asut-Bulletin
It's not a man's world!
Ausgabe
03/2019
Die TecLady

(cdh) – Sie selber hatte einen Vater, der sie in technischen Belangen immer ermutigt hat und im eigenen Handwerksbetrieb mitarbeiten liess. Das hat sie beflügelt: Béatrice Miller hat sich von klein auf für Naturwissenschaften interessiert, fand Mathematik so spannend wie Rätsel lösen und war gut im Sport, auch wenn dies damals für «unweiblich» galt. Doch davon liess sie sich nicht beirren und hat schliesslich an der ETH Zürich Lebensmittel-Ingenieurwissenschaften studiert und in dieser Disziplin doktoriert. Und dann einen grossen Teil ihres Berufslebens und ihrer Energie darin investiert, Mädchen zu ermutigen, es ihr gleichzutun.

Denn Béatrice Miller weiss, dass der Weg, den sie eingeschlagen hat, auch heute noch immer nicht selbstverständlich ist. Naturwissenschaften, Technik und Informatik gelten in unserer Gesellschaft nach wie vor als Männerdomäne. Das erschwert es Mädchen, sich solchen Stereotypen zum Trotz eine Laufbahn in einem technischen Beruf zuzutrauen: «Gegen das Bild anzukämpfen, wie ein «richtiges» Mädchen ist oder zu sein hat, das braucht sehr viele Ressourcen, viel Energie und Mut», konstatiert Miller. Und es führe auch dazu, dass viele im Grunde an einer technischen Laufbahn interessierte Frauen «irgendwann nicht mehr mögen» und aus dem Beruf aussteigen, «weil sie das männliche Dominanzstreben und den fehlenden Teamgeist nicht mehr mittragen wollen».

An der Motivation und am Interesse liegt es meist nicht: Von den «handfesteren Seiten» von Technik und Informatik lassen sich Mädchen durchaus faszinieren, weiss Miller. Es motiviert sie, Technik und Wissenschaft als Weg zu einem übergeordneten Ziel zu verstehen. Als Mittel zum Zweck, Probleme zu lösen, die Umwelt zu gestalten und Sinnvolles für die Gesellschaft zu entwickeln.

Aber eben: Sie müssen sich diesen Weg zutrauen. Hier setzt das Förderprogramm Swiss TecLadies an, das Béatrice Miller als Leiterin der Nachwuchsförderung Technik der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften (SATW) initiiert und wesentlich mitgestaltet hat. Es gibt Mädchen von 13 bis 16 Jahren mit einer Online-Challenge die Gelegenheit, ihre Fähigkeiten in Technik und Informatik spielerisch zu testen. Und es ermöglich denen, die gut abschneiden, weibliche Vorbilder zu treffen und während einem Jahr zu begleiten: Frauen, die ihnen im Praxisumfeld vorleben, dass es nicht nur möglich, sondern auch spannend und bereichernd sein kann, als Frau eine Karriere auf dem Gebiet der Technik oder der Informatik zu machen. Dazu kommen Besuche in unterschiedlichen Unternehmen und ein umfangsreiches Coaching, das den Mädchen dabei hilft, selbstsicherer aufzutreten.

Swiss TecLadies ist 2018 gestartet, geht nächstes Jahr in die zweite Runde und soll nun auch in der Westschweiz aufgezogen werden. Für die erste Aufgabe haben sich, von Maschineningenieurinnen über Informatikerinnen bis hin zu Nanowissenschaftlerinnen 70 Frauen aus den unterschiedlichsten technischen Berufen als Mentorinnen zur Verfügung gestellt.

Was bleibt unter dem Strich? Natürlich kann so ein Programm allein den Mangel an weiblichen Fachkräften in technischen Berufen nicht beheben. Möchte man MINT-Förderung ganz systematisch und flächendeckend organisieren, dann müsste das der Staat tun, sagt Béatrice Miller. Dem kommt das föderalistische Schweizer Schulsystem nicht unbedingt entgegen, auch wenn zumindest in der Deutschschweiz der neue Lehrplan technische Themen bereits in der Primarschule stärkt und viele Schulen im Informatikbereich gewaltig aufrüsten. Doch für Miller sind auch punktuelle Initiativen durchaus gerechtfertigt: «Sie mögen ein Tropfen auf den heissen Stein sein. Aber sie tragen doch dazu bei, dass immer mehr Mädchen den Mut zu Technik und Informatik finden.»

 

 

Mädchenförderung in Technik und Informatik:
Die wichtigsten Erkenntnisse in kompakter Form

Von Béatrice Miller

Was unterscheidet Mädchen von Knaben?

  • Mädchen sind in der Tendenz eher zurückhaltend, Knaben eher heraushebend.
    → Beispiele: Hochbegabte, unterforderte Knaben verhalten sich auffällig, während Mädchen sich zurückziehen. Mädchen strecken in der Schule erst auf, wenn sie ganz sicher sind. Jungs strecken auch auf, wenn sie es nicht genau wissen. 
  • Mädchen und Frauen haben in der Tendenz eine geringere Selbstwirksamkeitserwartung, d. h. ein geringeres Zutrauen in die eigenen Kompetenzen, etwas erfolgreich ausführen zu können. Sie besitzen auch ein geringeres Selbstkonzept (Selbstbild) in Bezug auf Technik und Informatik.
    → Beispiel Leistungszuschreibung: Mädchen ordnen gute Leistungen meist einem günstigen Umfeld zu («Es war eine einfache Prüfung», «Ich habe genau das gelernt, was gefragt wurde»). Schlechte Leistungen schreiben sie ihrer Person zu. Diese Ursachenzuschreibung von Misserfolgen zu sich selbst führt zu einer Schwächung des Selbstbewusstseins. Knaben schreiben gute Leistungen hingegen sich selbst zu («Ich bin klug»). Schlechte Leistungen schreiben Knaben oft einem ungünstigen Umfeld zu («Ich hatte keine Zeit zum Lernen»).
     
