Seit fünf Jahren lädt er die Schweizer Energiewirtschaft, Gebäudetechnik und ICT zum Austausch in die Umweltarena Spreitenbach. Was ihn dazu bewegt, erklärt Kurt Lüscher im Interview.
Dieses Jahr hat die Smart Energy Party bereits zum fünften Mal stattgefunden. Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
Als jemand, der ursprünglich aus der Telekombranche in der Energiebranche gelandet ist, hatte ich schon lange den Eindruck, dass diese beiden Bereiche stärker zusammenwachsen müssen und sich insbesondere die Energiebranche viel stärker mit der Digitalisierung auseinandersetzen sollte. Meine Sorge war, dass das nicht wirklich passiert.
Inzwischen besuchen jährlich immer mehr Personen den Anlass, 2017 waren es schon weit über 1000. Darf man das als Zeichen nehmen, dass sich nun zwischen Energie- und ICT-Branche tatsächlich etwas tut?
Ich denke schon, dass die Leute nicht nur der tollen Referenten wegen kommen. Das Bedürfnis ist erkannt und wir bieten mit unserem Anlass eine attraktive Plattform, wo sich Leute kennenlernen und gemeinsam Ideen entwickeln können. Ohne zu viel zu verraten oder Namen zu nennen, kann ich sagen: Das eine oder andere Projekt ist daraus bereits entstanden. Und obwohl die Smart Energy Party natürlich hauptsächlich ein Networking-Anlass ist, lasse ich es mir jeweils auch nicht nehmen, die Teilnehmenden zum Auftakt mit ein paar Kurt-Lüscher-Botschaften daran zu erinnern, welche Herausforderungen der heutige Energiemarkt für uns bereithält.
Die da wären?
Die Energiebranche entwickelt sich und es werden ganz neue Themen aktuell. So etwa die Dezentralisierung der Energiesysteme oder die Marktöffnung, die – ob nun in drei, fünf oder auch erst 10 Jahren – ganz sicher kommt. Von den Energieversorgen erfordert das neue Konzepte, eine grössere Kundenorientierung, neue Formen der Zusammenarbeit und die Bereitschaft, Allianzen zu schmieden und Know-how, wenn nötig, extern einzukaufen. Auch für die Eigentümer dieser Unternehmen, also für Bund, Kantone und Gemeinden, ist das keine leichte Umstellung. Und schliesslich kommt als drittes Element die Digitalisierung dazu mit all ihren Aspekten der Kostenoptimierung, der neuen Schnittstellen zu den Kunden und der Entwicklung von neuen und zum Teil auch disruptiven Produkten. Dezentralisierung, Vernetzung, Convergence of Everything: Alle diese Veränderungen bringen ein enormes Chancenpotenzial mit sich. Doch realisieren lässt sich dieses nur, wenn sich die Branche öffnet und zwar nicht nur gegen innen, sondern auch gegen aussen. Dessen werden sich manche nun langsam bewusst.
Wie ist das Echo aus der ICT-Branche?
Der informelle Zugang zu einer noch immer relativ abgeschlossenen Branche wird sehr geschätzt. Insgesamt haben wir zwar noch weniger ICT-Tische als Energietische, aber ihr Anteil wächst schneller. Verschiedene ICT-Unternehmen wie bspw. Avectris, Streamnow und Huawei haben erkannt, dass sich ihnen hier die Chance bietet, Vorreiter zu sein und sich als Geschäftspartner zu etablieren. Aber natürlich braucht das alles seine Zeit. Die agile IT-Welt mit ihren kurzen Zyklen und die Welt der Energiebranche, bei der es um Infrastrukturerhaltung und Versorgungssicherheit geht und wo hierarchische Strukturen und Eigentümerverhältnisse eine grosse Rolle spielen, sind nicht mit dem gleichen Tempo und der gleichen Kultur unterwegs.
In vielen Branchen bringt die Digitalisierung die etablierten Player in die Bredouille – geht die Angst vor Branchenfremden mit disruptiven neuen Geschäftsmodellen auch in der Energiebranche um?
