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Ausgabe
03/2019
Frauen und MINT-Förderungsprogramme: verlorene Liebesmüh?

Man kann es glauben oder nicht! 5 Millionen Arbeitsplätze werden laut der WEF-Studie «The Future of Jobs» aus dem Jahre 2016 in den nächsten Jahren wegfallen, beziehungsweise in andere Kontinente verschoben – und Frauen werden davon besonders stark betroffen sein.

Denn es sind vorwiegend die Frauen, die bis heute in Bürofunktionen und in der Verwaltung, somit unter anderem in den typischen KV-Berufen tätig sind. In den Branchen, die mit der Digitalisierung an Bedeutung gewinnen und die MINT-Disziplinen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) gefragt sind, sind Frauen nach wie vor stark untervertreten.

Eigentlich wissen wir das alle schon lange und versuchen deshalb seit Jahren, Mädchen für die MINT-Fächer zu begeistern. Auf der SATW-Webseite sind fast 600 MINT-Angebote aufgeführt, viele davon explizit für Mädchen. Und viele diese Initiativen haben die gleichen Probleme. Sie beruhen auf Ehrenamtlichkeit und suchen mehr oder weniger verzweifelt nach finanziellen Mitteln. Es fehlt die Nachhaltigkeit und sie sind von Enthusiasten abhängig. Viele Konferenzen und Anlässe widmen sich dem Thema. Journalisten, Fachleute, Wissenschaftler schreiben Artikel um Artikel, Studie um Studie.


Doch was hat es gebracht? Die Zahlen malen ein düsteres Bild. Hier ein paar Beispiele für die Informatik (in der Schweiz und in Europa):

  • Frauen sind bei den Informatikausbildungen in der Schweiz kontinuierlich unterrepräsentiert. Im Jahr 2015 entfielen in diesem Bereich lediglich 12% der Abschlüsse auf Frauen.
  • Betrachtet man den Anteil der Frauen an Informatiklernenden und Studierenden in der Schweiz nach Ausbildungstyp, so zeigt es sich, dass der Anteil der Frauen seit 2003 fast nicht mehr angestiegen ist. Im Jahr 2015 erreichte er nur 11,7%.
  • Frauen sind unter Informatikfachleuten in allen EU-Mitgliedstaaten untervertreten. Im Jahr 2016 war eine Minderheit (16,7%) der in der EU beschäftigten Informatikfachleute weiblich. Die Schweiz hat einen Anteil von 14,6% und liegt im Vergleich zu den EU-Ländern im unteren Drittel.

Was bedeutet dies nun für alle Anstrengungen, Mädchen in MINT-Fächer zu bringen? Aufhören? Kräfte bündeln? Koedukation abschaffen, da viele Initiativen beweisen, dass Mädchen getrennt von Knaben sehr erfolgreich in MINT-Fächern sind? Wahrscheinlich besser nicht, vielleicht wären dann die Resultate noch schlechter. Wird die obligatorische Informatik in der Volksschule und im Gymnasium das Problem lösen? In den nächsten Jahren wohl kaum.

Aber wie wäre es, wenn man konsequent versuchen würde, das Grundübel bei den Wurzeln zu packen? Wenn man akzeptieren würde, dass nicht nur die Schule, sondern unsere gesamte Gesellschaft und vor allem auch die Politik in der Verantwortung sind? Wenn weniger Bildungsföderalismus (oder besser Bildungsindividualismus) betrieben und Kantone und Bund gemeinsam Lösung erarbeiten und umsetzen würden?

Nachfolgend drei Ansätze, die uns meiner Meinung nach weiterbringen:

