Abnehmende Arbeitswege, zunehmende Erwerbstätige

Von Andreas Justen, Raphaël Ancel und Nicole A. Mathys


Die Verkehrsperspektiven 2050 des Bundes schätzen ab, wie sich der Verkehr in den nächsten 30 Jahren entwickeln könnte und nehmen dabei die wichtigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Trends auf. Dazu gehören auch Entwicklungen im Zusammenhang mit ICT-Technologien wie zunehmendes mobiles Arbeiten, vermehrte Online-Bestellungen und die Verbreitung automatisierter Fahrzeuge.

Die Verkehrsperspektiven 2050 dienen als Grundlage für die Verkehrs- und Raumplanung des Bundes. Das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) hat sie zusammen mit den Bundesämtern für Verkehr (BAV), Strassen (ASTRA), Energie (BFE) und Umwelt (BAFU) erarbeitet. Sie bilden in «Wenn-dann-Szenarien» ab, wie sich Personen- und Güterverkehr entwickeln könnten. Das Szenario «Basis» steht im Zentrum und zeigt eine Entwicklung des Verkehrs auf, die sich an den Mobilitätszielen des Bundes (Sachplan Verkehr, Teil Programm) orientiert. Eine weitergehende Konzentration der Bevölkerung im städtischen Raum sowie verkehrspolitische Massnahmen, die Nachhaltigkeit und ressourceneffiziente Mobilität begünstigen machen das Szenario aus. Die Annahmen und Auswirkungen der drei Trends «Homeoffice», «Onlineshopping» und «automatisierte Fahrzeuge» werden hier kurz präsentiert. 

 

Verkehrslandschaft 2050: Annahmen (admin.ch)


Homeoffice reduziert Arbeitswege pro Person um 20 Prozent

Wir gehen davon aus, dass sich die durch die Corona-Pandemie ausgelöste Dynamik im Bereich des Homeoffice verstetigt: Dank neuer ICT-Technologien und der entsprechenden Akzeptanz bei den Unternehmen werden langfristig 50 Prozent aller homeoffice-fähigen Arbeiten (das sind 40 Prozent aller Arbeiten) auch tatsächlich im Homeoffice erledigt. Dies führt zu 20 Prozent weniger Arbeitswegen pro erwerbstätige Person. Im Vergleich zwischen 2017 und 2050 bewirkt dies, bei einem angenommenen Wachstum der Erwerbstätigen um 11 Prozent, eine Reduktion der Arbeitswege um 13 Prozent. Dank zunehmendem Homeoffice stagniert der Zuwachs in der Morgenspitze auf der Strasse vor allem auf den Zulaufachsen der grösseren Städte. Die im Homeoffice Arbeitenden nutzen die gewonnene Zeit und legen u. a. zusätzliche Freizeitwege zurück. Die Freizeitwege nehmen zwischen 2017 und 2050 total um 41 Prozent zu, dies auch wegen der demografischen Alterung und dem steigenden Anteil an Seniorinnen und Senioren. Der Anteil der Bevölkerung über 65 Jahre steigt bis 2050 von 19 auf 26 Prozent. Weniger (lange) Arbeitswege und stattdessen eine Zunahme an Freizeitwegen, die zu Fuss oder mit dem Velo realisiert werden, senken die Verkehrsleistung.

Onlineshopping führt zu 117% mehr Lieferungen pro Person

Aus der zunehmenden Nutzung von Onlineshopping ergibt sich eine Reduktion der Einkaufswege. Wir gehen davon aus, dass die Lieferungen (Kurier- Express- und Paketdienste, KEP) pro Person um 117 Prozent zunehmen werden, was 2050 im Vergleich zu 2017 zu 150 Prozent mehr KEP-bezogenen Lieferwagenfahrten führt. In Summe nehmen die Fahrzeugkilometer der Lieferwagen, die sich in den letzten Jahren bereits dynamisch entwickelt haben, um 58 Prozent zu. 

Automatisierte Fahrzeuge beeinflussen Kapazität der Strassen

Im Basisszenario wird für 2050 angenommen, dass 32 Prozent der Personenwagen und 39 Prozent der Nutzfahrzeuge und Lieferwagen mit einem Automatisierungsgrad Level 4 oder 5 ausgestattet sind. Ein Teil der Fahrzeuge bewältigt also Fahrten auf bestimmten Strecken, z.B. auf der Autobahn oder im Parkhaus, völlig selbstständig. Am Ende einer solchen vollautomatisierten Fahrt können die Insassen das Steuer wieder übernehmen. Dies führt zu reduzierten Kapazitäten auf den Strassen (-3 Prozent auf Autobahnen und -6 Prozent auf Hauptverkehrsstrassen), da angenommen wird, dass der Mischverkehr zwischen automatisierten und konventionellen Fahrzeugen zu Beginn noch zu Koordinationsproblemen führt.


Personenverkehr wächst bis 2050 nur halb so stark wie die Bevölkerung

Zusammenfassend sind dies die wichtigsten Resultate des Szenarios «Basis»:

  • Die Verkehrsleistung in Personenkilometern wächst bis 2050 gegenüber 2017 lediglich um 11 Prozent, während die Bevölkerung um 21 Prozent wächst. Die Digitalisierung der Arbeitswelt eröffnet wichtige Chancen, das Verkehrswachstum zu dämpfen. Zudem kann dank verkehrspolitischer Massnahmen der öffentliche Verkehr seinen Anteil an den Verkehrsleistungen von 21 auf 24 Prozent erhöhen, während das Velo seinen Anteil verdoppelt. Eine wichtige Rolle dabei spielt die weiterhin steigende Nutzung von elektrisch angetriebenen Velos. Der mit dem Auto zurückgelegte Anteil bleibt nach wie vor bedeutend, reduziert sich aber von 73 auf 68 Prozent.
     
  • Im Güterverkehr steigt die Transportleistung zwischen 2017 und 2050 um 31 Prozent bei gleichzeitiger Zunahme des Bruttoinlandprodukts von 57 Prozent. Eine verstärkte Bündelung von Gütern an Umschlagspunkten begünstigt den Transport auf der Schiene, beispielsweise jenen von Stück- und Sammelgütern. Folglich sind die transportierten Waren vermehrt auf der Schiene unterwegs; deren Anteil erhöht sich von 37 auf 39 Prozent. Auf der Strasse wird die sinkende Leistung im privaten motorisierten Personenverkehr durch Zuwächse im Strassengüterverkehr kompensiert. Dies führt zu in Summe weiterhin erwarteten hohen Auslastungen der Strassenengpässe in den Spitzenstunden. 


Eine umfassende Dokumentation und Diskussion zu den Verkehrsperspektiven 2050 kann online eingesehen werden: Verkehrsperspektiven 2050 (admin.ch).
 

Andreas Justen

Dr. sc. nat. Andreas Justen ist Co-Leiter Verkehrsmodellierung, Sektion Grundlagen, beim Bundesamt für Raumentwicklung (ARE).

Raphaël Ancel

Dr. ing. Raphaël Ancel ist Spezialist für Güterverkehrsmodellierung beim Bundesamt für Raumentwicklung ARE.

Nicole A. Mathys

Dr. oec. Nicole A. Mathys ist Chefin Sektion Grundlagen beim Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) und Professorin für Umweltökonomie an der Universität Neuenburg