asut-Bulletin
Neue Arbeitswelten
Ausgabe
03/2017
Die flexible Arbeitswelt für sich nutzen – Chancen & Stolpersteine

Die technischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte und dabei insbesondere die Digitalisierung führen zu tief greifenden Umwälzungen in der Arbeitswelt. Insbesondere gestatten sie ein zunehmend flexibles Arbeiten – und das gleich in mehrerer Hinsicht:

  • Zeitliche Flexibilität: Anstelle fester Bürozeiten treten Modelle für Jahres- oder Vertrauensarbeitszeit. Rund 37 Prozent der Schweizer arbeiten Teilzeit, rund 61 Prozent in einem Gleitzeitsystem. Dies bringt oft eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben mit sich.
     
  • Örtliche Flexibilität: Dank Internet und Handy können Angestellte auch von zu Hause oder von einem anderen Standort aus auf Firmendaten zugreifen und mobil tätig sein. 25 Prozent der Erwerbstätigen können das Heimbüro nutzen, das mobile Arbeiten jederzeit und überall hat sich mittlerweile etabliert. Darüber hinaus setzen Betriebe vermehrt auch auf Desk-Sharing und sind damit innerhalb der Firmeninfrastruktur flexibel. Unter der Bedingung, dass das Arbeiten im Home Office auf Wunsch der Angestellten und nicht zusätzlich zur regulären Arbeit im Büro stattfindet, gehen mit dieser Form der Arbeitsflexibilität viele Vorteile wie höhere Produktivität, Zufriedenheit und bessere Life-Domain-Balance einher.
     
  • Organisatorische Flexibilität: Statt auf der über Jahrzehnte gleich bleibenden Arbeitsstelle engagiert man sich vermehrt in wechselnden Teams an Projekten von kürzerer Dauer. Der Trend zur Hierarchieverflachung in Organisationen setzt sich fort. Statt genaue Weisungen der Vorgesetzten zu befolgen, wird Arbeitnehmenden ein erweiterter Handlungsspielraum zugestanden. Vorgängig vereinbarte Ziele sollen so in eigener Verantwortung erreicht werden und sind häufig relevant für die variablen Lohnanteile. Auf diese Weise wird unternehmerisches Risiko auf Angestellte übertragen. In der sozialwissenschaftlichen Literatur wurde für diese Vermischung der klassischen Rollen zum einen der Begriff «Arbeitskraftunternehmer/in» geschaffen, andernorts wird auch von der Subjektivierung der Arbeit gesprochen. Für Mitarbeitende kann diese Zunahme an Handlungsspielraum ein Gewinn darstellen. Es besteht aber auch die Gefahr der Selbstausbeutung, wenn sich die Life-Domain-Balance zunehmend mehr zu Gunsten der Arbeit verschiebt.
     
  • Numerische Flexibilität: Auch passen Betriebe ihre Belegschaft an das Arbeitsvolumen an und lagern Aufgaben gegebenenfalls aus, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Dies zeigt sich beispielsweise durch befristete Arbeitsverhältnisse, Honorarprojekte oder neue Formen der Auftragsvergabe wie etwa das Crowdsourcing auf Internetplattformen. Etwa 7 Prozent der Schweizer Arbeitsverträge sind befristet. Das «klassische» Arbeiten auf Abruf ist in den letzten 15 Jahren relativ stabil bei 5 Prozent geblieben. Für die relativ junge Erscheinung des Crowdsourcing bzw. Crowdworking gibt es dagegen keine verlässlichen Daten, doch dürfte diese Art der Auftragsvermittlung künftig an Bedeutung gewinnen: Insbesondere in der Informatik- und Kommunikationsbranche ist es denkbar, dass Unternehmen in den nächsten Jahren Teile ihrer festen Belegschaft abbauen. Die zusätzlich nötigen Arbeitskräfte bezieht man dann als «Liquid Talents» aus der «Human Cloud» – den über das Internet rekrutierbaren Fachleuten. Generell lässt sich bei diesen neuen Arbeitsformen vermuten, dass Arbeitende mit höherer Qualifikation Vorteile eher nutzen können und geringqualifizierte Arbeitende mit starken Nachteilen zu rechnen haben.

