asut-Bulletin
Digital unterwegs = nachhaltig mobil
Ausgabe
03/2022
Frauen machen nachhaltigere Städte

Von Angela van Rooden

In Paris, Barcelona und Wien haben (Vize-)Bürgermeisterinnen mehr Lebensraum für Stadtbewohnerinnen und -bewohner sowie für den Langsamverkehr geschaffen und damit für signifikant mehr innerstädtische Lebensqualität gesorgt. Ist es nun Kausalität oder Korrelation, dass Frauen hier radikale Änderungen vollzogen? Ganz klar Kausalität, wie u.a. Caroline Criado-Perez in ihrem Buch «Invisible Women» anhand von knallharten Daten belegt. Sie zeigt ebenda den «Data Gender Gap» auf: Auf der einen Seite unvollständige, verzerrte oder schlicht nicht vorhandene Datengrundlagen bezüglich Frauen, auf der anderen Seite Statistiken, die auf Basis des männlichen Stereotyps erhoben werden. Sie legt aber auch dar, wie eine veränderte Perspektive auf (fehlende) Daten in Kombination mit mehr Frauen in Planungs- und Entscheidpositionen zu neuen Ansätzen führt, die mehr Sicherheit und Qualität bringen.

Und wie sieht es in der Schweizer Mobilität aus? Unsere Raum- und Verkehrsplanung ist durch die Arbeitswege geprägt, und die Arbeitswege werden von den Männern dominiert. Denn es sind vor allem sie, die einer bezahlten Erwerbstätigkeit in Vollzeit nachgehen. In der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE) erhebt das Bundesamt für Statistik (BFS) den Beschäftigungsgrad übrigens in der Abstufung 100-90%, 89-50%, <50%, was aus Frauensicht eben einen Data Gender Gap darstellt. Denn immerhin fallen über 35 Prozent Frauen in die Kategorie 89-50%: Eine genauere Aufschlüsselung dieser Spanne, deren Obergrenze immerhin das doppelte Pensum der Untergrenze darstellt, wäre also hochrelevant.

 

«Wer (ein)zahlt, bestimmt»? Das legen zumindest die Daten nahe. Kommt dazu, dass gerade der so erreichte Pendlerkomfort das nicht-nachhaltige Verhaltensmuster – nicht dort zu arbeiten, wo man lebt – weiter befeuert hat (die Schweiz zählte knapp 2,5 Mio Pendler in 2020; grob auf die Daten der SAKE gemappt sind zwei Drittel davon Männer). Auch der zahlkräftige Freizeitverkehr wird als Marktsegment hofiert. Wenig bis nicht sichtbar sind alle anderen: Kinder und Jugendliche, ältere oder mobilitätseingeschränkte Menschen, Menschen die viel unentlöhnte Care-Arbeit leisten und entsprechend in der Regel auch kein grosses Freizeit-Reisebudget haben. Ihnen ist gemeinsam, dass sie einer bezahlten Erwerbstätigkeit nicht oder nur in geringem Ausmass nachgehen, und dass ihre Mobilität meist kleinräumig stattfindet, im eigenen oder den umgebenden Quartieren. Zu ihnen fehlen Daten, auch sie sind in Entscheidungen untervertreten und ihre Bedürfnisse werden vernachlässigt.

Denn der Data Gender Gap verunmöglicht auch in diesem Fall einen aussagekräftigen Blick auf die planerische Ausgangslage. Im aktuellen Schweizer Mikrozensus (2015) ist «Care Work Mobility» nicht sichtbar, obwohl sie zweifellos in grossem Masse besteht, denn schliesslich stellt das BFS jährliche 8,7 Milliarden unbezahlte Arbeitsstunden insgesamt 7,7 Milliarden für bezahlte Arbeit geleisteten Stunden gegenüber. Der Mikrozensus widerspiegelt und zementiert so die Wertesicht «Ein Weg erfolgt entweder für die Bezahltarbeit oder ist Freizeit». Ein folgenreicher Data Gap. Denn wenn die «Care-Work-Mobilität» statistisch nicht exisitiert, dann fehlt auch die Policy- oder Plan-Sicht darauf. Gekoppelt mit dem Umstand, dass es immer noch wenige Frauen in Entscheidpositionen gibt, ist es eben kein Zufall, dass es Macherinnen wie Anne Hidalgo, Ana Colau oder Maria Vassilakou sind, die die Mobilität in den Städten verändert haben. Diesen Müttern und Migrantinnen aus der Arbeiterklasse ist die Ausgangslage klar, auch wenn die Datengrundlage fehlt. Und auch das Ziel: Denn sie wissen, dass die vielen wenig sicht- und hörbaren Menschen – zusammen mit den Pendlerinnen und Pendlern, die in der Pandemie erkannt haben, dass es auch ohne geht – das grosse Substrat für die 15-Minute City bilden, also der Stadt, deren Bewohnerinnen und Bewohner die meisten Dinge des täglichen Bedarfs in einem 15- Minuten-Radius entweder zu Fuss oder mit dem Fahrrad erledigen können. Und die als Konzept eine wichtige Grundlage für eine nachhaltige Mobilität in Grossstädten wie Paris liefert.

Women in Mobility

«Women in Mobility» (WiM) ist ein internationales Netzwerk von Frauen, die sich für eine bessere Sichtbarkeit von Frauen in der Mobilitätsbranche engagieren mit dem Ziel, dass Mobilität für alle Anspruchsgruppen adäquat und zudem nachhaltig gestaltet wird. WiM wirkt auch darauf hin, dass im Arbeitsalltag Vielfalt und Gleichberechtigung in Teams, Führungsebenen, Forschung und Sichtweisen selbstverständlich wird.

Auch in der Schweiz setzen sich «Women in Mobility» (schweiz@womeninmobility.org) für weibliche Sichtweisen auf die Ausgestaltung von Mobilität und gleichberechtigte Arbeitskultur ein.

 

 

Angela van Rooden

Angela van Rooden ist die Co-Gründerin von WiM Schweiz.

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