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«Computer sind Fahrräder für unseren Verstand.»
Steve Jobs
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So viel ist klar: Mit einem Fahrrad kommt der Mensch schneller voran als zu Fuss. Und mit einem Auto geht es noch um einiges flinker. Lässt sich das auf die Digitalisierung übertragen – der simple Computer als Fahrrad, seine lernfähige Variante, die smarte Maschine, das schnittige Auto? Wird die ICT uns Menschen am Ende erlauben, über uns hinauszuwachsen und besser, klüger, stärker zu werden?
(cdh) – In seinem Bestseller «Sapiens: A Brief History of Humankind» (2015) beschreibt der Historiker Yuval Noah Harari drei mögliche Zukunftsvarianten: eine bionische, eine genetische und eine nicht-organische. In der bionischen Zukunft verschmilzt der Mensch mit der Maschine, in der genetischen Zukunft ist es die Gentechnik, die ihn von seinen Konstruktionsfehlern (zu langsam, zu schwach, zu verletzlich, zu schwer von Begriff, zu kurzlebig) heilt. Und in der nicht-organischen Zukunft haben die Maschinen (sprich Roboter und Software) das Heft in die Hand genommen: Sie haben inzwischen nämlich gelernt, sich unabhängig vom Mensch zu vermehren. Bei Harari wird der Mensch übrigens vom Homo Sapiens nicht zum Homo Digitalis, sondern geradezu zum Homo Deus, zum allen irdischen und biologischen Begrenzungen entwachsenen «Übermenschen». Der könnte dann, wie es im Silicon Valley schon manch einem Dotcom-Milliardär vorschwebt, das All erobern.
Zukunftsmusik? Sicher. Obwohl ... Bionische Prothesen, das heisst Prothesen, die biologische Systeme und natürliche Fähigkeiten «kopieren» und im Bedarfsfall bereits ziemlich gut ersetzen können, werden schon heute serienmässig hergestellt. Mit Sensoren bestückte Handprothesen beispielsweise können die Muskelkontraktionen im verbleibenden Gliedstumpf messen und in elektrische Signale umwandeln. Die werden dann als elektrische Signale an die Motoren gesendet, die die Finger bewegen. Wie viel auf diesem Gebiet passiert zeigte sehr eindrücklich der Cybathlon der ETH Zürich, der 2016 zum ersten Mal durchgeführt wurde. Es ist ein internationaler Wettkampf für Querschnittgelähmte, für Menschen mit Arm- und Beinprothesen – und für neueste technische Assistenzsysteme – zum Beispiel Hightechprothesen, angetriebene Exoskelette oder «Brain-Computer-Interfaces», die sich nicht nur in sechs anspruchsvollen Disziplinen (virtuelles Rennen mit Gedankensteuerung, Fahrradrennen mit Muskelstimulation, Armprothesen-Parcours, Beinprothesen-Parcours, Exoskelett-Parcours, Rollstuhl-Parcours) beweisen müssen, sondern auch in Alltagssituationen (Wäschezusammenlegen, Brot schneiden, eine Petflasche öffnen). Am nächsten Cybathlon, der 2020 in Zürich stattfindet, sollen zusätzliche Disziplinen sensorische Behinderungen wie Blindheit und Gehörlosigkeit einschliessen.
Cybathlon 2016 ETH Zürich : Official Trailer
Die meisten dieser Entwicklungen zielen darauf ab, fehlende oder durch einen Unfall verlorene körperliche Fähigkeiten zu kompensieren. Es gibt aber auch unterstützende Systeme, Hightech-Korsette, sogenannte Exoskelette, die etwa Pflegekräfte oder Bauarbeiter bei schweren körperlichen Arbeiten unterstützen oder es ihnen sogar ermöglichen können, Lasten zu heben, die sie allein nicht bewältigen könnten.
