asut-Bulletin
Fortschritt und Risiko
Ausgabe
02/2020
Götter, Spieler und Versicherer: Der Umgang mit Risiko im Wandel der Zeit

Dass die Welt voller Risiken steckt, war den Menschen stets bewusst. Aber erst nachdem sie sich von der Vorstellung lösten, dass das Risiko von den Göttern gewollt und somit Schicksal sei, versuchten sie, mit immer ausgeklügelteren Methoden, das Unwägbare zu messen und damit in den Griff zu bekommen.

(cdh) – Das Risiko – also das gefürchtete Eintreten oder erhoffte Nicht-Eintreten eines ungünstigen Ausgangs – hat die Menschen schon in der Antike fasziniert. Zu berechnen oder zu beeinflussen versuchten sie es nur indirekt, durch Opfer an die allmächtigen Götter. Denn in ihrer Hand allein liefen alle Schicksalsfäden zusammen. Trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, waren Glücksspiele eine weit verbreitete Leidenschaft: Im etwa 400 Jahre vor Christus niedergeschriebenen indischen Mahabharata wird von einem Würfelspieler berichtet, der zuerst sein ganzes Hab und Gut verspielte und sich am Ende selber aufs Spiel setzte.

 

Würfelspieler auf einem antiken Fresko in Pompeji (Foto: Wikimedia)

 

Erst in der Renaissance verfestigt sich die Überzeugung, dass zukünftige Gewinne oder Verluste nicht allein ein durch göttlichen Willen verfügtes Schicksal sind. Auch der Mensch, durch sein Entscheiden und Handeln, kann sein Geschick prägen. Dieser Sinneswandel zeigt sich insbesondere in Wirtschaft und Handel: «Protagonist dieser Epoche ist der unternehmerische Kaufmann, der den Handel zur Vermehrung von Macht und Reichtum einsetzt, zugleich aber die Konsequenzen des Gesamtrisikos – sprich Chance und Gefahr – zu verantworten hat. Sein Risikokalkül mag rudimentär sein, doch seine ungeteilte Verantwortung ist von Wissen und Erfahrung im Geschäftsbereich geprägt», schreibt die Stiftung Risikodialog.

Abgelöst wird diese sehr pragmatische Risikoabschätzung rund drei Jahrhunderte später durch die mathematische Wahrscheinlichkeitstheorie, die zuerst vom Wunsch getrieben ist, den Ausgang von Glücksspielen zu kalkulieren und die später insbesondere im Versicherungswesen ihre Anwendung findet. Dort gibt der Versicherte sein Verlustrisiko gegen eine Prämie an den Versicherer ab, der wiederum das Risiko zu berechnen versucht, um nicht selber Verluste einzustecken. Die Hoffnung ist hier, das Phänomen «Zufall», d.h. mögliche Gefahren und Schadensfälle, möglichst präzise in den Griff zu bekommen und zum Voraus bestimmen zu können.

Es folgt die Statistik (die Berechnung der Wahrscheinlichkeit von Ereignissen aus Stichproben) und schliesslich bringt die Finanzwirtschaft Ende des 20. Jahrhunderts einen weiteren Perspektivenwechsel. Im Zentrum stehen hier nicht mehr die potentiellen Schäden, sondern die Risikodiversifizierung, d.h. die Streuung der künftigen Daten um einen finanziellen Erwartungswert. Berechnet wird also nicht die Gefahr, sondern die Chance: Welcher Finanzertrag lässt sich optimal erzielen?

 

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