asut-Bulletin
Internet of Things
Ausgabe
01/2019
Je komplexer, desto spannender

Für Julian Dömer, Head of IoT von Swisscom, werden IoT-Projekte dann erfolgreich, wenn sie nicht nur Dinge vernetzen, sondern auf Partnerschaften und gemeinsam genutzter Expertise und Erfahrung aufbauen.

asut: Das Internet of Things (IoT) soll Unmengen von Dingen effizient vernetzen, ihre Daten sammeln und sie für innovative Anwendungen auswertbar machen. Was müssen Datenübertragungsnetze können, damit das geschehen kann?

Julian Dömer: Das Anwendungsspektrum ist so gross, dass es nicht das eine Netz oder die eine Technologie gibt, die alles gleichzeitig kann. Es geht immer darum, eine gute Balance zwischen Ansprüchen und Leistung zu finden. Bei Anwendungen wie der Videoüberwachung oder der interaktiven Werbung müssen hohe Datenvolumen verarbeitet werden, sie sind aber nicht unbedingt zeitkritisch. Andere, wie beispielsweise Feueralarme oder Notrufe sind von der Bandbreite her nicht so herausfordernd, dafür ist es unglaublich wichtig, dass die Daten möglichst schnell und auch planbar übertragen werden. Bei manchen Anwendungen steht eher die Kosteneffizienz im Vordergrund, bei anderen die Abdeckung, während wiederum weitere, wie etwa hochspezialisierte Industriesysteme, Reaktionszeiten im Millisekundenbereich voraussetzen. Der Trick liegt darin, für jedes Projekt passgenau den entsprechenden Technologiemix zu finden.

Es ist also nicht unbedingt nötig, auf 5G zu warten?

5G wird tatsächlich ein paar sehr wichtige neue technische Funktionen bringen, vor allem für kritische Anwendungen, die entweder eine sehr hohe Performance – sprich extrem kurze Reaktionszeiten – voraussetzen, oder superhochverfügbar sein müssen.

Können Sie konkrete Beispiele geben?

Nehmen wir Defibrillatoren. Die sind zwar superkritisch, übertragen im Endeffekt so kleine Datenmengen, dass die heutigen Netzmöglichkeiten dies in der nötigen Kritikalität durchaus sicherstellen können. Anders sieht es aus, wenn die mobile Sicherheitskommunikation von Blaulichtorganisationen unter allen denkbaren Umständen immer priortiär behandelt werden soll, weil es hier um eine Gefahr für Leib und Leben geht.

Welche heute bereits verfügbaren Funktechnologien eignen sich heute schon für den Datentransfer in IoT-Anwendungen?

Ein Superbeispiel ist LoRaWAN (Lon Range Wide Area Network). Swisscom hat seit Ende 2015 ein schweizweites LoRa-Netz und ist mit dem Erfolg sehr zufrieden. Die schmale Bandbreite ermöglicht eine hohe Reichweite bei sehr geringem Energieverbrauch. LoRa ist somit speziell für Anwendungen geeignet, die kleine Datenmengen versenden. Weil LoRa zudem eine gute Gebäudedurchdringung ermöglicht und die Netzwerkkosten gering sind, ist es die ideale Grundlage für Smart Cities oder energieeffiziente Gebäude.

Unterschiedliche Technologien, fehelnde Standards... wie soll sich ein Neuling in dieses IoT-Universum vorwagen?

Für die, die bei Null anfangen, ist es tatsächlich ein enormer Aufwand, sich ein Bild der verschiedenen Möglichkeiten und ihrer Vor- und Nachteile zu machen. Auf der einen Seite gibt es sehr viele Nischenanbieter, die auf Einzellösungen fokussieren. Auf der anderen Seite die grossen globalen Cloud-Player. Swisscom baut deshalb auf ein Partnerökosystem, das unsere Expertise als Plattform-Anbieter mit dem Know-how der zahlreichen Partner bündelt, beispielsweise Zulieferer von Hard- und Software, Programmierer, Netzwerker, Unterhalt. Diese gemeinsamen IoT-Lösungen stellen wir unseren Kunden zusammen mit vielen Referenzbeispielen aus verschiedensten Branchen zur Verfügung. Auf diese geballte Expertise zurückzugreifen ist sicher erfolgsversprechender, als einfach so ins Blaue hinaus zu planen. Zumal IoT längst nicht nur eine Frage der Technologie ist.

Sondern?

Bei jedem IoT-Projekt geht es immer auch darum, die ganz unterschiedlichen Bedürfnisse verschiedener Marktsegmente unter einen Hut zu bringen. Bei einem Smart Building sind das zum Beispiel die ganz unterschiedlichen Anliegen des Klimatechnikers, des Elektrikers, des Fensterbauers und des Rolladenherstellers. Für ein visionäres IoT-Projekt müssen verschiedene Dienstleister Hand in Hand arbeiten. Das ist anspruchsvoll. Dazu kommt, dass IoT natürlich auch mit derselben Art von Unsicherheit verbunden ist, die das Thema Digitalisierung immer mit sich bringt: Wer in dieses Thema einsteigt, stellt in der Regel sein bisheriges Geschäftsmodell in Frage, will effizienter werden, will seinen Kunden neue oder wirklich bessere Services anbieten oder vielleicht sogar das Wagnis eingehen, aus einem Produkt einen Service zu machen. Solche Projekte operieren also sozusagen am offenen Herzen des Unternehmens, sie sind mit Risiken verbunden, untergraben Gewissheiten, brechen eingespielte Strukturen auf und setzen Vertrauen gegenüber neuen Partnern voraus. Es ist gut, auf verlässliche Spezialisten zählen zu können, die dabei helfen, mit dieser Unsicherheit umzugehen. Die bringen wir in unserem Ökosystem zusammen.

