Die IT-Wissenschaftlerin Tatiana Gayvoronskaya ist Co-Autorin einer Blockchain-Studie des Hasso-Plattner-Instituts für Softwaresystemtechnik an der Universität Potsdam, deren Ziel es ist, Klarheit in ein stark mediatisiertes Thema zu bringen.
asut: Der Hype um die Blockchain ist riesig, gleichzeitig ist die Technologie dahinter sehr komplex. Wie erklären Sie uns Normalsterblichen die Blockchain?
Tatiana Gayvoronskaya: Es ist in erster Linie eine dezentrale Datenbanktechnologie, das heisst ein System, in dem Werte oder Informationen dezentral ausgetauscht werden können. Jeder Nutzer hat in einem Blockchain-basierten System eine Kopie aller Informationen die ins System eingetragen wurden. Die Daten werden also nicht zentral gespeichert und verwaltet, sondern verteilt auf alle Nutzer.
Also ein bisschen wie wenn alle Einträge, die ich in mein Kassenbuch mache, gleichzeitig auch vielen weiteren Kassenbüchern erfasst würden.
Ganz genau. Und wenn Sie einen Eintrag ändern oder eine neue Transaktion erstellen, dann wird diese Information auch an alle übrigen Nutzer verteilt. Gebraucht werden dafür bereits bestehende Technologien wie zum Beispiel Peer-to-Peer-Netzwerke. Jeder Nutzer hat eine bestimmte Anzahl von sogenannten Nachbarn, mit denen er diese Änderungen teilt, nachdem er geprüft hat, ob sie richtig sind und nach den im System festgelegten Regeln erstellt wurden. Diese schliessen zum Beispiel aus, dass Transaktionen doppelt ausgeführt werden. Die Nachbarn wiederum tun das gleiche mit ihren Nachbarn und so verteilen sich Informationen transparent und gleichzeitig manipulationssicher im ganzen System.
Ist Blockchain gleich Bitcoin?
Blockchain ist die Technologie. Bitcoin ist das erste System, das diese Technologie benutzt hat. Bei Bitcoin geht es darum, digitale Zahlungen direkt zwischen Nutzern abzuwickeln, ohne eine zentrale Instanz wie eine Bank zu involvieren. Der gesamte Quellcode des Bitcoin-Systems ist öffentlich einsehbar (Open Source) und alle Nutzer können den Code für ihre eigenen Blockchain-Anwendungen nutzen. Die digitale Währung des Bitcoin-Systems heisst ebenfalls Bitcoin. Wir hätten die Blockchain-Technologie nicht, wenn wir Bitcoin nicht hätten.
(Bild: Piqsels)
Ein zweifelhafter Ruf als Hacker-Technologie für unlautere Geschäfte im Darknet, ungeheure Kursschwankungen, unendlich langsame Transaktionen und dazu der enorme Energieverbrauch. Bitcoin hat ein Imageproblem: Schadet das der ganzen Blockchain?
Was Bitcoin so volatil macht, ist, dass es von vielen für Spekulationen genutzt wird. Aber wir können eine innovative Technologie nicht danach bewerten, wofür sie eingesetzt wird. Wie für die Atomspaltung gilt das, in geringerem Mass natürlich, auch für die Blockchain.
Gelingt es neueren Blockchains, die Nachteile zu überwinden, an denen Bitcoin krankt?
Auf jeden Fall. Der hohe Energieverbrauch des Bitcoin-Systems zum Beispiel betrifft vor allem dessen Konsensalgorithmus (Proof-of-Work). Solche Entscheidungsfindungsmodelle werden nötig, wenn wir in einem System sehr viele Teilnehmer haben und keine zentrale Instanz, die uns sagt, was richtig und was falsch ist oder uns versichern kann, dass Änderungen korrekt ins System eingeschrieben und Werte nicht doppelt vergeben wurden. Bei Bitcoin müssen alle, die einen neuen Block erstellen (somit wird die Blockchain aktualisiert oder fortgeschrieben), den Nachweis erbringen, dafür bestimmte Ressourcen eingesetzt zu haben. Dies wurde absichtlich ressourcenintensiv konzipiert. Denn das erhöht die Hürde für böswillige Manipulationen.
Es gibt inzwischen andere, nicht energieintensive Konsensalgorithmen, die aber nicht ganz so sicher sind. Auch die sogenannte Blockzeit (die Zeit die für die Blockerstellung eingeplant wird) hat mit der Architektur zu tun. Schneller als herkömmliche Zahlungssysteme zu sein war nie das Ziel des Blockchain-Pioniers Bitcoin – es ging in erster Linie darum, ein sicheres dezentrales Zahlungssystem zu ermöglichen. Bei einem neueren Blockchain-basierten System wie Ethereum zum Beispiel wird alle 14 Sekunden ein neuer Block erstellt, beim Bitcoin alle zehn Minuten.
