asut-Bulletin
5G – das Turbonetz
Ausgabe
02/2018
Unverzichtbar für die Digitalisierung

Das laufende Jahr wird zum Start- und Wendepunkt einer neuen Technologie. Der erste Release des 5G-Standards wurde Ende 2017 verabschiedet und in den USA und in Asien entstehen bereits erste 5G-Netze. Doch wie sieht es in der Schweiz aus? Ericsson Schweiz arbeitet zusammen mit Swisscom und der EPFL am Thema 5G und ist auch international an vorderster Front dabei. Martin Bürki, CEO Ericsson Schweiz AG, eröffnet im Interview einen Blick hinter die Kulissen von 5G.

asut: Warum braucht die Schweiz neue 5G-Netze?

Martin Bürki: 5G ist die neueste Mobiltechnologie und wird weltweit eingeführt. Sie wird grosse Vorteile bieten. So steigt die Funkkapazität um den Faktor 1000, was eine 10- bis 30-fach höhere Datenübertragungsrate pro Funkzelle bedeutet. Im Vergleich zu den heutigen LTE/4G-Netzen verbessert 5G die mobile Breitbandversorgung in einem heute kaum vorstellbaren Mass – ein Quantensprung also. 5G ermöglicht damit völlig neue Anwendungen für Industrie, öffentliche Dienste und private Nutzer.

Was heisst das konkret?

Während die aktuelle 4G-Technik LTE Advanced (LTE-A) Übertragungsraten zwischen 300 bis 1000 Mbit/s bietet, stösst 5G mit bis zu 30 Gbit/s pro Funkzelle in den Bereich schneller Datennetze vor – ein deutlich spürbarer Fortschritt.

Das erhöhte Tempo ist aber nur ein Aspekt von 5G, denn dank der neuen Technologie ergeben sich ganz neue und bisher nicht gekannte Anwendungen. So lassen sich z. B. Maschinen in Echtzeit steuern, was Produktionsprozesse vereinfacht. Oder der Verkehr lässt sich via 5G dank ultrakurzer Reaktionszeiten in Echtzeit regeln. Das verhindert nicht nur Staus, sondern auch Unfälle.

Warum baut man dazu nicht einfach LTE/4G aus?

Die bisher genutzten Frequenzbänder sind im Bereich von 800 MHz bis 2,6 GHz praktisch voll ausgelastet. Zudem nutzen alte Mobilfunknetze wie GSM/2G das Spektrum nur sehr ineffizient, weshalb es Swisscom und Salt auf 2020 abschalten werden, Sunrise bereits 2018. Die mobil übertragene Datenmenge verdoppelt sich jährlich dank dem Boom von Smartphones und Tablets, und dies seit Jahren.

Die Betreiber sind daher gezwungen, ihre Netze dauernd auszubauen, um den Verkehr zu bewältigen. Das geschieht bei LTE/4G ja auch laufend. Trotzdem reichen die Kapazitäten bei diesem Wachstum bald nicht mehr aus, auch wegen neuer mobiler Anwendungen. Deshalb muss 5G kommen, nicht zuletzt wegen seiner sehr tiefen Latenz. Auch die Energieeffizienz steigt markant. Dies ist besonders bei Anwendungen im Internet of Things (IoT) von zentraler Bedeutung, weil beispielsweise Sensoren über mehrere Jahre mit kleinen Batterien autonom funktionieren müssen.

Welche Frequenzbereiche sind für 5G angedacht?

Die ComCom plant dieses Jahr neue Frequenzen für 5G in der Schweiz zu vergeben. Die zusätzlichen Frequenzen umfassen die Bereiche 700 MHz, 1400 MHz und 3,4 GHz. Das sind also vergleichbare Frequenzen, wie wir sie heute schon im Mobilfunk verwenden. Daher könnte 5G rasch auf den bestehenden Mobilanlagen eingeführt werden. „Könnte“ deshalb, weil die strengen Schweizer Grenzwerte und die restriktiven Berechnungsmethoden dies leider verhindern. Zu einem späteren Zeitpunkt sind höhere Frequenzbänder ab 24GHz denkbar. Diese hohen Frequenzen haben jedoch eine geringere Reichweite und die Durchdringung von Mauern ist sehr schlecht. In Ergänzung zum Ausbau der bestehenden Mobilfunkanlagen, also den Makrozellen, wird es zukünftig vermehrt Mikrozellen brauchen, um das weiter wachsende Datenvolumen zu bewältigen.

Zurück zum Schlagwort IoT: Ericsson prognostizierte bereits vor vielen Jahren, dass 2020 50 Milliarden Endgeräten miteinander verbunden sein werden. Da schüttelten noch viele Experten den Kopf und sprachen von einem Marketing-Gag.

Heute weiss man, dass das Potenzial noch viel grösser ist. Die Wachstumsraten beim IoT unterstreichen das eindrücklich. 5G ist eine wesentliche Voraussetzung für die smarte Mobilität von morgen, damit Maschinen untereinander und Menschen mit Maschinen kommunizieren können. Man prognostiziert für das nächste Jahrzehnt weltweit deutlich mehr als 100 Milliarden mobile Geräte über Funktechnologien wie 4G oder 5G.

