysteme, die stabilen politischen Systeme und der grosse gemeinsame Markt haben den Kontinent zu der Innovationsdrehscheibe gemacht, die wir heute sehen.

Die Schweiz ist ein Paradebeispiel dafür. Als ein Land, das den Global Innovation Index regelmässig anführt und als erster europäischer Markt 5G einführte, wissen die Schweizer Politikerinnen und Politiker, Unternehmen sowie Investoren und Investorinnen, wie wichtig es ist, Vorreiter zu sein. Europa hat auch bewiesen, dass es in der MINT-Forschung und -Entwicklung weltweit führend ist. Die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) in Zürich wurde kürzlich zur besten kontinentaleuropäischen Universität gekürt. Auch die Forschungslabore in der Schweiz, Frankreich, Deutschland sowie in anderen europäischen Märkten haben sich rasch vergrössert. Mit dieser hervorragenden Grundlage müssen nun die digitalen Infrastrukturen aufgebaut werden. Schliesslich erfordert die Digitalisierung eine digitale Infrastruktur einschliesslich der Konnektivität. Und da ist Europa weitgehend im Rückstand.

Der Bedarf an einer starken digitalen Infrastruktur

Die digitale Infrastruktur sollte als eine nationale kritische Infrastruktur betrachtet werden. 5G kann die Digitalisierung der europäischen Industrie vorantreiben und ist unverzichtbar, um die Ziele der Europäischen Digitalen Dekade 2030 und des Green Deal zu erreichen.

So wird 5G bis 2035 eine weltweite Wirtschaftsleistung von 13,2 Billionen Dollar ermöglichen, und eine McKinsey-Analyse zeigt, dass die Digitalisierung bis 2030 dazu beitragen kann, die EU-Emissionen um etwa 550 Millionen Tonnen Kohlendioxidäquivalente zu senken, was etwa 15 Prozent der gesamten EU-Emissionen im Jahr 2017 entspricht. Durch die Bereitstellung von 5G in den Bereichen Energie, Verkehr, Gebäude und Fertigung könnten die Kohlenstoffemissionen in Europa um bis zu 5 Prozent zusätzlich gesenkt werden.

In Kombination mit exponentiellen Technologien wie der künstlichen Intelligenz (KI) und dem Internet of Things (IoT) wird die Digitalisierung die Effizienz und Produktivität steigern und es den Unternehmen ermöglichen, ihre Abläufe zu vereinfachen, den Energieverbrauch und damit die Kosten zu senken. Die Digitalisierung wird auch unwiderruflich zu massiven Produktivitätssteigerungen durch Automatisierung und verbesserte Anlagenauslastung führen. Insbesondere die Automobil- und Logistikbranche wird von der verbesserten Konnektivität profitieren, die Effizienzsteigerungen und verbesserte Dienstleistungen ermöglicht. Vernetzte Fahrzeuge, Echtzeit-Automatisierung und autonome Robotik erfordern allesamt eine leistungsstarke mobile Konnektivität.

Verstärkung der öffentlichen/privaten Investitionen

Der Ausbau der Digitalisierung erfordert auch eine verstärkte Finanzierung – ein öffentlicher/privater Investitionsplan ist erforderlich. Ein erster Schritt wäre die Beseitigung des regulatorischen Schwerpunkts, der den Wettbewerb erhöht, um die Preise zu senken. Länder wie Südkorea haben bereits vor 20 Jahren begonnen, ihren Telekommunikationssektor zu konsolidieren. Die USA und Indien haben sich auf drei Betreiber konsolidiert, und China hat in der Praxis zwei Betreiber. Im Gegensatz dazu haben die europäischen Betreiber Schwierigkeiten, ihre Kapitalkosten zu sichern, und daher kaum Anreize, in die neue digitale Konnektivitätstechnologie zu investieren und diese auszubauen, was für die Zukunft des Kontinents so wichtig ist. In den letzten 15 Jahren sind die durchschnittlichen Pro-Kopf-Ausgaben für die Telekommunikation in Europa um 16 Prozent gesunken, während sie in Korea und den USA um 19 Prozent beziehungsweise 24 Prozent gestiegen sind.

Zweitens müssen die Regierungen finanzielle Anreize für alle Unternehmen schaffen. In Asien und Nordamerika haben die Regierungen der Politik Priorität eingeräumt, um sicherzustellen, dass eine flächendeckende 5G-Vernetzung verfügbar ist und dass die Unternehmen die richtigen Anreize haben, um Innovationen in Sachen Konnektivität voranzutreiben. In Europa hingegen hat die Regulierung Vorrang, oft auf Kosten von Skalierbarkeit und Innovation. Eine weitere wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Innovationen ist die Fähigkeit, durch Risikokapital eine gewisse Grösse zu erreichen. Der Zugang ist wohl die grösste Herausforderung, und Europa erhielt zwischen 2009 und 2019 nur 5 Prozent der Risikokapitalinvestitionen.

Der Wendepunkt der Möglichkeiten

Unsere Branche muss sich vergegenwärtigen, worauf wir hinarbeiten: Die mobilfunkgestützte Vernetzung unterstützt die Digitalisierung der Gesellschaft massiv – sie ist so etwas wie ein Königsweg zur Bewältigung der sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen. Europa ist jetzt sehr gut positioniert, um den Grundstein für die nächste Generation der Mobilfunktechnologie zu legen: 6G. Darüber hinaus muss die Innovation auf der 5G- (und schliesslich 6G-) Plattform weiter gefördert und angeregt werden, um die europäische Wettbewerbsfähigkeit in allen Sektoren zu stärken. Gemeinsam sollten wir die Chancen, die 5G und eine umfassende Vernetzung bieten, vorrangig nutzen, um Unternehmen neu zu definieren und den Weg in eine nachhaltige Zukunft zu ebnen. Alle Bausteine sind vorhanden, und die Telekommunikationsbranche steht an einem Wendepunkt der Möglichkeiten.

Börje Ekholm

Börje Ekholm ist Präsident und CEO von Ericsson.