asut-Bulletin
Mobilität und Daten
Ausgabe
04/2024
Mobil sein, mobil bleiben

Von Christine D'Anna-Huber

Die KI scheint aus den Tiefen des Internets eine doch eher konventionelle Sicht der Mobilität zu schöpfen. Der Prompt für Google Gemini war hier: Eine moderne, autofreie Stadt mit nachhaltiger Mobilität. Es ist zumindest anzunehmen, dass die hier gezeigten Autos autonom und elektrisch unterwegs sind. (Illustration: Google Gemini)


«Wir erleben derzeit einen Stresstest der Verkehrssysteme. Bestehen werden wir ihn nur dann, wenn wir das Ganze verkehrsträger- und verkehrssystemeübergreifend organisieren und die dafür nötigen Infrasrukturinvestitionen tätigen, sowohl in Softsysteme als auch in die Hardware. Denn Mobilität ist persönliche Freiheit. Mobilität ist nicht eine Strafe, sondern ein Gewinn moderner Gesellschaften.»

Peter Grütter, Vorstand asut

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«Verträgliche, sichere, vor allem auch verfügbare und verlässliche Mobilität ist ein absolut zentrales Element von Wohlstand und Wohlfahrt. Daran sollten wir uns immer wieder erinnern. Es darf nicht sein, dass Mobilität ein exklusives Gut wird für wenige Begüterte.»

Jürg Röthlisberger, Direktor ASTRA

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«Das Schweizerische Mobiitätssystem funktioniert. Wir haben in der Schweiz die Chance, dass wir seit langer Zeit die nötigen finanziellen Mittel investieren, um die Verkehrsinfrastrukturen – Strasse und Schiene –  betreiben und weiter ausbauen zu können. Dazu müssen wir Sorge tragen. Mithilfe von Digitalisierung und Automatisierung werden wir diese Infrastrukturen noch effizienter und besser nutzen können. Aber eines muss uns klar sein: Wir werden sie immer auch nutzen müssen. Nur virtuell wird es nicht gehen.»

Peter Goetschi, Präsident Touring Club Schweiz

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Mit diesen Worten wurde vor einigen Wochen im Kursaal Bern die diesjährige DACH-Mobilitätskonferenz eröffnet. Die gemeinsam von asut, dem Bundesamt für Strassen (ASTRA), its switzerland und TCS, sowie den ITS-Organisationen aus Österreich (ITS Austria) und Deutschland (ITS Germany und ITS mobility) organisierte Konferenz ging der Frage nach, wie das Mobilitätssystem der Schweiz auch unter den Bedingungen wachsender und sich wandelnder Anforderungen seine sprichwörtliche Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit bewahren kann. Die Antwort ist klar: Digitale Technologien werden dabei eine entscheidende Rolle spielen. Und das ist keineswegs nur Zukunftsmusik: Bereits ab 2025 sollen selbstfahrende Fahrzeuge regulär auf Schweizer Strassen zugelassen werden.

Warum, erklärt Peter Grütter im Interview. Die bestehenden Verkehrsinfrastrukturen kommen an ihr Limit: Es fehlen der Platz und, wie die Abstimmung Ende November gezeigt hat, jedenfalls im Fall der Strasse, auch der (Volks-)Wille für den Weiterausbau. Gleichzeitig sind die Schweizerinnen und Schweizer mobil wie nie: Niemand sonst fährt in Europa so viel Zug wie sie. Insgesamt sind sie mit dem ÖV, im Auto oder per Velo im Tag rund 90 Minuten unterwegs. Daten und ganz allgemein digitale Technologien können diesen Widerspruch – die Grenzen der infrastrukturellen Möglichkeiten und das wachsende Mobilitätsbedürfnis – ausräumen. Denn sie erlauben es, das Verkehrssystem durch eine weitere, virtuelle Ebene zu erweitern. So helfen sie dabei, den drohenden Verkehrskollaps abzuwenden, indem sie vorhandene Mobilitäts- und Logistikangebote optimieren und die Effizenz der Verkehrsinfrastrukturen steigern.

