Mobilität ist in der Schweizer DNA eingeschrieben (Foto: piqsels.com)
Interview mit Peter Grütter, asut
Seit Jahren setzt sich die asut für die Schaffung einer schweizerischen Verkehrsdatenplattform ein, um die bestehenden Verkehrsinfrastrukturen auf eine vernetzte Mobilität auszurichten und die Mobilitätsangebote zu vereinen. Dass nun Bewegung in die Sache kommt, freut den scheidenden asut-Präsidenten Peter Grütter.
asut: Wie passen Mobilität und Daten zusammen?
Peter Grütter: Der Ausbau der Infrastruktur kann mit den wachsenden Mobilitätsbedürfnissen nicht Schritt halten. Vernetzte Daten fügen der Verkehrsinfrastruktur eine zusätzliche, digitale Ebene hinzu. Mit ihrer Hilfe lässt sich das vorhandene Verkehrsnetz besser auslasten, das bestehende Mobilitätsangebot nachhaltiger nutzen und die Effizienz des Gesamtsystems steigern. Digitale Technologien können auch dazu beitragen, den Verkehr nachhaltiger zu gestalten und seine negativen Auswirkungen – Lärm, Abgase, Unfälle usw. – zu reduzieren. Und schliesslich sind sie ein Instrument, um verkehrspolitische Massnahmen wie kapazitätsabhängige Preise oder Geschwindigkeitsbegrenzungen für ein intelligentes und innovatives Mobilitätsmanagement umzusetzen.
ICT wird den drohenden Verkehrskollaps verhindern?
Ich denke schon, dass die Weiterentwicklung des Mobilitätssystems wesentlich von der intelligenten Datenvernetzung aller Verkehrsteilnehmenden abhängt. Doch das setzt einiges voraus: Zunächst brauchen wir zwingend eine entsprechend leistungsfähige Kommunikationsinfrastruktur. Für eine Verkehrssteuerung in Echtzeit sind die heutigen Systeme zu träge. Der rasche und flächendeckende Ausbau des Mobilfunknetzes ist daher dringend erforderlich. Zweitens müssen wir einen einfachen und standardisierten Zugang schaffen, damit Mobilitätsdaten interoperabel zusammengeführt werden können. In ihrem gemeinsam mit PWC und der Universität St. Gallen publizierten Bericht «Für ein zukunftsfähiges Schweizer Mobilitätssystem», hat die asut bereits 2019 die Notwendigkeit einer solchen Datenaustauschplattform aufgezeigt. Schliesslich braucht es einen Konsens über den Umgang mit Daten und darüber, wie wir als Gesellschaft mit dem Widerspruch zwischen der für neue technologische Entwicklungen notwendigen Demokratisierung der Daten und dem Recht auf Privatsphäre umgehen wollen – also wie wir Innovation und Transparenz ermöglichen und gleichzeitig Schutz und Sicherheit der Daten gewährleisten.
Tut sich etwas in diese Richtung?
Die Schweiz hat sich lange schwer damit getan, ein vernetztes Mobilitätsdatenökosystem zu schaffen: zu viele fest etablierte Strukturen, zu viel Konkurrenz- und Silodenken und komplizierte regulatorische Auflagen. Doch nun diskutieren im Rahmen der Vorlage für ein Bundesgesetz über die Mobilitätsdateninfrastruktur (MODIG) Akteure der Mobilitätsbranche, Behörden und Organisationen für Rettung und Sicherheit den Aufbau eines gemeinsam betriebenen und allen Teilnehmenden zugänglichen Datenverbunds und definieren erste zentrale Anwendungsfälle. Wichtig ist insbesondere, dass ein solches System vertrauenswürdig und unter einer neutralen Governance betrieben wird. Auch soll der Zugang zu den Daten nicht erzwungen werden, sondern auf freiwilliger Basis erfolgen, indem die Plattform Kooperationen und Partnerschaften als Innovationstreiber fördert. Das MODIG soll die gesetzlichen Grundlagen dafür liefern.
Wo steht das MODIG heute?
Der Gesetzesentwurf wurde mit Expertinnen und Experten diskutiert und optimiert. 2025 ist die Behandlung in den eidgenössischen Räten vorgesehen. Wir hoffen auf eine breite Zustimmung und rasche Umsetzung – denn rund um die Schweiz entwickelt sich die Welt rasant.
Die Zeit ist sicher reif: Schon heute gibt es mehr als doppelt so viele vernetzte IoT-Geräte wie Menschen. Da fallen doch sicher auch viele verkehrsrelevante Daten an...
Das denke ich auch: Und mit diesen Daten lässt sich eine Menge anfangen: Sie können die Grundlage für ganz neue Ansätze und Konzepte sein, um die vorhandenen Ressourcen intelligent und innovativ zu steuern und zu koordinieren. Und zwar ohne die enormen Investitionen der öffentlichen Hand, die sonst für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur nötig sind – und deshalb auch ohne die damit einhergehenden gesellschaftlichen Bedenken. In der Schweiz gibt es bereits eine Handvoll interessanter Pilotprojekte, die in diese Richtung gehen.
Zum Beispiel?
