asut-Bulletin
Innovation made in Switzerland
Ausgabe
05/2020
Ein bisschen Innovation genügt nicht

Interview: Christine D'Anna-Huber

Wie erkennen Investoren erfolgsversprechende Start-ups, und welche Hürden müssen Jungunternehmen auf dem Weg zum Erfolg umgehen? Ein Gespräch mit Johann Schlieper, Businessangel und selber leidenschaftlicher Unternehmer.

asut: Worauf achten Sie, bevor Sie in ein Start-up investieren?

Johann Schlieper: Ich lasse mich gerne von Ideen überraschen, von denen man so noch nicht gehört hat. Für mich ist das ein Merkmal einer Innovation. Das zweite ist, dass eine Idee nur dann gut ist, wenn sie sofort überzeugt. Man hört sie einmal und sagt: Ja, ist doch klar, warum ist denn da vorher noch keiner draufgekommen? Wo diese zwei Elemente vorhanden sind, wo eine Idee begeistert, da lohnt es sich, am Ball zu bleiben.

Ein Investor sollte also offen sein für Neues?

Man muss sicher in der Lage sein, aus dem Bestehenden auszubrechen. Sie kennen vielleicht diese schöne Denkübung, bei der es darum geht, neun als Quadrat angeordnete Punkte mit einer Linie zu verbinden ohne den Stift abzusetzen, Die Engstirnigen scheitern an dieser Aufgabe, weil sie das Quadrat als Rahmen sehen, über dessen vermeintliche Grenzen hinaus sie nicht zu malen wagen. Investoren müssen fähig sein, solche selbst- oder von anderen auferlegte gedankliche Konventionen zu sprengen. Denn Innovatoren denken «out of the box»: Sie sprengen Grenzen und verbinden Dinge, die per se noch nie etwas miteinander zu tun gehabt haben.

Als erstes muss eine Idee also innovativ sein. Und dann?

Für viele Investoren kommt als zweites ein tolles Team. Aber ich will ja schliesslich nicht heiraten, sondern bei einer tollen Reise dabei sein. Das ist meine Motivation. Und toll wird die Reise, wenn das Ziel phantastisch ist – wenn auch die Begleitung unterwegs gut ist, umso besser. Als Drittes sollte es um etwas gehen, von dem ich etwas verstehe und in das ich mich hineindenken kann. Mit Telkos, internetbasierten Geschäftsmodellen oder intelligenter Hardware beispielsweise kenne ich mich aus. Biotech, Medtech oder auch Fintech hingegen sind mir zu weit weg, davon lasse ich lieber die Finger. Unlängst hat ein Start-up-Team mir zum Beispiel seine Idee für ein Heilmittel gegen Krebs vorgestellt. Wenn das funktioniert, dann wäre es eine wahrhaft bahnbrechende Entwicklung. So etwas käme gleich nach der Impfung gegen Covid-19. Trotzdem würde ich niemals in so ein Projekt investieren. Denn da hätte ich, um beim Bild der Reise zu bleiben, keine Ahnung, wie weit der Weg noch ist, und durch welche unwegsamen Gegenden er noch führen wird. In Branchen, in denen ich selber tätig war hingegen, kommen wir immer wieder an Wegpunkten vorbei, die mir bekannt sind. Das gibt ein bisschen mehr Sicherheit für unterwegs.

Eine gute Idee, ein wirklich tolles Ziel und ein klarer Weg: Auf was schauen Sie noch?

Grundsätzlich investiere ich nicht in Einzelmasken. Aus ganz praktischen Gründen: Hat einer allein die Idee entwickelt und wird vom Tram überfahren, dann ist die Idee weg. Es muss also mindestens immer eine Nummer zwei dabei sein, und wenn der eine mehr unternehmerisch denkt und der andere eher technologiegetrieben ist, dann ergibt das ein komplementäres Dreamteam. Ich erwarte auch, dass Gründer wirklich für ihre Idee brennen und bereit sind, dafür auch Opfer zu bringen. Und schliesslich ist mir wichtig, dass sie fähig sind, den Markt zu betrachten. Erfahrungsgemäss scheitern die allermeisten Innovationen, selbst die tollsten Deep-Tech-Ideen brillanter Köpfe, nämlich nicht an der technischen Umsetzung. Sondern daran, dass sie keine Ahnung haben, ob wirklich jemand bereit ist, für ihre Idee auch etwas zu bezahlen.

