asut-Bulletin
It's not a man's world!
Ausgabe
03/2019
Die Netzwerkerin

asut: Frau Vuillerat, was hat Sie in Ihrer Jugend für einen ICT-Beruf motiviert?

Valérie Vuillerat: Ich bin quasi mit dem Computer aufgewachsen. Mein Vater war Informatiker und ich habe früh herausgefunden, dass der Computer mein Leben vereinfacht. So zum Beispiel beim Schreiben von Aufsätzen und beim Erstellen von Präsentationen. Obwohl ich mich ganz und gar nicht zu den Gamerinnen zähle, liebte ich es damals, Tetris zu spielen. Als das Internet aufkam, war ich fasziniert davon, wie einfach zugänglich Wissen wurde, auch ohne den Gang zur Bibliothek.

In der Schweiz liegt der Frauenanteil in IT-Berufen bei rund 15 Prozent. Woran könnte das liegen?

Studien zeigen, dass fast 40 Prozent der Personen, die eine MINT-Ausbildung anfangen, weiblich sind. Die Frage ist, wo diese Frauen nach ihrer Ausbildung hingehen. Denn in der klassischen Tech-Branche findet man sie nicht in vergleichbarem Ausmass. Der Grund dafür liegt am Berufsbild und an der Unternehmenskultur in IT-Abteilungen, die sehr männlich geprägt sind. Diversität zu rekrutieren ist nicht schwer. Schwieriger ist es, die Frauen im Beruf zu halten. Da liegt viel Potenzial brach.

Wie könnte das geändert werden?

Um Frauen wirklich zu halten, muss am Mindset, an der Unternehmenskultur gearbeitet werden. Diese wird meistens durch die Unternehmensführung geprägt. Deshalb ist es essenziell, zuerst dort anzusetzen. Solange diejenigen die Entscheidungen treffen, die für althergebrachte Strukturen sind, wird sich nichts ändern. Veränderung wird dann möglich, wenn wir mehr Frauen in Führungspositionen bringen und eine Kultur der Inklusion schaffen. Dann wird das Rekrutieren, das Halten und das Fördern von Frauen in der IT einfacher sein als jetzt. Ich habe diese Erfahrung als Chefin der Digitalagentur Ginetta selbst gemacht. Wir hatten schlicht nie Probleme, talentierte Frauen zu finden.

Wären Quoten eine Möglichkeit?

Ich würde das sehr begrüssen. Nicht, weil ich Quoten per se cool finde, sondern weil damit in anderen Ländern die Gleichstellung erfolgreich durchgesetzt wurde. In den nordischen Ländern gibt es zum Beispiel kein Gender-Problem mehr in Führungspositionen. Dort sind die Rahmenbedingungen so gut, dass jede Frau arbeiten kann. Temporäre Quoten können uns also helfen, das System schneller zu verändern.

Weshalb sollten Unternehmen weibliche IT-Fachleute einstellen?

Die Belegschaft in der technologischen Entwicklung sollte ähnlich divers sein, wie die Zielgruppe, für welche die Unternehmen ihre Leistungen erbringen. Frauen haben eine andere Sicht auf die Welt als Männer. Deshalb ist es wichtig, gemeinsam Entscheidungen zu treffen und mehr Vielfalt in die Unternehmenswelt zu bringen. Nur so können wir Lösungen entwickeln, die für die ganze Gesellschaft nachhaltig funktionieren. Die IT-Branche ist eine zukunftsweisende Branche. Dort entstehen neue Technologien wie Künstliche Intelligenz oder Blockchain. Gerade im Machine Learning ist es entscheidend, dass Systeme nicht nur von Männern lernen. Es kann für uns Frauen sogar sehr gefährlich werden, wenn Künstliche Intelligenz ausschliesslich von Männern gemacht wird. Auch deshalb brauchen wir Diversität.

Aus welchen Gründen entscheiden sich Frauen für eine IT-Stelle? Ist das Arbeitsklima für Frauen in einem Grossunternehmen oder in kleinen Betrieben angenehmer?

Frauen wollen heute etwas bewirken. Und sie wollen sich weiterentwickeln. Dafür braucht es partizipative Führungskräfte. Chefs die Verantwortung weitergeben, Mitarbeitende unterstützen und fördern. Solche, die auch Fehler zulassen, damit man davon lernen und Erfahrungen sammeln kann. Ich denke, es spielt keine Rolle, ob Grossunternehmen oder kleinerer Betrieb. Die Firmenkultur ist entscheidend. Es braucht eine Kultur der Inklusion, sprich Vielfalt soll willkommen sein. Authentizität und Transparenz sind entscheidend.

 

Interview: Fatima Vidal. Erstmals veröffentlicht auf 100Frauen.ch. Das Projekt 100Frauen.ch hat 2018 100 bemerkenswerte Frauen in der Schweiz porträtiert und analysiert dieses Jahr den Feminismus in der Schweiz früher und heute.

Valérie Vuillerat

Valérie Vuillerat, ehemalige Chefin der Digitalagentur Ginetta, Mitbegründerin des IT-Frauennetzwerks We Shape Tech, Gründerin der Beratungsfirma Hiversity setzt sich seit vielen Jahren mit viel Punch dafür ein, der Techbranche zu mehr Diversität zu verhelfen. Witty Works, ihr jüngstes Projekt, unterstützt Unternehmen dabei, weibliche Tech-Talente und -Führungskräfte zu rekrutieren und zu halten.

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