Neben der Zunahme der Arbeitskraftunternehmenden ist künftig zu erwarten, dass Erwerbstätige eine oder mehrere Teilzeitanstellungen mit Einzelaufträgen kombinieren. Diese Form der (Teil-)Selbständigkeit kann berufliche Alternativen eröffnen und auch zu einer besseren Entfaltung der eigenen Interessen und Potenziale beitragen. Es zeigen sich aber auch grosse Tücken dieser hochflexiblen Arbeit. Insbesondere besteht die Gefahr, dass die Beschäftigten in prekäre Verhältnisse abgleiten. Sind Teilzeitangestellte befristet beschäftigt und schwankt das Arbeitsvolumen, so sind Einkommen und Beschäftigungslage nicht mehr verlässlich kalkulierbar. Bei der Vermittlung über Crowdworking-Plattformen können Auftragssuchende Einkünfte und Belastung sehr schlecht planen. Zudem erfordert diese Art der Selbständigkeit viel Eigenverantwortung und z.B. auch Verhandlungskompetenz. Hier hängt die Entwicklung daher in erster Linie von der Qualifikation ab: Gut ausgebildete und selbständig Handelnde vermögen aufgrund ihres gesuchten Profils ihre finanziellen Ansprüche und Arbeitsbedingungen gegenüber Mandanten durchaus durchzusetzen. Geringqualifizierte können hier in eine prekäre Abwärtsspirale aus beruflicher Unsicherheit und einbrechendem Einkommen geraten.

Unter dem Strich muss man für eine erhöhte Arbeitsmarktfähigkeit als Mitarbeiter folgende Stolpersteine beachten:

Sich nicht auf den Betrieb verlassen; ein Wechsel kann immer passieren und die Gründe lassen sich häufig nicht ermitteln. Da sich die Produktlebenszyklen im globalisierten Wettbewerb stark verkürzen nimmt auch die soziale Zuverlässigkeit von Unternehmen als Arbeitgeber ab. Ein Unternehmen kann Arbeitgeber für ein Leben sein, aber erwarten darf man dies nicht.

Sich ständig weiterqualifizieren und dies auch finanzieren. Wer vom Lohn nichts über hat, um in sich selber zu investieren, sollte sich auf Dauer eine neue Beschäftigung suchen. Ohne Weiterbildung verkürzt sich die Arbeitsmarktfähigkeit drastisch.

Virtuelle Arbeit nicht als Haupterwerbsquelle angehen. Wer sich über Uber und Airbnb noch etwas dazu verdienen möchte, soll dies tun. Zur Sicherung eines Lebensunterhalts reichen diese Quellen aber in der Regel nicht aus. Daher die Zeit besser in Weiterbildung investieren.

Sozialen Rückhalt in der Familie sichern. Die neuen, flexiblen Jobs fordern ganz besonders, dass «man sein Leben unter einen Hut bekommt». Wer durch familiären Stress blockiert ist, wird im Beruf nicht sonderlich effektiv sein. Bei aller Pflege unserer beruflichen  Fähigkeiten leiden oft die privaten Verhältnisse. Dabei sind sie es doch, die im Beruf Rückhalt geben.

Nicht (immer) aufs Recht pochen. Viele Rahmengesetze und Verordnungen sind nicht aktuell oder passen nicht zur neuen Arbeitswelt. Das Arbeitsrecht hinkt in vielen Bereichen hinterher. Wer bei kleinen rechtlichen Unstimmigkeiten schnell zum Anwalt läuft, wird am Ende meist mehr bezahlen, als sich eine alternative Lösung zu suchen. Unterstützung gibt es beispielsweise bei den Gewerkschaften.

 

Von Solo-Selbständigen, Arbeitskraftunternehmern und Crowdworkern

Eine Arbeitsstelle für das ganze Erwerbsleben, mit geregelten Arbeitszeiten im Büro von acht Uhr morgens bis sechs Uhr abends – dieses Modell gehört der Vergangenheit an. Anhand von fünf unterschiedlichen Personenprofilen zeigt die Studie, die Jens O. Meissner mit seinem Team im Auftrag der Stiftung TA-SWISS durchgeführt hat, welche gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und rechtlichen Herausforderungen mit unterschiedlichen Formen mobil-flexibler Arbeit verbunden sind.

Eine feste Kaderstelle zu hundert Prozent als Finanzleiter einer KMU, dabei die Möglichkeit, an einem Tag pro Woche im Homeoffice zu arbeiten: Persona «Roland Müller» entspricht nach heutigen Massstäben weitgehend der Konvention.

«Sandra Könitz», unverheiratet in einer Beziehung lebend und Mutter zweier Kinder, ist als hoch qualifizierte Spezialistin für Wirtschaft und Recht in Vollzeit bei einer Consultingfirma tätig. Nebst ihrer Beratungstätigkeit wirbt sie auch neue Aufträge an. Sie arbeitet von zuhause aus, aber auch vor Ort bei der Kundschaft und wo immer sie sich gerade aufhält. Wenn das Firmenergebnis Ende Jahr positiv ausfällt, erhält sie einen Bonus.