  • Gesellschaftliche Werte verstärken die geringe Selbstwirksamkeitserwartung der Mädchen in Technik und Informatik.
    → Beispiel «Doing Gender»: Weiblichkeit wird zuweilen durch schlechte Leistungen in Mathematik und durch Zurückhaltung bei gefährlichen Tätigkeiten inszeniert. So können sich Mädchen beim Hantieren mit Bunsenbrennern in gemischtgeschlechtlichen Gruppen betont ungeschickt und ängstlich verhalten. Dieses Verhalten kann in gleichgeschlechtlichen Gruppen nicht beobachtet werden. Männlichkeit wird bei Knaben durch Mut und den souveränen Umgang mit Gefahr inszeniert. In gleichgeschlechtlichen Gruppen wird Männlichkeit hingegen eher über Leistungszurückhaltung herausgehoben («Ich bin cool»).

Welche Mädchenförderung funktioniert?

  • Erfolgserlebnisse durch praktisches Tun bzw. praktische Erfahrungen in Technik und Informatik erhöhen die Selbstwirksamkeitserwartung. Dabei müssen die Herausforderungen wohldosiert sein, nicht zu leicht und nicht zu schwer. Viele MINT-Programme basieren auf diesem Ansatz.
     
  • Lob bei technischen und informatischen Tätigkeiten stärken die Selbstwirksamkeitserwartung der Mädchen – insbesondere Lob durch männliche Bezugspersonen, weil die Kompetenz für Technik und Informatik in unserer Gesellschaft eher den Männern zugeschrieben wird. Biographien von Ingenieurinnen beinhalten oft eine intensive Beziehung zum Vater.
     
  • Weibliche Vorbilder und Rollenmodelle können Mädchen darin bestärken, den gleichen Weg einzuschlagen. Wirksame Vorbilder für Mädchen sind dabei eher Studentinnen oder Berufsfrauen in mittleren Positionen als überaus erfolgreiche und ältere Frauen.
     
  • Zeitweise monoedukative Lerneinheiten bzw. MINT-Aufgaben in gleichgeschlechtlichen Gruppen können die Mädchen stärken. Die Mädchen übernehmen in diesem Fall alle Rollen, d.h. auch diejenigen Rollen, die gemäss gesellschaftlichen Stereotypen den Knaben zugeschrieben und von diesen in gemischtgeschlechtlichen Gruppen in der Regel auch übernommen werden. 

Welche Mädchenförderung funktioniert nicht?

  • Junge Menschen haben ein feines Gespür für Authenzität und Manipulation. Werbung kann Widerstand gegen Beeinflussung erzeugen und unechte, vorgetäuschte Rollen wirken nicht authentisch.
     
  • Bezugspersonen mit stark verinnerlichten Stereotypen transportieren diese unbewusst auf die Mädchen und verstärken damit das geringe Selbstbild von Mädchen in Bezug auf Technik und Informatik.
     
  • Personen mit wenig Ähnlichkeit zu den Mädchen, zum Beispiel männliche, ältere oder sehr erfolgreiche Personen, können die Rolle als Vorbild weniger gut übernehmen als weibliche, jüngere Personen.

Was wurde in den letzten Jahren erreicht?

  • Die Geschlechterverhältnisse verändern zu wollen, ist eine komplexe Angelegenheit, denn die Zuschreibung zu Talent und Fähigkeiten ist in der Gesellschaft tief verankert. Es setzt sich in der Schweiz jedoch langsam das Verständnis durch, dass auch Mädchen in Mathematik, Physik, Technik und Informatik talentiert sein können.
     
  • Die Frauen sind insbesondere in systemischen Ausbildungsgängen mit Technik- und Informatikbezug gut vertreten, zum Beispiel in Umweltwissenschaften, in Gesundheit und Technologie sowie in iCompetence (Informatik, Design, Management).
     
  • Der Anteil Frauen an der ETH Zürich erreichte 2018 einen neuen Höchststand:
    36% im Bachelorstudium (Vorjahr 33,7%). Ein tiefer Frauenanteil (< 20%) herrscht nach wie vor in den Studienrichtungen Maschinenbau, Informatik und Elektrotechnik.  

Drei Wünsche für die Zukunft

  • Alle Schweizer Mädchen sollten die Gelegenheit erhalten, ihr Talent und Interesse in Technik und Informatik zu erproben und zu stärken – vom kleinen Kind bis zur Berufswahl.
     
  • Es sollte mehr Ausbildungsgänge in Technik und Informatik geben, die für Frauen attraktiv sind. Systemische Ausbildungen sprechen mit ihrem ganzheitlichen, problemlösungsorientierten Ansatz sowie mit ihrer Fächervielfalt Frauen oft stärker an.
     
  • Mehr gemischte Teams in Unternehmen wären wünschenswert, zudem eine Unternehmenskultur, die den Frauen entspricht. Dies würde unter anderem weniger vorherrschende Männlichkeit (Ringen um Überlegenheit) bedingen.

Literatur

 

Béatrice Miller

Dr. Beatrice Miller ist eine ausgewiesene Expertin in der Nachwuchsförderung für technische Berufe. Bis vor kurzem war sie stellvertretende Generalsekretärin der SATW und dort für das Grossprojekt Swiss TecLadies verantwortlich. Inzwischen hat sie eine neue Aufgabe übernommen und engagiert sich im Rahmen von miaEngadina für die Digitalisierung und die Telekommunikation in Randregionen insbesondere im Bildungsbereich.

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