5G Demo am Mobile World Congress MWC (Foto: Ericsson).

 

Mit welchen neuen Verfahren trumpft 5G auf, um solche Leistungen zu erbringen?

Hier scheinen die von 4G und höherwertigen WLANs bereits bekannten Verfahren MIMO (Multiple Input, Multiple Output) sowie «Beamforming» im Vordergrund zu stehen. Bei MIMO läuft das Signal über mehrere Kanäle parallel, die durch eine grössere Anzahl feiner Antennen im Endgerät wie auch in der Basisstation untergebracht sind. MIMO wird bei 5G weiter ausgereizt, auch deshalb der Begriff «Massive MIMO». Um eine grosse Anzahl von Endgeräten zu versorgen, werden die Basisstationen dazu mit Dutzenden bis Hunderten von Sende- und Empfangseinheiten versehen.

Die Einheiten kommunizieren mit zahlreichen, räumlich getrennten Mobilgeräten gleichzeitig im gleichen Frequenzbereich. Sogar Reflexionen der Funkwellen an Gebäuden und die daraus entstehenden Verzögerungen und mehrfachen Übertragungswege nutzt 5G zur Kapazitätserhöhung. In der Funkzelle weiter entfernte Endgeräte werden zudem mit einem schmaleren, aber längeren Funkstrahl erreicht, nahe Geräte mit einem kurzen, aber deutlich breiteren Funkfeld – daher auch der Fachbegriff «Beamforming».

Ihr CTO Frank Henschke sagte am letzten asut Kongress, dass der Aufbau eines neuen 5G-Mobilfunknetzes in der Schweiz ohne eine Anhebung der geltenden Grenzwerte schlicht nicht möglich ist. Steht Martin Bürki nun täglich vor dem Bundeshaus?

Unsere heutige NISV (Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung) und die dazugehörigen Berechnungsmodelle und Messmethoden sind zehnmal strenger als die auf den WHO-Empfehlungen aufbauenden Bestimmungen in den europäischen Staaten. In der Tat verhindert die NISV neuartige Verfahren wie «Beamforming» und «Massive MIMO» und stellt 5G für die Schweiz generell in Frage. Unter diesen Bedingungen sind 90 Prozent der heutigen Antennenstandorte in Städten nicht 5G-fähig. Dies haben Tests klar belegt. Diverse parlamentarische Vorstösse haben gezeigt, dass ein Umdenken im Gang ist. Eine Lösung steht aber noch aus.

Kommen wir noch zum Thema Sicherheit. Die USA wollen ihre 5G-Netze in Eigenregie bauen, da sie ansonsten undichte Stellen im Netz befürchten. Sind 5G-Netze generell unsicher oder anfällig für Cyberangriffe?

Künftig sind immer mehr Geräte vernetzt und über Kommunikationsnetze erreichbar. Ergo nimmt auch die Anzahl der angeschlossenen Teilnehmer und der Angriffspunkte zu: in Industrien, im öffentlichen Verkehr, in der Energieversorgung etc. Dies betrifft nicht nur 5G.

5G verfügt aber über deutlich höhere Sicherheitsstandards, die sich zudem auf verschiedenen Netzebenen einbauen lassen. Zusätzlich bietet 5G das so genannte «Network Slicing», was dedizierte Netzkapazitäten z. B. für Rettungsorganisationen ermöglicht.

Wann rechnen Sie in der Schweiz mit ersten 5G-Netzen?

Swisscom hat erste 5G-Infrastrukturen bereits für Ende 2018 angekündigt. Daneben wird die Eidgenössische Kommunikationskommission (ComCom) im Herbst 2018 die Vergabe neuer Frequenzen vornehmen – ein Meilenstein auf dem Weg zu 5G.

Dann existiert bereits heute ein Kundenpotenzial für 5G-Anwendungen?

Absolut. Grundsätzlich beschäftigen sich heute nahezu alle Branchen mit der Digitalisierung und in diesem Zusammenhang mit dem Potenzial, das 5G mit sich bringt.

Wir stehen, teilweise in Zusammenarbeit mit Swisscom, in Kontakt zu Unternehmen im Mobilitätsumfeld auf Schiene und Strasse oder im Bereich der Produktionssteuerung. Hier ist beispielsweise die Firma Ypsomed der erste industrielle Schweizer Partner im Rahmen der Initiative «5G for Switzerland».

 

Das Interview führte Rüdiger Sellin (rs), freier Fachjournalist SFJ/MAZ.

 

Martin Bürki

Martin Bürki ist seit 2011 CEO der Ericsson Schweiz AG. Zuvor war er in verschiedenen Funktionen für Siemens, Impacta, terre des hommes und die Schweizerische Krebsliga tätig. Er schloss Studien in Geschichte und Sportwissenschaften ab und verfügt über einen Executive MBA.

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