«Ursula Meyerhans», in Partnerschaft lebend, aber kinderlos, ist bei einer Zeitschrift als Teilzeitredaktorin angestellt. Daneben verfasst sie als freischaffende Texterin Werbebroschüren für anspruchsvolle technische Produkte und schreibt auf verschiedenen Crowdsourcingplattformen journalistische Artikel zu den unterschiedlichsten Themen.

«Noah Schmid», in fester Beziehung ohne Kinder, erzielt seine Einkünfte, indem er als selbständiger Software-entwickler Webshops für kleine Unternehmen programmiert. Ergänzend nimmt er auf verschiedenen Crowdsourcingplattformen Aufträge für das Design von Websites an. Ausserdem arbeitet er an der Entwicklung einer eigenen App, die das Bezahlen kleinerer Geldbeträge über das Smartphone ermöglichen soll – und von der er sich höhere Einkünfte verspricht, wenn sie dereinst Erfolg haben sollte.

«Andrea Burri-Lötscher» schliesslich, verheiratet und Mutter zweier Kinder, brach einst ihre Lehre als Köchin ab. Heute arbeitet sie Teilzeit als Küchenhilfe in einem Pflegeheim und nimmt über eine Internetvermittlungsagentur auch Aufträge für Hilfeleistungen in Privathaushalten oder als Reinigungskraft für Büros an. Daneben betreut sie ihre betagten Schwiegereltern.

Anhand eines guten und eines schlechten Tages dieser fünf Personas eruiert der Bericht die Vor- und die Nachteile verschiedener mobil-flexibler Arbeitsformen. Dabei zeigt sich insbesondere, dass eine gute berufliche Ausbildung es eher erlaubt, deren Vorteile auszuschöpfen.

Die Chancen …

  • Arbeitnehmende können ihren individuellen Lebensplan eher verwirklichen, wenn ihr Betrieb ihnen keine täglichen Präsenzstunden am firmeneigenen Arbeitsplatz auferlegt und sie zwischendurch gar eine längere Auszeit nehmen dürfen.
  • Homeoffice erleichtert es vielen, den Beruf besser mit der Familie und anderen Engagements zu vereinbaren.
  • Die Projektarbeit in wechselnden Teams kommt den Neigungen zahlreicher, insbesondere jüngerer und gut qualifizierter Personen entgegen.
  • Wer neben der beruflichen Haupttätigkeit noch etwas dazu verdienen oder ganz in die Selbständigkeit eintreten möchte, erhält über sogenannte Crowdsourcingplattformen im Internet Zugang zu weltweiter Nachfrage und Aufträgen.

Die Risiken …

  • Wenn der Arbeitsplatz nicht mehr an einen fixen Ort gebunden ist und die Grenzen zwischen Freizeit und beruflicher Aktivität durchlässig werden, stellen sich hohe Ansprüche an die Disziplin der Angestellten und ihre Fähigkeit, sich abzugrenzen. Langfristig drohen Ermüdungserscheinungen oder gar ein Burnout.
  • Ein improvisierter Arbeitsplatz, der zu einer ungünstigen Körperhaltung zwingt, kann gesundheitliche Schäden anrichten.
  • Die durch das bestehende Arbeitsrecht sichergestellte soziale Absicherung wird durch neuartige Formen der Kooperation unterlaufen und auch die Altersvorsorge kann gefährdet sein.
  • Ohne geregelten Arbeitsvertrag ist auch die Existenzsicherung in Frage gestellt.
  • Aus volkswirtschaftlicher Sicht problematisch ist, wenn sich Lohnarbeit zunehmend in rechtliche Grauzonen des Internet verschiebt.

Hier geht es zur Studie «Flexible neue Arbeitswelt.  Eine Bestandsaufnahme auf gesellschaftlicher und volkswirtschaftlicher Ebene». Die wichtigsten Resultate der Studie liegen auch in Form einer Kurzfassung vor.

 

Jens O. Meissner und Johann Weichbrodt

Prof. Dr. Jens O. Meissner ist Professor für Organisation, Innovation und Risikomanagement an der Hochschule Luzern. Dr. Johann Weichbrodt ist Organisationsberater und Psychologe. Unter ihrer Leitung wurde die kürzlich beim vdf Verlag an der ETH Zürich erschienene Studie «Flexible neue Arbeitswelt» (Hrsg. TA-SWISS) erarbeitet.

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