asut-Bulletin
Homo digitalis – Swiss Telecommunication Summit /43. asut-Seminar
Ausgabe
04/2017
Patrick Gisel: Vernetzt und doch ganz nah

Als Raiffeisen-CEO steht Patrick Gisel einer Bank vor, die auf den ersten Blick mit Digitalisierung wenig zu tun hat: Keine andere Bank in der Schweiz ist physisch so präsent wie die Raiffeisen Gruppe – jede dritte Bankfiliale trägt ihre Farben. Ein digitaler Ansatz werde in der internen Kultur deshalb sehr schnell als kompetitiv erlebt. Und doch komme daran heute niemand mehr vorbei – gerade und ganz besonders in der Bankenbranche, wo über Jahrzehnte erfolgreiche Geschäftsmodelle heute stark unter Druck geraten. Mit Produkten oder dank der Qualität der Beratung allein könne sich eine Bank nicht mehr von der Konkurrenz abheben. Ausschlaggebend seien heute allein die Kommunikation und die Kundenkenntnis.

Die Banken per se sind laut Gisel keine Vorreiter der Digitalisierung – der industrielle Bereich sei hier aus Effizienzgründen bereits viel weiter. Umso grösser sei nun die Herausforderung durch junge und innovative Fintechs, die bestimmte Punkte in der Wertschöpfungskette der Banken sehr fokussiert angreifen und die Legacy-Systeme stark unter Druck bringen würden.

Trotzdem zeigt sich Gisel davon überzeugt, dass das physische Bankgeschäft durch die Digitalisierung nicht substituiert werde. Es werde sich in Bezug auf das Angebot und die Art und Weise der erbrachten Dienstleistungen aber massiv verändern. Rein digitale Bankingmodelle hingegen werden sich seiner Ansicht nach nicht durchsetzen können. Erfolgreich sein werde die Komplementarität zwischen physischer Präsenz und digitalen Services.

Zur optimalen Kundenbetreuung gehöre heute, zur richtigen Zeit über die richtige Information zu verfügen. Daneben aber blieben alte Werte und Wahrheiten zentral. So die Einsicht, dass der Erfolg des Bankengeschäfts primär auf Kompetenz, auf Menschen und vor allem auf Vertrauen beruhe: «Ohne Vertrauen geht, auch mit den besten Menschen, den besten Systemen, gar nichts.»

Und weil man Vertrauen, im Gegensatz zu Systemen und (rekrutierbaren) Menschen nicht kaufen, sondern nur durch spürbar vorgelebte und den Kunden glaubhaft kommunizierte Werte schaffen lässt, hat die Raiffeisen Gruppe den Begriff des wertebasierten Bankings geschaffen. Im Zentrum stehen vier Werte. Der erste ist die Glaubwürdigkeit und bedeutet, dass man nur tut, «was man wirklich kann», und nicht das, «was am meisten bringt». An zweiter Stelle kommt die Nachhaltigkeit. Der dritte Wert ist die Nähe und die (immer differenziertere) Kommunikation mit den (dank der Digitalisierung immer besser informierten) Kunden vor Ort. Deshalb tritt Raiffeisen auch im Internet immer als einzelne lokale Raiffeisenbank auf, weil der Kunde das Gefühl haben soll, bei der Bank in seiner Region zu Hause zu sein. Der vierte und letzte Wert schliesslich ist die Genossenschaft: das unternehmerische Modell mit 270 autonom geführten Banken mit Entscheidungskompetenz vor Ort.

Dieses wertebasierte Geschäftsmodell ist für Gisel die Voraussetzung für eine neue, zukunftstaugliche Differenzierung des Bankgeschäfts, die es nun gegen aussen gezielt zu kommunizieren gelte. Aber genauso wichtig sei es, intern eine innovationsfreundliche und veränderungsaffine Mentalität aufzubauen, die eigenen Geschäftsmodelle ständig in Frage zu stellen und Ideen aus anderen Branchen aufzunehmen und weiterzuentwickeln. Ein Erfolgsrezept? Jedenfalls eine mit viel Überzeugung vorgebrachte Handlungsstrategie für eine im Umbruch begriffenen Branche.

 

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