asut-Bulletin
Digital Natives
Ausgabe
02/2021
Hey, schaut mal, da passiert was!

Mit 13 lancierte Philipp Riederle aus seinem Kinderzimmer einen Podcast über seine Erfahrungen mit dem iPhone und hatte bald regelmässig über 150'000 Zuschauer. Mit 15 gründete er seine eigene Firma und erklärte keck, aber fundiert einem Saal voller gestandener Unternehmerpersönlichkeiten (er nennt sie «Anzugträger»), wie Digital Natives funktionieren – das hatten sie zuvor noch nie erlebt. Seither hat er als digitaler Aufklärer und Brückenbauer bereits über 450 Organisationen dabei geholfen, effiziente digitale Strukturen und eine gesunde Unternehmenskultur aufzubauen, in der sich auch Digital Natives wohl fühlen.

asut: Philipp Riederle, was sind denn nun eigentlich Digital Natives?

Philipp Riederle: Digital Natives, auf Deutsch digitale Ureinwohner, sind Personen, die mit dem Internet aufgewachsen sind. Für mich fasst der Begriff zwei Generationen zusammen, die Generation Y und die Generation Z. Zu ersterer gehören, je nachdem wie grosszügig man die Jahreszahlen definiert, die Jahrgänge zwischen 1980 und 1995, die Generation Z ist zwischen 1995 und 2010 geboren. Diese beiden digitalen Generationen unterscheiden sich von den analogen Generationen, die ihnen vorausgingen, von der Generation X, der Generation Babyboomer oder der Generation Silver Surfer.

Inwiefern?

Erstens sind diese Generationen in einer bereits digitalen Realität geboren und aufgewachsen, sie kannten die Welt also nie anders als digital. Dazu kommt zweitens ein Wertewandel, wie er zwischen Generationen immer stattfindet. Und drittens ein demografischer Wandel: In den deutschsprachigen Ländern und in Westeuropa allgemein nimmt die Bevölkerung ab. Wir werden immer weniger. Das verleiht meiner Generation eine gewisse Machtposition und zwar nicht nur in ihrer Rolle als Konsumenten, sondern noch viel mehr als Mitarbeitende: Wir sind gut ausgebildet, die Unternehmen brauchen uns. Deshalb können wir auch etwas fordern: Sicherheit, aber nicht in Form von Status, Karriere oder Macht, wie sie für die Generationen vor uns wichtig war. Sondern als sinnvolle Arbeit in einem guten Arbeitsumfeld.

Und was unterscheidet die Generation Y von der Generation Z?

Als Daumenregel könnte man sagen, dass die Generation Y die wirklich allererste war, für die das Internet schon immer da war. Das waren die Pioniere: Sie mussten wissen, wie das alles im Hintergrund funktioniert, sie konnten einen Computer zerlegen und sie haben dafür kämpfen müssen, Homeoffice machen zu dürfen oder flexible Arbeitszeiten zu bekommen. Die Generation Z kam in eine Welt, in der die digitale Technologie schon viel reifer, selbstverständlicher und so einfach war, dass man sie nicht mehr in der Tiefe zu verstehen braucht, um sie nutzen zu können. Für diese Generation ist Homeoffice selbstverständlich und wenn ein Arbeitgeber das nicht zulässt, dann wird er meist gar nicht erst in Betracht gezogen. Mit derselben Selbstverständlichkeit zeigt sich diese Generation allmählich aber auch kritischer und fordert einen neuen Umgang mit Themen wie Work-Life-Balance oder Remote Working: Die eine oder der andere möchte nun vielleicht eben doch lieber ins Büro kommen und dafür nach Feierabend ihre Geräte ausschalten.

Ein Digital Native zu sein, bedeutet also weit mehr, als mit digitalen Tools umgehen zu wissen...

Es ist schwierig auseinanderzuhalten, was die digitale Technologie verursacht hat und was der Generationenwandel. Aber es ist klar, dass das Digitale im Bereich des Arbeitslebens vollkommen neue Rahmenbedingungen ermöglicht: Sei es in Bezug auf die Arbeitszeit, den Arbeitsort oder auch Vergütungsmodelle, auch wenn wir da noch nicht sehr weit gekommen sind. Diese Veränderungen setzen neue Skills und Fähigkeiten voraus, insbesondere was Führungskräfte angeht. Die müssen jetzt auch über Distanz und über digitale Tools führen können und nicht nur, wenn die Leute direkt vor ihnen sitzen. Das verändert auch ihre Rolle innerhalb der Organisation und das ganze Organisationsmodell.

