Zwei Podien – beide durchaus freundliche Streitgespräche – gingen die Frage an, was die datenbasierte und damit datenhungrige Digitalisierung den Menschen tatsächlich bringt und wie sie eingerahmt werden müsste, damit sie Gesellschaft und Wirtschaft möglichst grossen Nutzen bringe.
Bei der ersten Runde trafen Branchenvertreter wie Marianne Janik, General Manager Microsoft Schweiz GmbH; Christoph Brand, Head of Classifieds & Marketplaces Tamedia, Marc Sier, COO Admeira auf den obersten Schweizer Datenschützer Adrian Lobsiger und auf André Golliez, Präsident von Opendata.ch. Die Runde war sich über die Segnungen der Digitalisierung – Demokratisierung des Zugangs zu hocheffizienten Technologien – eigentlich ziemlich einig. Differenzen traten eher bei den Herausforderungen auf. Adrian Lobsiger sah die Gefahr, dass die kommerziellen Interessen hinter vielen digitalen Diensten den Menschen die Selbstbestimmung rauben und sie zu Gefangenen ihrer Filterbubble und zu Getriebenen der Algorithmen machen könnte – was nebenbei auch jegliche Innovation abwürgen würde. Christoph Brand räumte ein, dass mit viel Daten viel Verantwortung einhergehe, gab aber auch zu verstehen, dass es naiv sei, wenn Nutzer glaubten, gleichzeitig alles haben zu können: kostenlose Dienstleistungen und Schutz der eigenen Daten. Selbstbestimmung setze auch Kompetenz voraus, gibt Marianne Janik zu bedenken, damit Konsumenten selbstbestimmt handeln könnten, müsse ihnen deshalb eine gewisse Medienkompetenz vermittelt werden.
Wem sollen die Daten gehören?
Für André Golliez sind das Ablenkungsmanöver. Er tritt dezidiert für einen Paradigmenwechsel bei der Eigentümerschaft von Daten ein. Unternehmen müssten den Nutzer als Datensubjekt ansehen und die Daten mit ihm teilen – in der EU etwa gelte ab nächstem Jahr das Recht auf Portabilität, d.h. es gelte dann der Anspruch auf die Herausgabe der eigenen Daten. Auf Unternehmensseite wird die Befürchtung laut, dass solche Forderungen einerseits technisch viel zu komplex und daher kaum praktikabel seien. Anderseits wird davor gewarnt, europäische (und schweizerische) Unternehmen durch hohe regulatorische und datenschützerische Auflagen gegenüber der mächtigen US-amerikanischen Konkurrenz weiter zu benachteiligen.
Kann es, in einer datenbasierten Gesellschaft, Privatsphäre überhaupt noch geben? Mit den nötigen gesetzlichen Auflagen ja, sagt Datenschützer Lobsiger und Marianne Janik nennt solche Auflagen eine Chance, weil ihre Realisierung zwar sehr aufwendig sei, sich letztlich aber durch den Vertrauensgewinn seitens der Kunden auszahle. Wichtig ist für Golliez, dass insbesondere die Datensammlungen der öffentlichen Hand den Bürgern zu ihrem Nutzen zur Verfügung stehen sollten.
Eindrückliche Elefantenrunde
Das Spannungsfeld zwischen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen zog sich als Leitfaden auch durchs zweite Podium, das die politische «Elefantenrunde» versammelte: den SVP-Vizepräsident Thomas Aeschi, die FDP-Präsidentin Petra Gössi, den SP-Präsident Christian Levrat und den CVP-Präsident Gerhard Pfister. In der Frage, für welche Art von Rahmenbedingungen sich die Politik einsetzen solle, um den digitalen Wandel bestmöglich zu begleiten, waren sich die angetretenen Politiker ziemlich uneinig.
Für die bürgerlichen Parteien bedeutet das vor allemdie Anpassung althergebrachter Rahmenbedingungen. Diese wurden über Jahrzehnte für etablierte Branchen geschaffen und müssen nun an die die neuen Verhältnisse angepasst werden, d. h. an eine Vielzahl von kleinen und agilen Unternehmen , um die Innovation nicht zu ersticken und innovative Unternehmen nicht ins Ausland abwandern zu sehen. Als Beispiel für nicht mehr zeitgemässe Regulatorien, die es abzubauen gelte, nennt beispielsweise Petra Gössi Zeiterfassungsregeln, durch welche die neuen Möglichkeiten einer flexibleren Arbeitsgestaltung im Keim erstickt würden.
Die Linke und die politische Mitte sehen das anders: Selbstverständlich dürfe Innovation und Wettbewerb durch zu strenge oder durch präventiv erlassene Rahmenbedingungen nicht erstickt werden, meinte SP-Präsident Christian Levrat. Gleichzeitig sei es aber eben gerade die Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass «niemand unter die Räder kommt». Es gelte Regeln zu entwickeln, die der neuen Welt gerecht würden und Innovation ohne Abstriche bei der Lebensqualität ermöglichten. In Bezug auf die Arbeitszeit bedeute das eine sozialverträgliche Flexibilisierung und Regeln, die dafür sorgen, dass sich Arbeits- und Privatleben nicht so stark entgrenzen, dass die Menschen gar nie mehr zur Ruhe kommen. Ein weiteres Problemfeld illustriere die gegen Google verhängte Rekord-Busse. Für Levrat illustriert sie die wettbewerbrechtliche Herausforderung, welche die durch die Digitalisierung ermöglichten mächtigen und gleichzeitig sehr fragilen Monopole darstellten.
Wird die Digitalisierung Arbeitsplätze vernichten? Verbindliche Zukunftsaussagen wollte das Podium nicht wagen, einig war man sich dafür darin, dass der Arbeitsmarkt stark umstrukturiert werden dürfte und dies für Ausbildung, insbesondere aber auch für die Weiterbildung beziehungsweise Umschulung älterer Arbeitskräfte eine grosse Herausforderung bedeute. Für Gerhard Pfister ist es hier nicht zuletzt Aufgabe der Politik, den manchmal überbordenden Enthusiasmus der ICT-Branche für die Segnungen der digitalen Wende und die oft ebenso unrealistischen Verlustängste, namentlich der Mittelklasse, auszubalancieren sowie in der Bildungspolitik die richtigen Weichen zu setzen. Nicht zuletzt deshalb, weil eine durch die adäquate Ausbildung fit gemachte Bevölkerung der Digitalisierung gegenüber sehr viel positiver eingestellt wäre und den Wandel mittragen würde.