Interview: Christine D'Anna-Huber
Stefan Kyora, Chefredaktor von «startupticker.ch», einer der besten Kenner der Schweizer Start-up-Szene, erklärt, warum gerade im ICT-Bereich in der Schweiz viele innovative Jungunternehmen unterwegs sind. Und weshalb es dennoch einigen Nachholbedarf gibt.
asut: Die einen verweisen darauf, dass die Schweiz regelmässig alle möglichen Innovationsranglisten anführt. Die andern bedauern, dass die Schweiz Innovationen abwürge und viel von Israel oder vom Silicon Valley lernen könnte. Wer hat Recht?
Stefan Kyora: Die Antwort lautet: beide. Die Dynamik im ICT-Umfeld in der Schweiz ist seit einigen Jahren sehr hoch. Das sieht man bei den Investments, die seit 2016/2017 steil angestiegen sind, bei der Zahl der gegründeten Unternehmen und ihrem Wachstum oder daran, dass es viel mehr Initiativen wie Business Angel Clubs gibt.
Was hat diese Dynamik ausgelöst?
Die tiefgreifende Digitalisierung im Unternehmensumfeld. Ein Grossteil dieser Start-ups ist in den verschiedensten Branchen damit beschäftigt, bestehende Prozesse zu digitalisieren. Andere entwickeln neue digitale Geschäftsmodelle für ganz unterschiedliche Anwendungsfelder. Eines der ersten war sicherlich Fintech, heute gibt es alle «Tech»-Sorten, zum Beispiel Proptech, d.h. die Digitalisierung der Immobilienbranche, oder Agritech, die Digitalisierung entlang der Wertschöpfungskette im Food- und Agrarbereich. Grundsätzlich geht es immer darum, die Wirtschaft im Ganzen zu digitalisieren. Häufig sind die Geschäftsmodelle serviceorientiert. Die Start-ups entwickeln sich für Schweizer Verhältnisse sehr schnell und schaffen viele Arbeitsplätze. Das ist die eine Seite, die recht hat.
Und die andere?
Sobald man über den Tellerrand hinausschaut, wie wir dies in unseren Analysen für den «Swiss Startup Radar» tun, relativiert sich dieser Eindruck. Denn es ist eben nicht nur die Schweiz, die sich schnell bewegt – viele andere tun dies auch. Schon in kleineren Staaten etwa aus dem Baltikum herrscht eine grössere Dynamik als hierzulande. Und mit den allerbesten vergleichbaren Ländern insbesondere Grossbritannien und Israel ist die Schweiz nicht auf Augenhöhe. Dies sowohl in Bezug auf die Grössenordnung und die Reife des Markts, als auch was die Zahl von Start-ups mit hohen Bewertungen oder Finanzierungsrunden über 50 Millionen angeht, oder auch die Vernetzung des Ökosystems und die Investorenlandschaft.
Woran liegt das?
Hauptsächlich daran, dass die ICT-Start-up-Szene in der Schweiz noch relativ jung ist und die Dynamik erst noch Fahrt aufnehmen muss. Denn die Voraussetzungen sind in der Schweiz gut und aktuelle Trends spielen der Schweiz in die Karten. Die ICT wird mit Themen wie künstliche Intelligenz, virtueller Realität, Bildverarbeitung oder Machine Learning sehr viel forschungsintensiver, was einem Standort mit erstklassigen Hochschulen und Spitzenforschung zupasskommt. In Sachen Forschung können wir uns locker mit dem Silicon Valley messen. Gerade hat ja sich ja beispielsweise Zalando das auf Körperscans spezialisierte Schweizer Start-up Fision mit seiner virtuellen Umkleidekabine geschnappt. Und genau deswegen sind ja die grossen Namen wie Apple, Google und Facebook alle hier.
Ist es schwieriger, in der Schweiz ein Start-up im ICT-Bereich zu gründen als anderswo?
