Mit mybuxi unterwegs (Foto: mybuxi)
Zusammen ist man weniger allein … und gemeinsam ist man stärker
Vor einigen Jahren schallte der Spruch «Daten sind das neue Gold» durch die Chefetagen der Unternehmen. Allerorts suchte man nach Daten und startete Initiativen, um die Daten zu Geld zu machen. Meistens mit bescheidenem Erfolg. Mal waren die Daten nicht vollständig, dann passten die Formate oder Datenmodelle der verschiedenen Applikationen nicht zusammen, oft hatten die Daten für andere schlicht keinen Nutzwert. Und der Austausch über Unternehmensgrenzen: um Gottes Willen – mit der Konkurrenz?
Beerdigen wir das Thema also am besten gleich wieder?
2018 startete its switzerland zwei Arbeitsgruppen. Die eine beschäftigte sich mit «intermodalen Verkehrsplattformen», die zweite mit «Daten in der Mobilität». Die erste Arbeitsgruppe erarbeitete Grundlagen, die in den laufenden Gesetzgebungsprozess für die «MODI», die «Mobilitätsdateninfrastruktur» eingegangen sind. Dort ging es viel um die fachliche Sinnhaftigkeit von einer solchen Dateninfrastruktur. Wie sie genau organisiert sein sollte, liess die Arbeitsgruppe offen. Die zweite Arbeitsgruppe erstellte, unter anderem, eine «Datenlandkarte». In dieser waren für verschiedene Akteurstypen wie «Infrastrukturbetreiber» oder «Mobilitätsanbieter» vier Felder dargestellt:
- Bedürfnisse der Akteure
- Datenbedarf
- Datenproduktion
- Ängste und Probleme
Aktuell stockt MODI nun, und einer der Gründe findet sich im vierten Feld: Angst der Akteure vor dem Teilen ihrer Daten oder zu grosser Transparenz. Aber vielleicht ist das nur eine leicht böswillige Unterstellung? Jedenfalls spielt in der MODI Diskussion nicht die sachliche Notwendigkeit eine Rolle, sondern die Frage nach der «Staatsnähe» der «Trägerorganisation». Diese Diskussion braucht Zeit, in der die Konkurrenz nicht schläft. Es besteht die Gefahr, dass es zu lange dauert.
Die Datenlandkarte zeigt Bedürfnisse, Datenbedarf, Datenproduktion und Ängste/Probleme der wichtigsten Akteure. Eine erfolgreiche, d.h. gut genutzte intermodale Mobilität bedingt den reibungslosen Datenaustausch zwischen sehr diversen, privaten und öffentlichen Akteuren. Deren unterschiedliche Interessen können die Bereitschaft zur Kollaboration einschränken. (Quelle: www.its-ch.ch/Abschlussbericht Arbeitsgruppe Daten)
Szenenwechsel und Zeitsprung. Im Dezember 2016 geht die «NOVA-Plattform» in der ersten Stufe in Betrieb. NOVA ist die Vertriebsplattform des öffentlichen Verkehrs – rund 250 konzessionierte Verkehrsunternehmen sind daran angeschlossen. Jedes Verkehrsunternehmen kann seine Fahrausweise sowie die gemeinsamen Abonnemente über seine Kanäle verkaufen und kontrollieren. Die Einnahmen werden in einem grossen Topf gesammelt und in einem etwas aufwändigen Prozess an alle angeschlossenen Unternehmen verteilt. Der Prozess ist aufwändig, weil es kein durchgängiges Messsystem für die Nutzung der öV-Angebote gibt.
Auch wenn das System nicht perfekt ist, was hat es gebracht? In der «Vor-NOVA-Welt» gab es keinen Wettbewerb, da die alten Systeme schlicht nicht für eine breite Nutzung geeignet waren. Als NOVA in Betrieb ging, konnten auch andere Unternehmen neue Zugangskanäle auf den Markt bringen. Die TPF ein «SMS-Ticket» (das noch ohne NOVA, war aber für die Entwicklung anderer «Smart-Phone» Anwendungen Impulsgeber), die BLT digitalisierte Mehrfahrtenkarten und Abos, die BLS experimentierte mit Chatbots und brachte mit lezzgo ein nationales «automatisches Ticketing-System» heraus, bei dem man vorgängig kein Ticket mehr kaufen musste. Trotzdem konnte man zum besten Preis reisen. Lezzgo wurde in «harter Konkurrenz» zu fairtiq entwickelt – einer Ticketing-App einer privaten Firma, die in Zusammenarbeit mit drei Verkehrsunternehmen (TPF, VBL und RhB) auf den Markt gebracht wurde.
In sehr kurzer Zeit kamen also ganz neue Möglichkeiten in die Welt. Die Schweiz war das erste Land der Welt, das ein nationales automatisches Ticketing mit 250 angeschlossenen Verkehrsunternehmen einführen konnte. Möglich gemacht: durch eine gemeinsame Datenplattform.