Sie sprechen von Reise. Heisst das, dass Sie eine Idee nicht nur finanzieren, sondern bis zu ihrer Umsetzung begleiten?

Unbedingt. Ich sehe mich eindeutig als strategischer Investor. Mir geht es tatsächlich mehr um die Reise als um das Ziel. Natürlich wäre es schön, wenn ein Start-up am Schluss auch noch erfolgreich ist und Geld verdient und ich dann etwas von meiner Investition zurückkriege. Aber meine Hauptmotivation ist, an solchen immer wieder faszinierenden Reisen beteiligt zu sein. Das bedeutet, dass ich häufig im Verwaltungsrat oder im Advisory Board sitze, dass ich berate, Strategien mitentwickle, mein Netzwerk spielen lasse und Türen öffne und Ideen manchmal sogar aktiv verkaufe.

Wie viele der Start-ups, in die Sie investieren, sind erfolgreich?

Die oft zitierte Faustregel lautet, acht von zehn Start-ups scheitern. Scheitern bedeutet, dass sie das dritte Jahr nicht überleben. Ich habe insgesamt zwölf Investments, davon sind zwei tot. Einige halten sich gut über Wasser und drei geht es ordentlich gut und zwei sehr gut. Die verdienen schon ordentlich Geld und entwickeln sich prächtig. Mein Portfolio ist also leicht überdurchschnittlich positiv. Aber man muss natürlich auch immer mal mit einem totalen Abschreiber rechnen. Das geht nicht anders.

Was sind die Gründe dafür, wenn es wirklich schiefgeht?

Es gibt viele unterschiedliche Gründe. Manchmal ist es ganz einfach Pech. Corona zum Beispiel hat manchen meiner Start-ups einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Denn im B2B-Umfeld trifft im Moment niemand mehr Entscheidungen und niemand spricht Budgets. Andere profitieren von der Pandemie, weil sie Online-Leistungen anbieten. Sehr oft hat Misserfolg aber nichts mit Pech zu tun, sondern ist hausgemacht. Weil man zu sehr gehofft hat, dass der Markt funktioniert, oder weil man kein Geld für eine Anschlussfinanzierung gefunden hat. Auch Rechtstreite können fatal sein. Es gibt viele unterschiedliche Gründe.

Aber nicht den einen fatalen Fehler?

Nein, den einen nicht. Innovationen haben es grundsätzlich schwer, sich gegen den jetzigen Zustand durchzusetzen. Der Mensch ist träge und übernimmt Neuerungen ungern, solange das Alte halbwegs funktioniert. Wir erinnern uns alle noch an das Natel C: Das rauschte und knackte, aber es funktionierte, man konnte damit telefonieren. Warum also auf digitale Telefonie umstellen? Genauso war es auch mit der IP-Telefonie. Es gibt immer eine kleine Gruppe von First-Movern, die auf Neuerungen aufspringen. Aber um den Durchbruch zu schaffen, muss es einem neuen Produkt gelingen, den breiten Markt zu überzeugen. Dafür muss es wesentlich besser sein als der Ad-hoc-Zustand. Ich rate meinen Start-ups immer, sich Google zum Vorbild zu nehmen. Jedes Produkt, das Google einführt, muss zehnmal besser sein als dasjenige, das es ersetzt. Nur ein echt innovatives Produkt kann erfolgreich sein. Ein bisschen innovativ genügt nicht.

Haben es Innovationen in der Schweiz leichter oder schwerer als anderswo auf den Markt zu kommen?