Die Strukturen unserer Unternehmenswelt sind aber in vordigitalen Zeiten gewachsen. Können sie sich den neuen Zeiten schnell genug anpassen?

Noch vor fünf, sechs Jahren war meine Aufgabe, auf die Trommel zu hauen und den Unternehmen zu sagen: Hey, schaut mal, da passiert was, beschäftigt euch damit, sonst geht ihr unter! Das ist heute viel weniger der Fall. Jetzt haben wir es weniger mit einem Erkenntnisproblem als mit einem Umsetzungsproblem zu tun. Viele Unternehmen haben in den letzten fünf Jahren durchaus damit begonnen, die sehr viel tiefer greifenden Veränderungen des Marktes und der Art der Zusammenarbeit wahrzunehmen und sich darauf vorzubereiten. Aber jetzt, wo viele in den Krisenmodus wechseln mussten, blieben für diese langfristigeren und komplexeren Transformationsthemen plötzlich viel weniger Zeit und Ressourcen. Die wurden einfach pausiert, gekappt, abgebrochen. Viele der Unternehmen, die voller Stolz sagen: «Ja natürlich, wir digitalisieren!», meinen damit leider oft nur Zoomkonferenzen oder Remote Working – Dinge, die seit 2010 selbstverständlich sein sollten – und schieben die wirklich existenzsichernden Transformationen auf die lange Bank.

(Foto: www.phillipriederle.com)

 

So lange, bis überall die Digital Natives das Sagen haben?

Es ist ein absoluter Fehlschluss anzunehmen, dass die digitale Generation im Allgemeinen, nur weil sie in einer immer schon digitalen Welt aufgewachsen ist, in irgendeiner Weise von Natur aus besser für das Digitale qualifiziert ist, sich automatisch besser damit auskennt, die besseren Fähigkeiten besitzt oder von sich aus innovativer ist. Ganz aktuell wurde eine PISA-Sonderstudie veröffentlicht, die zeigt, dass gerade Digital Natives ein Riesenproblem mit Medienkompetenz haben und zum Beispiel schwer in der Lage sind, Fake News zu erkennen. Der Unterschied ist lediglich, dass die junge Generation den digitalen Raum für so selbstverständlich und lebensnotwendig hält, dass sie sich einfach mehr damit beschäftigt, deswegen etwas mehr Erfahrung damit hat und weniger Berührungsängste kennt.

Was wäre denn nötig, um Unternehmen fürs digitale Zeitalter fit zu machen?

Durch die digitalen Technologien ändert sich grundsätzlich die Art und Weise, wie zusammengearbeitet wird, wie Organisationen funktionieren. Wer arbeitet mit wem zusammen? Welche Tätigkeiten lassen sich automatisieren? Gibt es überhaupt noch Abteilungen und Teams? Sind Mitarbeitende fest zugeordnet oder werden sie flexibel je nach Aufgabe zugeteilt? Gibt es einen Chef, der irgendwem etwas zu sagen hat? Oder funktioniert er eher als Coach? Mit welchen Strategien werden künftig Produkte entwickelt, an welchen Märkten sucht und findet man seine Kunden? Solche Fragen zu beantworten, ist die Voraussetzung dafür herauszufinden, wie in Zukunft rentable Geschäftsmodelle funktionieren können. Aber an solchen langfristigen und komplexen Transformationen kann ich erst arbeiten, wenn meine Organisation die Hausaufgaben gemacht hat und aus sich heraus imstande ist, die notwendigen Veränderungen zu erkennen und herbeizuführen.

Themenwechsel: Wie wichtig ist Digital Natives das Thema Datenschutz?