Noch im experimentellen Stadium hingegen befinden sich Prothesen, welche ihren Trägern nicht nur die verlorene körperliche Funktion, sondern auch das verlorene Körpergefühl zurückgeben sollen. Bei solchen sogenannten Neuroprothesen geht es darum, Schnittstellen zwischen biologischen und elektronisch-mechanischen Systemen zu entwickeln. Die Prothese könne dann über in den Nervenzellen oder direkt im Hirn implantierte Elektroden gesteuert werden. Stark vereinfacht gesagt errechnet dabei der Computer aus Nervenimpulsen Steuerbefehle für die Prothese (so z. B. beim «gedankengesteuerten» Rollstuhl der EPFL, der Gedankensteuerung und künstliche Intelligenz mischt). Solche Neuroprothesen können heute erst einen Bruchteil von normalen körperlichen Fähigkeiten wiederherstellen und es Jahrzehnte dauern, bis solche sensorischen Prothesen auf den Markt kommen – und das vorerst hauptsächlich im Bereich der Rehabilitation.
Aber sie weisen auf die Möglichkeit einer nächsten technologischen Revolution hin: Auf die Möglichkeit der technologischen Erweiterung von Sinnesempfindungen und körperlichen Fähigkeiten – die Möglichkeit des Cyborgs mit «übermenschlichen» Fähigkeiten. Zurzeit findet im Bereich der Computer-Hirn-Schnittstellen (Brain Machine Interface oder Brain Computer Interface) ein wahres Forschungsrennen statt. Vorne liegen die USA, denen es neben Prothetik und Rehabilitation nicht zuletzt auch um militärische Anwendungen geht, um die Möglichkeit «Supersoldaten» mit «überhöhten» körperlichen Fähigkeiten auszustatten. Der Vorsprung kommt nicht zuletzt auch davon, dass in US-amerikanischen Labors eher Versuche mit invasiven BMI-Technologien (z. B. direkt im menschlichen Hirn implantierte Sensoren) gemacht werden dürfen, die anderswo aus ethischen und rechtlichen Gründen nicht durchführbar sind. Doch der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt: Der digital aufgerüstete Mensch hätte dann beispielsweise, dank dem Quantumchip hinter dem Ohr, ein schier unbegrenztes Erinnerungsvermögen, fände sich, dank dem Nachtsichtsensor am Sehnerv, auch in stockfinsterer Nacht zurecht. Oder vielleicht würde, mithilfe eines Hirnimplantats, gleich sein ganzes Gehirn mit einem Computer vernetzt. Tesla-Gründer Elon Musk hat kürzlich ein Start-up aufgekauft, das in diese Richtung forscht.
Wie würde unsere Gesellschaft mit einer solchen Verschiebung der Grenzen zwischen Mensch und Maschine umgehen? Mit wie viel in den Körper integrierter Computertechnologie wäre der Mensch noch ein Mensch, ab wann eine Maschine? Würde die «digitale Verbesserung» zur sozialen Norm, zur «Pflichtausstattung» aller produktiven Bürgerinnen und Bürger. Wäre «invalid» am Ende nicht der, der eine Prothese braucht, sondern der, der keine hat und nur «körpereigene» Fähigkeiten besitzt. Es sind spannende Fragen, die sich uns da eröffnen.
Der Swiss Telecommunication Summit 2017 war dem Homo Digitalis gewidmet. Im neusten Buch von Harari ist dieser bereits zum «Homo Deus» geworden, zum allen biologischen Grenzen entwachsenen unsterblichen «Übermenschen». Wir wissen aus der griechischen Mythologie, dass die Menschen, die sich erdreisten, gottgleich zu werden, meist ein böses Ende finden. Zu einem ähnlichen Schluss kommt der israelische Bestsellerautor. Er befürchtet, dass die Technologie, die der Mensch entwickelt, weil er sich nicht mehr damit begnügen will, ein Mensch zu sein, ihn am Ende ganz einfach überflüssig macht.
Der bionische Mensch - FUTUREMAG - ARTE