Von Peter Grütter, asut
Wir leben in turbulenten Zeiten. Die seit Jahrzehnten unipolare Struktur der Welt mit einer Supermacht, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion alle anderen Staaten und die internationalen Institutionen klar dominierte, wandelt sich gerade grundlegend: Neben den USA tritt China zunehmend selbstbewusst auf, ökonomisch, militärisch, allianz- und entwicklungspolitisch. Europa steht klar im zweiten Glied und beschäftigt sich in erster Linie mit sich selbst. Grosse Schwellenländer verlangen Mitsprache. Es entsteht eine neue, multipolare Welt. Eine vielschichtige Welt, in der sich Wirtschaftsmacht, politische Systeme, und Kulturen neu gruppieren. Noch instabil und gerade deshalb mancherorts auch zunehmend ideologisch rigid und intolerant.
In diesem konfliktträchtigen Umfeld bekommt auch der Begriff Resilienz eine vielschichtigere Bedeutung. Sie ist nicht mehr allein die Fähigkeit lokaler Systeme, im Fall von punktuellen Krisen die Funktion ihrer essenziellen Prozesse, Systeme und Einrichtungen (staatliche Institutionen, kritische Infrastrukturen wie die Energie- und Güterversorgung, der Verkehr oder die Telekommunikation) aufrechtzuerhalten oder möglichst rasch wiederherzustellen. Nun muss die Übung inmitten der sich wandelnden und immer vielfältig ineinandergreifenden globalen Neuordnung gelingen. Besonders augenmerklich ist dies im Bereich der ICT, wo die fortschreitende weltumspannende Vernetzung und Abhängigkeit von komplexen Technologien bei allen am System Beteiligten zu neuen Verwundbarkeiten führt.
Und doch: Gerade einem Staat wie der Schweiz eröffnen sich in einer solchen Welt grosse Chancen. Dank erstklassiger Infrastrukturen und einer konsequent neutralen Haltung (und zwar nicht nur aussenpolitisch, sondern eben auch technologieneutral, so dass verschiedene Hersteller und Systeme zum Zug kommen), haben wir ein sozial und wirtschaftlich stabiles Umfeld geschaffen. Wer von der Schweiz als Insel spricht, müsste genauer eigentlich von einer Insel der Stabilität sprechen. Oft schwingt dabei, offen oder unausgesprochen, der Vorwurf mit, dass da hauptsächlich unsolidarisches Eigeninteresse dahinterstecke. Das könnte falscher nicht sein: Gerade weil sie ihre Interessen schützt und wahrt – und auch die Interessen anderer respektiert – kann die Schweiz als unabhängige und glaubwürdige Vermittlerin auftreten. Und so der Welt wertvolle Dienste leisten.
Das gilt auch, und ganz besonders, im Bereich der Digital Governance. Ein «Honest Broker» tut hier Not und als neutraler Kleinstaat könnte sich die Schweiz als das ruhige Auge im Sturm positionieren. Sie könnte der internationalen Staatengemeinschaft eine Plattform bieten, sie an einem Tisch zusammenbringen, den globalen Institutionen ein Forum sein, ein Ort der vertrauensvollen Zusammenarbeit. Beispielsweise, um dem Streben der beiden grossen Pole nach algorithmischer Dominanz etwas entgegenzusetzen. Denn für die Strippenzieher in den USA wie in China geht es grosso modo darum, digitale Plattformen und künstliche Intelligenz so zu konzipieren, dass sie ideale Instrumente zur Markt- und/oder Bürgerkontrolle werden.
Im internationalen Genf, mit den sicherheitspolitischen Zentren, mit der von DiploFoundation betriebenen Geneva Internet Platform GIP, dem Geneva Science and Diplomacy Anticipator GESDA und mit ICT4Peace wurden wichtige Bausteine einer Plattform für Digitale Gouvernanz errichtet. Wir sollten sie der internationalen Gemeinschaft noch konsequenter zur Ausbalancierung der vernetzen Welt anbieten.