Im Personenverkehr gibt es verschiedene Pilotprojekte im Bereich autonomes Fahren, die sowohl zu mehr Effizienz im urbanen Raum führen, als auch auf dem Land und bei geringer Nachfrage ein bedarfsgerechtes, attraktives und finanzierbares Angebot ermöglichen sollen. Ein Beispiel für Bedarfsmobilität im ländlichen Raum ist mybuxi. Beim automatisierten Fahren im Personenverkehr sind die Projekte des Swiss Transit Lab und der Transports Publics Genevois (TPG) führend. Letztere sind am EU-Projekt Ultimo beteiligt. Im Bereich Logistik ist sicher das gerade gestartete Projekt des Tech-Startup LOXO und des Logistikunternehmens Planzer zu nennen. Ziel ist es hier, die städtische Logistik effizienter und nachhaltiger zu gestalten, insbesondere durch den Einsatz eines hochautomatisierten, vollelektrischen Fahrzeugs für die Feinverteilung von Paketen in der Innenstadt. Im Bereich des Verkehrsmanagements versuchen SBB, BLS und SOB mithilfe von adaptiven Lenkungssystemen unnötige Stopps und das energieintensive Wiederanfahren der Züge zu vermeiden. Diese Systeme analysieren die Fahrsituation aller Züge im Netz online und liefern dem Lokführer entsprechende Tempoempfehlungen. So lassen sich auch bei wachsendem Zugverkehr die Energiekosten sowie die Abnutzung des Rollmaterials und der Trassen optimieren. Die SOB ist in der Schweiz führend in der «Automatic Train Operation». Und im Waadtland hat die Swisscom gemeinsam mit der Stadt Pully schon vor Jahren auf der Basis von Big-Data-Analysen eine Planungsmethode entwickelt, um den Transitverkehr besser zu steuern.
Ist die Schweiz ein gutes Pflaster für innovative Mobilitätslösungen?
Einerseits gibt es hier erstklassige Hochschulen, die sich mit dem Thema beschäftigen: Die ETH Zürich zum Beispiel arbeitet gemeinsam mit Industriepartnern daran, ein weltweit führendes Zentrum für Mobilitätsforschung zu werden. Zum anderen ist Mobilität in unsere DNA eingeschrieben. Wir sind nicht nur Weltmeister im Bahnfahren – mit einem einzigen landesweiten Fahrplan und demselben Billett für verschiedene Transportanbieter ist ein intermodales und integriertes Angebot für uns längst Alltag.
Das soll nicht heissen, dass es nichts mehr zu verbessern gäbe, dazu genügt der Blick über die Landesgrenzen: Die Wiener Stadtwerke etwa haben mit der All-In-One-Mobilitäts-App BeamBeta eine intermodale Plattform geschaffen, die mit wenigen Klicks die optimale Route von A nach B berechnet und dabei nicht nur den öffentlichen Verkehr, sondern auch Taxi, Car-, Bike- und Ridesharing berücksichtigt. Auch Hamburg oder Oslo entwickeln erfolgreich ähnlich ambitionierte Strategien. In der Schweiz gibt es einige sehr interessante Projekte, die aber im internationalen Vergleich keine optimalen Rahmenbedingungen vorfinden, insbesondere was den Zugang zu Kapital und die teilweise komplizierte Regulierung betrifft. Hier versucht die Politik, die Voraussetzungen für Unternehmen zu verbessern, beispielsweise mit der Motion von Nationalrätin Barbara Schaffner zur Förderung innovativer und klimaneutraler Mobilitätsangebote.
Zum Abschluss: Wie sehen Sie die Chancen der Schweiz, bei der Gestaltung der Mobilität der Zukunft eine führende Rolle einzunehmen?
Wenn es uns gelingt, die geplante Verkehrsdatenplattform rasch zu realisieren, können wir neue Technologien wie autonomes Fahren, nachhaltige Logistiklösungen und intelligente Verkehrssteuerung besser und gezielt umsetzen. Dies ist nicht nur eine Chance, die Lebensqualität in der Schweiz weiter zu optimieren, sondern auch ein Beitrag zu globalen Herausforderungen wie der Reduktion von Emissionen und dem schonenden Umgang mit knappen Ressourcen.
Die Zukunft der Mobilität wird datengetrieben, digital vernetzt und nachhaltig sein. Und die Schweiz hat alles, was es für eine Vorreiterrolle braucht – gut verankerte Konzepte, innovative Projekte, genügend Mittel, willige Unternehmen und exzellente Fachkräfte. Zeigen wir, was möglich ist.
(Aufgezeichnet von Christine D'Anna-Huber)
Mit diesem Beitrag verabschiedet sich Peter Grütter als Präsident der asut. Er hat die strategische Ausrichtung des Verbandes während 12 Jahren geprägt und die asut als zentrale Stimme der Informations- und Telekommunikationsbranche in Politik, Wirtschaft und Verwaltung etabliert. Zuvor war Peter Grütter in der Bundesverwaltung tätig, unter anderem als Generalsekretär des Eidgenössischen Finanzdepartments und Vorsitzender des Informatikrates des Bundes. Für Cisco Systems hat er Regierungen beraten sowie grosse digitale Transformations- und Modernisierungsprogramme begleitet. Grütters Nachfolgerin ist Judith Bellaiche, ehemalige Swico-Geschäftsführerin und GLP-Nationalrätin. Peter Grütter wird weiterhin im Vorstand der asut Einsitz nehmen.
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