Angst ist immer ein schlechter Berater. Natürlich ist es alles andere als einfach, wenn zu den Konkurrenten eines mittelgrossen Stadtwerkes plötzlich Google gehören würde – was soll man da als relativ «kleiner Fisch» schon ausrichten können? Ich bin aber überzeugt, dass für vife Unternehmen in der Regionalität eine grosse Chance liegt: Sie kennen die Bedürfnisse ihrer Kunden und wenn sie es richtig anpacken, können sie ihr Angebot auf ihren Kundenstamm zugeschnitten weiterentwickeln. Insbesondere für Verbundunternehmungen, die von Strom, über Gas und Wasser bis hin zu Verkehrslösungen diverse Sparten abdecken, sehe ich hier ein grosses Potenzial. Das bedingt aber, dass sie mit der Zeit gehen und sich die Möglichkeiten der Digitalisierung zu eigen machen. Und das wiederum kann nur, wer umdenkt.
Mit anderen Worten: Die Zukunft der Energiebranche ist digital.
Sicher kann man sagen, dass in kaum einer anderen Branche in den nächsten 10 bis 20 Jahren so viele Veränderungen anstehen. Und nicht von ungefähr überwiegen in der sehr lebhaften Start-up-Szene in der Energiebranche junge Informatikunternehmen. Da tauchen interessante neue Ansätze auf wie beispielsweise das Blockchain-Unternehmen LO3, das in im New Yorker Stadtteil Brooklyn Energieproduzenten und -Verbraucher verbindet, um dezentral erzeugten Nachbarschaftsstrom direkt zu vermarkten. Solche Ideen sollten Stadtwerke nicht anderen überlassen. Solche Trends gilt es zu erkennen, ins eigene Portfolio zu integrieren und seinen Kunden als Dienstleistung anzubieten. Sonst laufen diese Versorger tatsächlich Gefahr, dass sie nur noch die Infrastruktur bereitstellen, viele Produkte und Dienstleistungen aber von Dritten angeboten werden.
Sie haben vorgemacht, wie das geht und aus Erdgas Zürich, einem reinen Erdgasversorger, den agilen und innovativen Energiedienstleister Energie 360° gemacht. Was war dabei besonders wichtig?
Das war durchaus für mich selber ein sehr spannendes Erlebnis. Wie vielen Energieversorgern ging es Erdgas Zürich mit dem reinen Erdgasgeschäft lange Zeit sehr gut. Es gab scheinbar also keinen Anlass zur Veränderung. Gleichzeitig hatte aber die Stadt Zürich, als Mehrheitsbesitzerin, das mittelfristige Ende der fossilen Energie längst vorgesehen. Erdgas Zürich musste also ziemlich dringend neue Geschäftsfelder finden und entwickeln. Um zu reüssieren, haben wir als allererstes eine zukunftsorientierte Strategie entwickelt, das Team mit neuen Köpfen ergänzt, die Leute auch betriebsintern aufgerüttelt und neue Ideen für umweltfreundliche Energielösungen entwickelt. Das wichtigste aber war, dass der Verwaltungsrat voll hinter diesen Veränderungen stand und uns freie Hand liess. So ist aus Erdgas Zürich die Unternehmensgruppe Energie 360° entstanden, die inzwischen einen beträchtilichen Anteil ihres Umsatzes und ihres Gewinns aus Produktion und Handel mt Biogas, Holzpellets und dem Betrieb von Wärmeverbünden, Elektromobilität und Photovoltaik generiert und auch im angestammten Erdgasgeschäft noch einmal deutlich frecher und erfolgreicher geworden ist.
Was sie da ansprechen – innovative Ideen und ein mutiges Vorgehen – ist sicher auch eine Voraussetzung, um die neue Energiestrategie wirklich umsetzen zu können. Werden wir das hinbringen?
Da bin ich absolut überzeugt. Es gibt mehr als genug erneuerbare und / oder dezentrale Energie auf dieser Welt – das Ganze ist hauptsächlich eine Frage der Produktion und der Verteilung. Sicher wird es eine gewisse Zeit brauchen, bis alle Energiesysteme umgebaut und effizienter ausgestaltet sind. Die ICT-Branche wird einen ganz wesentlichen Anteil daran haben, dass dies gelingt.
Interview: Christine D'Anna-Huber