Von Marc K. Peter
Eines der zentralen Handlungsfelder der Digitalen Transformation (siehe Kasten) deckt den Bereich «Digital Leadership & Culture» ab – neue Ansätze in Führung, Kultur und Arbeit. In der Literatur wird dieses Handlungsfeld etwas breiter auch als «New Work» bzw. Arbeitswelt 4.0 beschrieben.
Kurz vor COVID-19 hat ein Forschungsteam der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW in Zusammenarbeit mit der Future Work Group dieses Handlungsfeld mit Fokus Büroarbeit untersucht und im Herbst 2019 einen umfassenden Praxisleitfaden (siehe Kasten) veröffentlicht.
Studienerkenntnisse zum Stand der Arbeitswelt 4.0 vor COVID-19
Die Zahlen der FHNW-Studie von 2019 waren ernüchternd: Nur 12% der befragten Teilnehmenden sagten, dass ihr Unternehmen ein fortschrittliches Stadium bezüglich der Arbeitswelt 4.0 erreicht hat. 45% der Unternehmen befanden sich gerade in der Transformation und 43% standen noch am Anfang. Noch erstaunlicher war, dass 58% der an der Umfrage teilnehmenden Unternehmen ihre Mitarbeitenden in die Gestaltung der Arbeitswelt 4.0 nicht eingebunden haben. Der Bedarf an Wissensvermittlung und gemeinsamen Visions- und Projektentwicklungen zu New Work war also bereits vor COVID-19 hoch.
Als grösste Barrieren für die Realisierung einer modernen Arbeitswelt wurden das fehlende Wissen/Know-how (42%), bestehende, teilweise starre Führungs- und Organisationsstrukturen (41%) und Konflikte mit anderen Unternehmensprioritäten (35%) genannt. Gleichzeitig sahen die Unternehmen, dass eine moderne Arbeitswelt die Innovationsleistung (66%) sowie interne Kommunikation (64%) stärken und gleichzeitig eine höhere Flexibilität erreicht werden würde (55%).
Die Erfolgsfaktoren der Arbeitswelt 4.0
Im Kern der Arbeitswelt 4.0 stehen die drei Dimensionen People (Mitarbeitende), Place (Arbeitsumfeld) und Technology (Technologien). Die Studienresultate zeigen, dass in der People-Dimension die Themen der Unternehmens- und Führungskultur, der Zusammenarbeit, Arbeitgebendenreputation sowie Aus- und Weiterbildung der Mitarbeitenden hoch gewichtet werden. Die am dringendsten benötigen Mitarbeitendenkompetenzen sind dabei Lernfähigkeit, Veränderungsbereitschaft, Flexibilität sowie Teamorientierung und Kooperationsfähigkeit.
Im modernen Arbeitsumfeld (Place) ist das Bedürfnis nach flexiblen Arbeitszeiten bei zwei Dritteln der Befragten vorhanden (siehe Abbildung unten). So entstehen neue Organisationsstrukturen (u. a. mit virtuellen Teams) und Arbeitszeitmodelle. Beim eigentlichen Arbeitsplatz markieren das direkte/persönlich erlebte (Licht, Temperatur, Akustik) sowie erweiterte Umfeld (Gestaltung von Begegnungszonen, Zusammenarbeitsorten und Verpflegungszonen) wichtige Eckpunkte. Bei den Technologien unterstützen gezielte Hardware- (Notebooks/Laptops, Tablets, Displays, Wi-Fi, Telefonie/VoIP, Konferenzsysteme) und Software-Investitionen (MS Office/Skype, Cloud-Plattformen, CRM-, DMS- und ERP-Lösungen, Instant-Messaging und Online-Lernplattformen) die Transformation in die Arbeitswelt 4.0.
Wie in dieser Abbildung ersichtlich, wünschte sich ein bedeutender Anteil der Mitarbeitenden bereits vor COVID-19 mehr Flexibilität in der Arbeitswelt, ob in Bezug auf Home Office oder Mobile Working, das Arbeiten in Co-Working-Spaces oder des flexiblen Schreibtischteilens (KMU = Kleine und mittelgrosse Unternehmen / GU = Grossunternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden; Quelle: www.arbeitswelt-zukunft.ch).
Die Situation während und nach der ersten COVID-19 Welle in der Schweiz
Eine repräsentative KMU-Studie von diversen Projektpartnern (siehe Kasten) zeigte, dass sich die Zahl der Mitarbeitenden, welche aufgrund des ersten COVID-19-Lockdowns im März/April 2020 von zu Hause aus arbeiteten, fast vervierfachte. Seitdem hat sich das Home-Office etabliert und die Nutzung ist gegenüber dem Stand vor dem ersten Lockdown um über die Hälfte (um 60% von 10% auf 16%) angestiegen. Von denjenigen KMU, bei welchen Mitarbeitende das Home-Office nutzen können, konnten 66% der Unternehmen problemlos oder mit einigen einfachen Massnahmen auf das Home-Office umsteigen. Neben den durch die Digitale Transformation erlebten strategischen und kulturellen Veränderungen in Unternehmen in den letzten Jahren hat COVID-19 nun einen weiteren Change-Prozess vorangetrieben. Im Fokus steht das Konzept des Blended Working.
Blended Working – Flexibilität in der Arbeitswelt-Dimension Place
Blended Working schafft flexible Arbeitsplätze und kombiniert On-Site- und Off-Site-Arbeiten auf optimale Weise, um die Arbeitswelt zu verbessern. Sie bezieht sich auf reibungsloses und nahtloses zeitunabhängiges (die Flexibilität, wann und wie lange Mitarbeitende arbeitsbezogene Aufgaben ausführen) sowie ortsunabhängiges Arbeiten (die Flexibilität, von wo aus die Aufgaben ausgeführt werden).
Blended Working bietet verschiedene Optionen und Kombinationsmöglichkeiten an (Quelle: www.blended-working.ch)
Der Workshop-Canvas zur Planung und Umsetzung der Arbeitswelt 4.0
Ein wichtiges Instrument aus dem Forschungsprojekt der FHNW ist der Workshop-Canvas für die Umsetzung der Arbeitswelt 4.0 (siehe Abbildung unten) mit den Erfolgsfaktoren People, Place und Technology. Mit dem Canvas können Unternehmen – unter Einbezug ihrer Mitarbeitenden – in Workshops und aufgrund von vordefinierten Fragen praxisnah die Potenziale und Barrieren für die Entwicklung ihrer Arbeitswelt identifizieren und so eine Roadmap für die Umsetzung erarbeiten.
Der Workshop-Canvas zum Thema Arbeitswelt 4.0 (Quelle: www.arbeitswelt-zukunft.ch).
In der Schweiz führt die SBB bei der Rekrutierung neuer Mitarbeitenden als Arbeitsort seit längerem die Option «Work Smart» auf. Sie gewährt den Mitarbeitenden so flexible, ortsunabhängige Arbeitsformen. Das Medienunternehmen Spotify hat im Februar 2021 verkündet, dass die 6'500 Mitarbeitenden selber bestimmen können, von wo aus sie arbeiten möchten. Dazu gehört auch die Wahl des Landes, in welchem sie sich selber ansiedeln. Die meisten Start-Ups bieten diese Flexibilität seit langem an. Es ist an der Zeit, unsere Unternehmen zu modernisieren und erfolgreich in die Arbeitswelt 4.0 zu begleiten.