Grundsätzlich nein, aber wie gesagt: Die Start-up-Szene im ICT-Bereich ist noch jung, die Prozesse sind noch nicht so eingespielt und die Rollen nicht so klar etabliert. Dies zeigt auch der Vergleich mit der hiesigen Biotech-Industrie.. Dort arbeiten die Start-ups seit Jahrzehnten mit den etablierten Firmen zusammen, bewegen sich in derselben Welt, nutzten etablierte internationale Netzwerke, um Geschäftspartner und Investoren zu finden. All dies ist in der Schweizer ICT-Welt noch nicht so eingespielt. Die Schweiz ist im Vergleich zu Schweden oder Israel sehr spät auf den ICT-Zug aufgesprungen.
Was zeichnet die hiesige Startu-p-Szene sonst noch aus?
Sie ist wie gesagt stark servicebezogen, hauptsächlich im B2B-Bereich unterwegs und sehr forschungsintensiv. Sie knüpft oft an klassische Schweizer Stärken an, ist in der Finanzbranche aktiv, im Maschinenbau oder im industriellen Umfeld von Food bis Security. Ein weiteres Merkmal ist, dass die ganze Szene sehr zersplittert ist. Es gibt kein «Schweizer Berlin», das die Dynamik bündelt und das Tempo vorwärts treibt. Im Gegenteil: Überall läuft viel, neben Zürich und der Genfersee-Region bilden sich auch in St. Gallen und Bern regionale Ökosysteme heraus.
www.startupticker.ch gibt als unabhängige Informationsplattform täglich neue Einblicke in die Gründerszene. Auf der Webseite, im wöchentlichen Newsletter und per Social Media publiziert startupticker.ch (in drei Sprachen) Nachrichten, Eventdaten sowie laufend aktualisierte Listen zu Awards, Investoren und Unterstützungspartnern. Auftraggeberin ist Innosuisse. Darüber hinaus wird die Plattform von gegen 50 Organisationen und Unternehmen aus der ganzen Schweiz getragen. Neben dem Swiss Venture Capital Report veröffentlicht startupticker.ch in Zusammenarbeit mit der Universität Lausanne auch den «Swiss Startup Radar», einen datenbasierten Themenreport der jährlich Analysen zum Zustand, der Entwicklung und der Performance der Schweizer Start-ups liefert und sie in einen internationalen Kontext stellt. Der nächste «Swiss Startup Radar» wird im Dezember erscheinen. |
Und startupticker.ch versucht das alles zusammenzuhalten?
Wir versuchen aufzuzeigen, was alles läuft. Und zwar nicht nur regional und in den einzelnen Zentren, sondern auch was die Tätigkeitsfelder anbelangt. Denn auch in dieser Hinsicht ist die Schweizer Szene sehr zersplittert. Wer im Bereich Digital Health unterwegs ist, wie beispielsweise Sophia Genetics, weiss nicht unbedingt, was im Crypto- oder Fintech-Umfeld läuft.
Welche Schweizer Start-ups im ICT-Bereich sollte man im Auge behalten?
Ich gebe ein Beispiel, das stellvertretend für eine Reihe anderer Unternehmen steht, um aufzuzeigen, woran man meiner Meinung nach herausragende Start-ups erkennt. Wichtig ist sicher das Team, das idealerweise eine Mischung aus Lernfähigkeit und Hartnäckigkeit mitbringen sollte. Das also einerseits an seine Idee glaubt und sie verfolgt, auch wenn alle sagen, dass das nicht funktionieren wird. Und das andererseits offen ist und fähig sich der Lage anzupassen, die Signale des Marktes zu verstehen und seine Idee zu verändern, wenn es nötig ist. Ein bekanntes Beispiel ist das Zürcher Start-up Beekeeper. Die Gründer sind während dem Studium an der ETH mit einer Flirt-App gestartet, die sich dann zur lokalen Studentenplattform wandelte und nun als Mitarbeiter-App weltweit Erfolg hat. Auch das ist ein Erfolgskriterium: Hat ein Start-up wirklich den Drang, global Kunden gewinnen zu wollen. Ein weiteres ist, wie schnell es unterwegs und in der Lage ist, sich weiterzuentwickeln und die nächste Stufe zu erklimmen. Aber der letzte Proof im Start-up-Umfeld, das ist noch immer, ob es gelingt, Investoren zu überzeugen