Zum Beispiel in Stuttgart. Dort sorgt die Integrierte Verkehrsleitzentrale (IVLZ) dafür, dass alles, was im Grossstadtraum Stuttgart in Sachen Mobilität passiert, von einer zentralen Stelle aus überwacht und gesteuert wird. Ralph Thomas, der Leiter der IVLZ, erklärt das in Deutschland einmalige Konzept, das hinter diesem zuständigkeitsübergreifenden und intermodalen Verkehrsmanagement steckt, das Verkehrsflüsse mithilfe digitaler Technik optimiert.

Andererseits ebnen Daten und digitale Technologien auch innovativen neuen Mobilitätsideen und -konzepten den Weg. So soll das automatisierte Fahren, wie Sigrid Pirkelbauer vom Bundesamt für Strassen (ASTRA) in ihrem Beitrag aufzeigt, in der Schweiz bald Wirklichkeit werden und nachhaltige neue Verkehrskonzepte ermöglichen. So wie beim Pilotversuch, der derzeit in Bern läuft, einen besseren und umweltfreundlicheren Warentransport.

Auf Datenanalysen, wie sie das KI-Gehirn autonomer Autos ausführt, setzt auch die SBB. Zugkontrolleinrichtungen werden dank Machine Learning immer besser darin, aus allen möglichen Messdaten die richtigen Schlüsse zu ziehen, um die Normabweichungen sowohl beim Zugverkehr als auch bezüglich Schäden oder Verschleiss frühzeitig erkennen und einordnen zu können. Entgleisungen oder Brände und Verspätungsminuten konnten seit der Einführung dieser Systeme deutlich reduziert werden. Susanne Halbekath, Leiterin «Sicherheit, Qualität, Umwelt, Risk/BCM» bei SBB Infrastruktur macht deutlich, dass mit diesen immer leistungsfähigeren technologischen Möglichkeiten auch etliche Herausforderungen bezüglich Finanzierung, Regulation, Sicherheit und Verantwortung verbunden sind, gerade in einem «Durchfahrtsland» wie der Schweiz. Isabella Geis, Associate Partner bei Wavestone, zeigt ebenfalls auf, dass mit jedem Fortschritt neue Angriffsflächen entstehen und was zu tun ist, damit Resilienz und Digitalisierung in der Mobilität Hand in Hand gehen.

Digitale Technologien sind ebenfalls zentral, wenn es um die Entwicklung neuer Antriebssysteme oder die Steuerung und den Betrieb autonomer Verkehrssysteme geht. Head of Business Development Lorenzo Niola stellt die radikale Zukunftsvision von Swisspod vor. Das Start-up, das an der EPFL in Lausanne die erste operative Hyperloop-Testanlage betreibt und dort vor Kurzem den Rekord für die längste Vakuumkapsel-Testfahrt gebrochen hat, träumt davon, Passagiere und Fracht in nur 17 Minuten von Genf nach Zürich zu befördern – und zwar emissionsfrei. Endre Angelviks, Executive Vice President Radical Innovation bei der norwegischen ÖV-Verkehrsbehörde Ruter, wünscht sich seinerseits eine völlig autofreie Stadt, in der nur noch autonome und gemeinschaftlich genutzte Fahrzeuge verkehren und das Verkehrsvolumen dadurch um ein Drittel reduziert wird.

Doch zurück zur Gegenwart: Andreas Kronawitter, Geschäftsführer von its-switzerland erinnert im Editorial daran, dass das Rückgrat eines zukunftsfähigen Mobiitätssystems der Datenaustausch ist – und dass eine entsprechende Mobilitätsdateninfrastruktur (MODI) erst noch geschaffen werden muss. Die Weichen sind immerhin bereits gestellt: In enger Zusammenarbeit mit Behörden, Firmen und Forschung haben its switzerland die Grundlagen für den Datenaustausch über alle Mobilitätssysteme erarbeitet – nun ist die Politik am Ball.

Christine D'Anna-Huber

Die Publizistin Christine D'Anna-Huber (cdh), Redaktionsleiterin des asut-Bulletins seit 2010, verabschiedet sich mit diesem Beitrag und wünscht dem asut-Bulletin eine erfolgreiche Zukunft.

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