Schwerer. Im Vergleich zu Deutschland oder zum Silicon Valley sind die Schweizer klar vorsichtiger in der Umsetzung von Ideen. Im Generieren von Ideen sind die Schweizer sehr gut. Wir haben eine Menge fantastischer, toller Ideen, aber die Investoren sind zurückhaltender, Geld zu geben. Der Markt ist zurückhaltender, diese Ideen auch zu kaufen. Und die allermeisten gehen dann davon aus, dass eine Idee, die in der Schweiz nicht zieht, im Ausland vermutlich auch nicht funktionieren wird. Ich kenne wenige, die sich mit ihrer Idee gleich ins Ausland wagen. Die fangen hier an und werden hier auch gleich wieder abgewürgt.

Wie passt das damit zusammen, dass die Schweiz auf allen möglichen internationalen Innovationsratings regelmässig Spitzenplätze belegt?

Das hat sicher auch etwas mit der liberalen Haltung der Schweiz zu tun. Ich bin im Grundgedanken auch ein liberaler Mensch und der Meinung, dass Unternehmen aus eigener Kraft erfolgreich sein müssen und der Staat da nicht viel beizutragen hat. Aber ich habe ein konkretes Beispiel: Bei einem meiner ersten Start-ups, vor ungefähr 10 Jahren, ging es darum, ein Schweizer Elektroauto zu bauen, mit wirklich guten Ideen und genialen Ingenieuren. Auch von der Optik her war das in etwa, was damals Tesla mit dem Model S auch getan hat. Nicht kopiert, sondern parallel entwickelt. Beim Versuch für dieses Projekt in der Schweiz eine Finanzierung zu kriegen, bin ich kläglich gescheitert. Derweil hat die amerikanische Regierung Tesla mit einer halben Milliarde Dollar gefördert. Jetzt kommt das Elektroauto der Zukunft eben aus den USA, nicht aus der Schweiz. Es liessen sich weitere Beispiele finden, die ein bisschen ähnlich sind. Ab und zu sollte der Staat auch hier mal was tun. Zumindest den Anschub geben.

Tut sich, mit Innosuisse, Technologieparks und Gründerzentren in dieser Richtung in letzter Zeit nicht auch in der Schweiz ziemlich viel?

Es gibt eine ganze Menge von privaten Initiativen. Die haben aber natürlich nicht die Feuerpower, um echtes Wachstum zu fördern. Was wir unterstützen ist die sogenannte Seed-Phase, die Gründungsphase. Aber danach brauchen Start-ups in der Regel nochmal zwischen 2 und 5 Millionen und das bringen Angels nicht mehr. Da braucht es Risikokapitalgeber. Von denen gibt es in der Schweiz zwar inzwischen eine ganze Menge, aber nicht genug, um alle Ideen zu finanzieren. Es wäre deshalb sicher angebracht, dass der Staat seine liberale Haltung und vielleicht ein gewisses bürokratisches Denken, das viele Prozesse unnötig schwerfällig macht, ein Stück weit aufgibt.

Wer sind die Business Angels, die Sie präsidieren?

Wir sind ein privater Verein von ehemaligen Unternehmern, die bereit sind, Zeit und Geld in innovative Start-ups zu investieren.

Was muss ein Start-up machen, damit die Business Angels sich mit ihm abgeben?

Es muss sich auf unserer Plattform registrieren und ein paar Informationen hinterlegen. Meist melden sich etwa 30 Unternehmen aus der ganzen Schweiz, rund die Hälfte davon aus dem Umfeld von ETH, EPFL und anderen Hochschulen. Jeden Monat werden drei davon von unserer Jury eingeladen, um bei uns zu pitchen. Begeistern sie uns mit ihrer Idee, dann stehen die Chancen gut, dass sie eine Finanzierung erhalten: Pro Monat investieren wir 200'000 Franken. Ich bin für den Mix zuständig und wähle neben «Change the World Cases», also fantastischen Deep-Tech-Ideen, die Millionen kosten und deren Umsetzung Jahre dauert, auch kleine nette Innovationen oder innovative Geschäftsmodelle, die relativ schnell realisierbar sind. Das ist wie eine Menukarte, auf der es etwas für den schnellen Hunger gibt und etwas für die genüsslichen Slow-Food-Esser.

Johann Schlieper

Dr. Johann Schlieper ist Unternehmer und Inhaber der Zollikonsult GmbH, Dozent für strategisches Management und Marketing sowie Präsident von Business Angels Switzerland.

 

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