(Foto: Swisscom)
Die Schweiz ist medizinisch bestens versorgt. Bei Prozessen und Kommunikation hinkt das Gesundheitswesen anderen Lebensbereichen aber oft noch hinterher. Interview mit Thomas Bachofner, CEO von Swisscom Health, für den es höchste Zeit ist für einen «Digital Take-off».
Thomas Bachofner, wo steht das Schweizer Gesundheitswesen in Sachen Digitalisierung?
Die gute Nachricht: Aus den Operationssälen und der Patientenadministration der Spitäler sind digitale Tools nicht mehr wegzudenken. Auch wer heute eine Arztpraxis eröffnet, führt Krankengeschichten elektronisch und kommuniziert mit Patienten über digitale Kanäle – so wie wir uns das aus anderen Lebensbereichen gewohnt sind.
Und die schlechte Nachricht?
Bei Prozessen, die im Innern von Gesundheitseinrichtungen oder zwischen einzelnen Akteuren des Gesundheitswesens ablaufen, sind wir oft noch analog unterwegs. Stichwort: Papier und Fax statt Cloud und Touchscreen. Wir lassen grosses Potenzial ungenutzt, die Effizienz unseres Gesundheitswesens zu steigern. Und das, obschon die Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben 2018 erstmals die Grenze von 10'000 Franken pro Jahr übersteigen. Es ist höchste Zeit, dass wir bei der Digitalisierung auch im Gesundheitswesen Schub geben.
Zündet das elektronische Patientendossier (EPD) diesen «digital take-off»?
Es gibt sicher einen wichtigen Impuls. Fürs EPD wird eine technologische Infrastruktur gebaut und betrieben, die viel mehr möglich macht als nur ein persönliches Dossier. Sie ist die Basis für die Digitalisierung weiterer Prozesse zwischen Gesundheitsinstitutionen und zwischen diesen und ihren Patienten.
Warum engagiert sich Swisscom beim EPD?
Weil wir davon überzeugt sind, dass damit die Basis entsteht, um das Gesundheitswesen umfassend und entlang des gesamten Behandlungspfades digital zu transformieren – statt einen Flickenteppich von Einzelinitiativen zu schaffen, der keine durchgängigen Prozesse erlaubt. Mit diesem gesamtheitlichen Ansatz entfalten wir die grösste Wirkung. Wenn mein Hausarzt, die Chirurgin im Spital, die Apothekerin und mein Physiotherapeut die Informationen zu meiner Behandlung transparent und effizient miteinander und übers EPD mit mir teilen, nutzen wir das Potenzial von eHealth erst richtig.
«Wir lassen grosses Potenzial ungenutzt, die Effizienz unseres Gesundheitswesens zu steigern.»
Wie wollen Sie jene niedergelassenen Ärzte von diesem gesamtheitlichen Ansatz überzeugen, die sich bisweilen noch als quasi-autarke Einzelkämpfer sehen?
Indem sie mit uns erleben, welche – nicht zuletzt ökonomischen – Vorteile es bringt, in die wachsende eHealth-Welt eingebunden zu sein. Mit cloud-basierter und damit von überall her zugänglicher Praxissoftware, elektronischer Patientenzuweisung und digitalem Dokumentenversand oder mit der Auslagerung des Forderungsmanagements sparen Praxen wertvolle Zeit, die sie in die Behandlung ihrer Patienten investieren können.
Diese Praxen konkurrenziert Swisscom mit ihrer Beteiligung am Telemedizin-Unternehmen Medgate. Ist das nicht ein Widerspruch?
Keineswegs. Die Telemedizin hat sich als bewährter Pfeiler der Gesundheitsversorgung etabliert. 13% der Schweizer Bevölkerung sind heute in einem Telmed-Modell krankenversichert. Es ist unser Anspruch, auch diesen Bereich mit modernster Technologie zu unterstützen. So hat die Swisscom Digital Technology SA etwa die Medgate-App mit Videokonsultationsfunktionalität mitentwickelt, die es dieses Jahr in die Top-3 der Medizin-Apps im Apple Store gebracht hat.
Mit Services für Spitäler, Arztpraxen, Krankenversicherungen und fürs EPD kommen bei Swisscom eine Menge Gesundheitsdaten zusammen. Wie gehen Sie mit diesen um?
Patientendaten sind besonders schützenswerte Daten. Der Grundsatz ist daher klar: Die Rechte an den Daten bleiben immer beim Patienten. Swisscom bearbeitet die Daten nur im Rahmen des Auftrages ihrer Kunden und gibt sie nicht weiter. Beim EPD handelt es sich zudem grundsätzlich um ein virtuelles Dossier, über das Patientendaten zugänglich gemacht werden, die dezentral in Spitälern und Arztpraxen gespeichert sind. Wenn Leistungserbringer die Speicherung von Patientendaten an uns auslagern, dann sorgen wir mit modernsten Sicherheitsstandards wie sie auch von Banken angewendet werden für deren wirkungsvollen Schutz. Wir verwenden die Daten selbstverständlich nicht weiter und werten sie auch nicht aus – das gilt für den EPD-Kontext ebenso wie bei anderen Services fürs Gesundheitswesen.
Welche technologischen Trends werden das Geschäft von Swisscom im Schweizer Gesundheitswesen in den nächsten Jahren prägen?
Zwei der wichtigsten sind sicher Artificial Intelligence und Blockchain. Den Einsatz Künstlicher Intelligenz prüfen wir zum Beispiel für unsere Praxissoftware. In Zukunft könnten Ärzte ihre Berichte diktieren, und ein Spracherkennungs-Tool erkennt ihre Worte und wandelt sie automatisiert in geschriebenen Text um. Von der Blockchain-Technologie versprechen wir uns weniger Bürokratie und mehr Transparenz für Prozesse in vielen Lebensbereichen. Im Gesundheitswesen will die Swisscom Blockchain AG gemeinsam mit dem Partner Digipharm mittels Blockchain Patienten und Fachleute im Forschungsbereich effizient vernetzt.
Das klingt noch sehr vage und stark nach Zukunftsmusik.
Das mag sein. Aber je früher wir bei diesen Technologien und generell in der Digitalisierung des Gesundheitswesens auf Touren kommen, umso besser. Die Schweiz sollte dieses grosse Potenzial für mehr Qualität und Effizienz in ihrer Gesundheitsversorgung unbedingt nutzen.
«Patientendaten sind besonders schützenswerte Daten. Der Grundsatz ist daher klar: Die Rechte an den Daten bleiben immer beim Patienten.»