Ein Akteur ging damals einen Schritt weiter: die SOB, die Schweizerische Südostbahn, entwickelte «abilio». In Zusammenarbeit mit Siemens Mobility entstand ein System, das nicht nur den öffentlichen Verkehr «drin hatte», sondern auch Parkplätze, Taxis und Sharing-Angebote beherrschte. Der Erfolg blieb jedoch aus verschiedenen Gründen aus. Wie auch bei «Moovel», das einen ähnlichen Ansatz verfolgte und in Deutschland von einem Konsortium von bestehend aus BMW und Daimler-Benz entwickelt wurde.
Aufgeben ist nicht die Sache der SOB. Eine rigorose Analyse machte klar: es ist nicht nur wichtig, dass man das «Richtige» macht, sondern auch «wie». Ein Bahnunternehmen als Plattformbetreiber war für andere Akteure kein attraktiver Partner.
Der CEO der SOB, Thomas Küchler, lud daraufhin kleine und grosse Unternehmen ein. Zusammen wurde die «Interessensgemeinschaft intermodale Mobilität» gegründet, um ein besseres Vorgehen zu entwickeln. Aus der Interessensgemeinschaft ging die Genossenschaft openmobility hervor. Die aktuell 30 Mitglieder der Genossenschaft sind Transport- und Technologieunternehmen, die das gemeinsame Ziel einer einfach zugänglichen, vernetzten Mobilität verfolgen. Diese wird partnerschaftlich an konkreten Problemstellungen entwickelt.
Beispiel? Carsharing im ländlichen Raum hat ein Problem: die Carsharingstation ist oft am Bahnhof im Dorf, derselbe in der Schweiz häufig im Tal. Die potentiellen Nutzer wohnen am Hang. Wer nutzt ein Carsharing, wenn er oder sie 2 km und 150 Höhenmeter zum Fahrzeug zu Fuss überwinden muss? Genau, wenige.
Wie aber wäre es, wenn die Bestellung einfach mit Abholung und Rückfahrt erfolgt, zum Beispiel mit einem «Fahrt auf Verlangen» Angebot. Das war die Fragestellung, der sich die beiden openmobility Mitglieder sponti-car und mybuxi angenommen hatten. Der «Papiermockup» funktionierte. Bald kamen weitere Fälle dazu. Betriebswirtschaftlich ist es natürlich unsinnig, zwischen allen Akteuren spezifische Schnittstellen zu bauen. Schnittstellen sind teuer.
Was also tun? Openmobility stellt seit 2023 seinen Mitgliedern eine Entwicklungs- und Testumgebung, die «Sandbox», zur Verfügung. Mit einem geringen Aufwand können die eigenen Systeme angeschlossen werden und gemeinsame Angebote damit entwickelt werden. Alle Mitglieder können Projekte lancieren und in verschiedenen Konstellationen Anwendungsfälle umsetzen. Die Genossenschaft sorgt dafür, dass die Erkenntnisse allen Mitgliedern zur Verfügung gestellt werden, um kostspielige Doppelspurigkeiten zu vermeiden.
Eines der ersten Projekte ist die «Koordinierte, Innovative, eMissionsfreie Mobilität» (KIMM). Das Projekt entwickelt für touristische alpine Regionen ein nachhaltiges Mobilitätsangebot, das touristische Regionen ohne Auto erreichbar und erlebbar macht. Pilotgebiet ist die Gotthardregion, gefördert wird das Projekt von Innotour, der Innovationsförderstelle für Tourismus. Das Angebot umfasst den öV, vertreten durch SOB und MGB, «Fahrt auf Verlangen» mit mybuxi, Carsharing mit Sponti-Car, Bikesharing mit Publibike und Mitfahren mit ummadum. Gestartet wurde das Projekt im April 2023. Seither wurden die Angebote eingerichtet und an die Sandbox angeschlossen. Nun erfolgt die Entwicklung der verschiedenen «Customer Journeys» für die Interessensgruppen der Region. Neu entwickelt werden muss nur relativ wenig.
Warum machen die Akteure das? Ganz einfach: wenn meine Kunden einfach deine Kunden sind, haben wir beide mehr. Wer in der Stadt das Publibike nimmt, mit dem Zug nach Andermatt fährt und von dort mit dem mybuxi zur Wanderung aufbricht, ist Kunde von drei Angeboten – muss sich aber nur einmal angemeldet haben und kann die App oder Website seiner Wahl benutzen. Und wer dann in den Ferien einmal mit dem eAuto eine Fahrt ins Tessin oder über die Pässe machen will: einfach einsteigen.
Natürlich: am Ende muss die Kasse stimmen. Jedes Unternehmen muss Geld verdienen. Und genau darum gibt es die Genossenschaft: zusammen sind die Kosten geringer, die Reichweite und die Einnahmen grösser. Und damit der Gewinn.
Weitere Informationen zu Openmobility: Abschlussbericht der Arbeitsgruppe Intermodale Verkehrsplattformen