Wo liegt für Sie das grösste Innovationspotenzial der Blockchain?
Die Innovation der Blockchain-Technologie liegt darin, dass sie dank einer erfolgreichen Kombination bereits vorhandener Ansätze den sicheren Austausch von Werten oder Informationen in dezentralen Systemen erlaubt, ohne Vertrauen zwischen dessen Nutzern vorauszusetzen. Die Werte werden unveränderbar und unwiderruflich in die Blockchain-Historie aufgenommen. Zu den vielversprechenden Blockchain-Entwicklungen der jüngsten Zeit gehören zudem die Smart-Contracts. Diese lassen sich mit kryptographischen «Kisten» vergleichen, die bestimmte Werte, nur dann entsperren, wenn gewisse Bedingungen erfüllt sind.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich der Einsatz der Blockchain-Technologie erst in Bezug auf bestimmte Einsatzfelder als vorteilhaft erweist. Zum Beispiel im Finanzwesen, dem Identitätsmanagement, dem Internet der Dinge, der Energiewirtschaft oder der Logistik. In vielen Bereichen hingegen sind bereits bestehende Lösungen sinnvoller. Blockchain ist nicht die Allzweckwaffe für die viele sie halten.
Und die grössten Probleme?
Dadurch, dass die Blockchain-Technologie noch relativ jung ist und sich schnell entwickelt, fehlen ihr einheitliche Standards, an die sich alle Entwickler halten können. Aktuell schliessen sich deshalb viele Forscher, Entwickler und Unternehmen zusammen und versuchen, die Technologie voranzutreiben, systemübergreifende Standards zu entwickeln und dabei eine Balance zwischen Skalierbarkeit und Sicherheit beizubehalten.
Was sind die Bedingungen für eine erfolgreiche Umsetzung der Blockchain-Technologie?
Jedes Unternehmen, das auf den Blockchain-Zug aufspringen möchte, sollte sich intensiv mit dem Kosten-Nutzen-Verhältnis auseinandersetzen, bevor es sich für die Implementierung entscheidet. Das Ziel, welches man durch den Einsatz der Technologie erreichen möchte, muss gleich am Anfang klar definiert werden. Man muss also wissen, wo es sinnvoll ist, die Blockchain einzusetzen und wo nicht. Und es wäre sicher sinnvoll, die Unternehmen oder Konsortien gezielt zu fördern, die versuchen die Technologie für bestimmte Einsatzbereiche anzupassen und weiterzuentwickeln.
Besteht Handlungsbedarf seitens der Politik?
Ich fände es nicht schlecht, wenn die Politik den Einsatz von Blockchain-Systemen in Unternehmen fördern und Konsortien unterstützen würde, die versuchen, die Technologie für bestimmte Einsatzbereiche anzupassen und weiterzuentwickeln. Zudem könnte die Politik gezielt den Dialog mit der Wirtschaft und den Entwicklern fördern. Heute fühlen sich viele Unternehmen auf der Strecke gelassen, weil sie den Eindruck haben, dass die Entwickler eine in sich geschlossene Gemeinschaft sind, die keinen Dialog mit der Aussenwelt wünscht. Es könnte vielen die Angst nehmen, wenn klar aufgezeigt wird, dass die Blockchain viel mehr als eine Hacker-Technologie ist: Eine zwar noch nicht ausgereifte, aber aufsteigende Technologie, mit der man tatsächlich Kosten einsparen und eigene Geschäftsprozesse schlanker und effektiver gestalten kann.
War das eines der Ziele Ihrer Studie?
Auf jeden Fall. Wir haben versucht, die Vor- und Nachteile der Blockchain-Technologie unvoreingenommen zu betrachten und sie in ihren Grundzügen und Funktionalitäten auch für technisch weniger versierte Leserinnen und Lesern verständlich darzustellen. Es ist uns wichtig, dass diese ihren eigenen Standpunkt zur Blockchain finden und unterscheiden können, welche Eigenschaften wirklich innovativ sind – und wo nur irgendwer mit lautem Marketing den Hype weiter ankurbelt. Mit dem gleichen Ziel haben wir im Juli dieses Jahres einen MOOC (Massive Open Online Course) zu dem Thema auf unserer OpenHPI-Plattform angeboten.