Genderneutral unterrichten

Sehr wichtig ist ein genderneutraler Unterricht nicht nur in der Informatik, sondern vor allem in der Mathematik, so dass beide Geschlechter die gleichen Voraussetzungen haben. Eine kürzlich von Prof. Stefan Wolter von der Uni Bern durchgeführte Studie hat aufgezeigt, dass der heutige Mathematikunterricht auf einem sehr starken Konkurrenzdenken aufbaut, das den Knaben, da sie sich gerne mit anderen messen, viel mehr liegt. Mädchen dagegen mögen dies weniger und verlieren deswegen den Anschluss im Unterricht. In einer aktuellen Studie von Michela Carlana von der Harvard Kennedy School wurde untersucht, wie stark Lehrerinnen und Lehrer unbewusst Mädchen mit Literatur und Buben mit Mathematik verbinden. Wird angenommen, dass Mädchen in Mathematik weniger können als Buben, sind die Mädchen am Ende der Schulzeit tatsächlich schlechter in Mathematik als die Schülerinnen, die von einer Lehrperson ohne Vorurteile unterrichtet wurden. Das Ziel der Volksschule muss die Förderung der Gleichstellung von Frau und Mann, von Mädchen und Buben sein. Sie hat somit einen pädagogischen Auftrag, damit die Chancengleichheit beider Geschlechter garantiert werden kann. Die Pädagogischen Hochschulen und die Erziehungs- und Bildungsdepartemente der Kantone sind hier in der Pflicht, in der Aus- und Weiterbildung der Lehrpersonen die dafür notwendigen Konzepte und Massnahmen zu entwickeln und umzusetzen. Ein höherer Männeranteil bei den Lehrpersonen wäre der ganzen Sache sicherlich dienlich. Dies führt zur nächsten Herausforderung.

Segregation aufweichen

Noch aus einem anderen Grund ist der geschlechtsneutrale Unterricht von enormer Bedeutung. Die Geschlechtersegregation im Beruf ist in der Schweiz im Vergleich mit anderen europäischen Ländern gemäss einer Studie der Uni Basel stark ausgeprägt. Das heisst, Frauen arbeiten überwiegend in frauentypischen, Männer in männertypischen Berufen. Die Geschlechtersegregation ist aus mehreren Gründen problematisch: Frauentypische Berufe – z. B. Pflege oder Kindererziehung – haben einen geringen gesellschaftlichen Status, bieten kaum Aufstiegschancen und werden niedrig entlöhnt. Ferner geht der Gesellschaft und der Wirtschaft ein grosses Potenzial verloren, wenn junge Erwachsene ausschliesslich geschlechtstypische Berufe erlernen und damit ihre Fähigkeiten nicht voll entfalten. Umgekehrt würden stark vergeschlechtlichte Berufsfelder wie etwa der Informatik- oder Pflegeberuf, die unter einem Fachkräftemangel leiden, von einer Aufweichung der Segregation profitieren. Das familiäre Umfeld, Lehrpersonen und Berufsbildner müssen sich deshalb unbedingt positiv verhalten, wenn Frauen einen geschlechtsuntypischen Berufswunsch haben. Damit Technologie wirklich zukunftsweisend sein kann, darf sie niemanden ausschliessen. Ginni Rometty, CEO und Präsidentin von IBM, hat sich dementsprechend geäussert: «Damit Technologie wirklich ethisch und unvoreingenommen ist, müssen alle die gleichen Chancen haben, sich an ihrer Entwicklung zu beteiligen.»

Selbstbewusstsein stärken

Knaben schreiben sich in der Mathematik grössere Fähigkeiten zu als Mädchen und zwar in einem Ausmass, das durch die tatsächlichen Schulnoten nicht gerechtfertigt ist, zeigt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Frauen studieren diese Fächer offenbar auch deshalb weitaus seltener als Männer, weil sie ihre mathematischen Fähigkeiten schon sehr früh in ihrer Schulzeit unterschätzen und deshalb Präferenzen für andere Fächer, meist Sprachen, entwickeln. Bedingt durch gesellschaftliche Rollenbilder ist es deshalb enorm wichtig, dass Lehrpersonen und Eltern Mädchen schon zu Beginn der Schulzeit von ihren mathematischen Fähigkeiten überzeugen. Umgekehrt könnten Knaben im Fach Deutsch gefördert werden.

Wir können somit folgendes Fazit ziehen: Nicht die Mädchen müssen sich ändern. Wir alle!

Klar ist, dass es nicht schnell gehen wird. Um junge Frauen für MINT-Berufe zu begeistern, braucht es nicht nur (weibliche) Vorbilder, sondern vor allem ein Umdenken. In der Familie, in der Schule, in den Pädagogischen Hochschulen, in der Berufsberatung und vor allem in der Bildungspolitik!

 

Alain Gut

Dr. Alain Gut ist Director Public Affairs bei der IBM Schweiz AG und Präsident der Kommission Bildung von ICTswitzerland.

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