Datenschutz ist für mich weniger ein Generationenthema als ein kulturelles oder politisches Thema. In Schweden ist jede Steuererklärung öffentlich und die Leute finden es gut, weil das für Transparenz sorgt und damit für eine Steigerung der Gesamtwohlfahrt. Wir in Deutschland haben, was dieses Thema angeht, eine dunkle Vergangenheit und sind da ein bisschen ängstlicher. Dass Datenschutz trotzdem auch als Generationenthema wahrgenommen wird, kommt wohl einfach daher, dass die Digital Natives andere Vorerfahrungen haben und weniger Berührungsängste. Ich fürchte aber, dass beide Generationen, sowohl die digitale als auch die analoge, im Durchschnitt gleich inkompetent und gleich ahnungslos ist. Einem Grossteil der Menschen, die das Internet nutzen, fehlt jeglicher Hauch von Grundverständnis, wie das funktioniert, auch nur ganz abstrakt oder prinzipiell. Die meisten haben keine Ahnung, welche Daten anfallen können, was man mit Daten machen kann, welche dieser Daten warum schützenswert sind und welche nicht. Über viele Diskussionen, die aktuell, sowohl von Älteren als auch von Jüngeren, geführt werden, kann man deshalb nur den Kopf schütteln.

Wessen Aufgabe wäre es, für mehr allgemeine «Digital Literacy» zu sorgen?

Ich fordere schon lange, dass digitale Kompetenz in die Schulen muss. Und wenn die Lehrer sagen, dafür hätten sie keine Zeit, dann würden mir sehr viele Fächer einfallen, die man sofort ersatzlos streichen kann dafür, dass wir Digitalkompetenz erlernen. Denn das ist der Boden, auf dem jetzt schon alles aufbaut, und in den nächsten Jahren erst recht aufbauen wird. Auch damit hätten wir bereits vor 20 Jahren anfangen können. Auch bei unseren politischen Mandatsträgern fehlt es an digitaler Kompetenz. Es ist zwar nicht ihre Aufgabe, Technologieexperten zu sein, aber sie sollten Technologieexperten befragen und in die entsprechenden Gremien berufen. Das ist teilweise auch der Fall und funktioniert – wir haben hier in Deutschland tolle Experten, tolle Vereine und gemeinnützige Organisationen, die sich mit diesen Themen auseinandersetzen und gute Empfehlungen abgeben. Wenn die dann aber einfach wesentlich oder wissentlich überhört werden, wie jüngst mit dem Debakel um die Corona-Tracing-App Luca geschehen, dann kann man leider auch nicht mehr helfen.

Als kleiner Bub zerlegten sie technische Geräte und bauten sie wieder zusammen. Heute sind Sie Berater, Speaker, Autor und haben ein abgeschlossenes Studium der Soziologie, Politik- und Ökonomiewissenschaften  – immer auf den Spuren des digitalen Wandels?

Das grosse Thema für das ich brenne, ist im Grunde noch immer dasselbe: Wie wird die digitale Zukunft gestaltet – und von wem? Meine Grundhypothese lautet, dass es nicht nötig ist, Technologie bis ins Detail zu verstehen, um ökonomische und gesellschaftliche Innovationen hervorzubringen. Wichtiger ist, sie in ihren Grundzügen und vom Prinzip her zu begreifen, ihr Potenzial zu erkennen und dieses in Form einer Erfindung nutzbar zu machen. Dazu kann ich genauso gut Historiker sein, wie Musikwissenschaftler, Ökonom, Physiker oder IT-Experte. Das Forschungsprojekt, an dem ich zurzeit arbeite, geht der Frage nach, ob erfolgreiche digitale Startups eher von Leuten mit einem technischen oder einem nicht-technischen Abschluss gegründet werden, wie es mit interdisziplinären Teams aussieht, und welche Art von Teams am ehesten zu Series A Venture Capital kommen, also in eine grosse Wachstumsphase eintreten. Noch liegen keine abschliessenden Resultate vor. Zwar werden wohl Digital Start-Ups von rein technischen Gründerteams mit höheren Investitionsbeträgen finanziert. Die Chancen, als technisches oder nicht-technisches Gründerteam für sein Digital Start-Up eine Finanzierung zu erhalten, sind aber etwa gleich gross. Also: Lasst uns alle gemeinsam anfangen, an der Zukunft zu arbeiten!

Aufgezeichnet von Christine D'Anna-Huber

 

Phillip Riederle

Philipp Riederle, Jahrgang 1994, Digitaldolmetscher und Experte für die Generation Y, erklärt der Öffentlichkeit, wie die Digitalisierung Arbeitswelt und Gesellschaft verändert. Er begann seine Karriere mit 13, hat sich einen Namen als Unternehmensberater, international ausgezeichneter Speaker und Bestsellerautor gemacht. 2014 erklärte ihn die Gesellschaft für Informatik e.V. zu einem von «Deutschlands digitalen Köpfen».

 

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