Woran scheitern IoT-Projekte?

Ein ganz wichtiger Punkt sind sicher die Kundenbedürfnisse. Mein Lieblingsbeispiel ist hier der Fitness-Tracker. Der beste, der smarteste Fitnesstracker, taugt nur etwas, wenn wir dem Kunden gleichzeitig auch die Möglichkeit geben, irgendwo ganz einfach und bequem nachzuschauen, was das Ding da nun alles gemessen hat und inwieweit das für ihn relevant ist. Auch hier kann ein externer Blick auf so einen IoT-Business-Case extrem hilfreich sein.

Geräte, die Zig-Millionen Daten über mich sammeln ­­– der Gedanke kann beängstigend sein. Wer hat Zugang dazu, wer weiss was über mich... bleibt beim IoT die Privatsphäre auf der Strecke? Und wer ist hier gefragt: der Regulator oder die Branche selber?

Mit dem Datenschutz gibt es eine klare rechtliche Grundlage. Das Feld ist zudem so komplex, dass es nahezu unvorstellbar ist, dass ein Regulator darüber hinaus Regeln finden könnte, die in allen Fällen zutreffen. Gefragt ist also wohl eher die Industrie selber: Bei Swisscom ist es sozusagen in der DNA verankert, dass wir Kundendaten – unser höchstes Gut ­– sehr umfangreich schützen und ganz klare Grenzen ziehen, wenn es um den Zugang zu diesen Daten geht. Gerade im Geschäftskundenbereich würden wir nie eine Hand daranlegen, ohne dass der Kunde davon weiss. Ihm allein steht es zu, über Zugriffsrechte und Verwendungszwecke zu bestimmen. Aus genau diesem Grund bauen wir eine eigene Cloud, die garantiert, dass Daten ausschliesslich in Schweizer Rechenzentren und nach den Auflagen des Schweizer Datenschutzrechts aufbewahrt werden. Wir wollen, dass unsere Kunden gut schlafen können.

Privatsphäre ist das eine, das andere ist die Sicherheit: Wird eine immer stärker vernetzte Welt nicht auch gezwungenermassen immer verletzlicher?

Ja und nein. Sicher gilt der Satz je vernetzter desto verletzlicher grundsätzlich schon. Wir müssen aber drei Dinge unterscheiden. Erstens haben die sehr eindrücklichen Grossattacken, die wir in den letzten Jahren erlebt haben, in der Regel immer übers Internet stattgefunden. Der überwiegende Teil unserer IoT-Projekte – mittlerweile sind es bereits weit über 500 – läuft aber über private Netze. Da ist die Sicherheit automatisch um einiges höher. Zweitens setzen wir eine ganze Armada von Spezialisten ein, um unsere eigene Infrastruktur, die ja zu den kritischen Infrastrukturen der Schweiz zählt, massiv zu schützen. Vor zwei Jahren hatten wir einen Peak mit 3 Millionen abgewehrten Hackerangriffen. Und schliesslich helfen wir unseren Kunden dabei, auf den smarten Geräten selber Sicherheitsmechanismen zu implementieren und beispielsweise mithilfe von Big-Data-Ansätzen zu erkennen, wenn sich ein Gerät abnormal verhält und Daten an ein ungewöhnliches Ziel schickt.

Statt je vernetzter, desto verletzlicher würde ich also eher sagen: Je komplexer, desto spannender wird es. Einerseits technisch, weil selbst vertrackteste IoT-Cases heute lösbar werden. Und auf der anderen Seite, weil IoT-Projekte es erlauben, nicht nur einem einzelnen Kunden oder einer Gruppe von Kunden Vorteile zu bringen, sondern einer ganzen Gemeinschaft. Ein schönes Beispiel ist hier die Smart City, wo immer eine ganze Community von innovativen Lösungsansätzen profitiert.

Malen Sie uns doch bitte Ihre Vision einer solchen smarten Stadt?

Meine Vision beschränkt sich nicht auf die Stadt. Ich wünsche mir ein Szenario, wo jedes Individuum den für sich richtigen Grad der Digitalisierung bestimmen und dann davon profitieren kann. Mich beispielsweise nervt alles, was mit Administration zu tun hat und ich bin deshalb gerne bereit, Daten von mir preiszugeben, wenn mir dieser administrative Aufwand dafür abgenommen wird. Die richtige Lösung für jede und jeden wird es nie geben, aber ich wünsche mir ein smartes Ökosystem, das jedem Einzelnen die Möglichkeit gibt, den Kompromiss zu wählen, der für ihn stimmt. Wer elektronisch abstimmen möchte, soll das tun können, wer lieber nach wie vor den Umschlag einwerfen will, ebenfalls. Mein Wunschszenario sieht also eine gute und individuell wählbare Mischung von digitalen und automatisierten und von nach wie vor analogen Lösungen vor. Diese Vielfalt steht heute noch nicht optimal zur Verfügung. IoT wird sie möglich machen.

Die Fragen stellte Christine D'Anna-Huber

Julian Dömer

Julian Dömer, studierter Betriebswirt, übernahm bei Swisscom die Verantwortung für die Entwicklung von 5G im Grosskundenbereich und war bis Oktober 2018 Head of Innovation. Aktuell agiert er bei Swisscom Enterprise Solutions als Head of IoT.

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